Experten diskutieren über die "vierte Industrierevolution" auf der Basis gigantischer Datenmengen.
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Wien. Schon 1977 beschrieb der Club of Rome in seinem Bericht "Ziele der Menschheit" Systeme, die von sich aus agieren. Sie verwalten sich selbst, reparieren sich selbst und erledigen dabei die Bürokratie. Der Mensch schaut weitgehend zu, denn die computergesteuerten Systeme benötigen bloß Programmierer. Der Club of Rome warnte vor der Gefahr einer "übermäßigen Computerisierung", in deren Umfeld ein Großteil der Menschen keine Arbeit hätte.
Genau diese Richtung wird nun in Fachkreisen diskutiert. Maschinen sollen ihren Bedarf an Produktionsmitteln selbst ermitteln und wissen, wann eine Wartung ansteht. Erzeugnisse sollen über ihren Zustand Bescheid wissen, angeben, ob ein Update ansteht und sogar ihren Einsatz einfordern. Und nicht zuletzt soll ein Kunde per Handy bis zur letzten Minute am Produkt etwas ändern können und das System auf die veränderten Kommandos vollautomatisch reagieren. Das Produktionssystem soll betriebswirtschaftliche Kennzahlen und Ziele des Unternehmens berücksichtigen. Fällt ein Lieferant aus oder werden Rohstoffe teurer, soll es sofort handeln, erklärt Margit Noll vom Austrian Institute of Technology (AIT) die Vision von der "Smart Factory".
Was wie nach einem Science-Fiction-Film klingt, in dem Roboter die Kontrolle übernehmen, wird in Fachkreisen unter dem Schlagwort "Industrie 4.0" diskutiert. Nach der Dampfmaschine, der Massenproduktion und der Automatisierung sollen in der "vierten Industrierevolution" Maschinen miteinander in Echtzeit über Internet kommunizieren. Die Umsetzung wird freilich dauern.
"Manche Maschinen werden schon heute von Computern und Sensoren gesteuert und vernetzt. Doch die gesamte Produktion an das Internet anzuschließen ist noch Vision", betont Wilhelm Bauer, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft an der Universität Stuttgart: "Ich kenne noch keine Fabrik, die so funktioniert." Er erwartet, dass ein Großteil der Maschinen etwa um 2030 umgestellt sein könnte.
Bauer ist einer der Experten, der bei den Technologiegesprächen in Alpbach am Donnerstag Ausblicke auf die bevorstehenden Veränderungen gibt. "Etwa ist die Steuerungselektronik von Werkzeugmaschinen heute nicht mit dem Internet verbunden. Künftig hat das Gerät aber Schnittstellen zum Internet, sodass der Kunde Änderungswünsche online mitteilen kann. Die Fabrik ist nach außen vernetzt", erklärt er. Gleichzeitig misst das Gerät die Qualität der Fräsung, ihren eigenen Verschleiß, den Druck oder die Temperatur. "Ist der Betriebsmodus nicht optimal, hält es von selbst an und ruft einen Roboter, der es repariert." Kein Mensch muss ans Fließband und keiner die Produktionskette überwachen.
Kleider, Autos, Hüftprothesen
In Österreich, ein Marktführer in Maschinen- und Fahrzeugbau, errichtet die Technische Universität Wien nun im Auftrag des Verkehrsministeriums Pilotfabriken, um zusammen mit Unternehmen Prototypen, Abläufe und Produktionstechnologien zu testen. Gelingt das Vorhaben "Industrie 4.0", kann künftig alles - Kleider, Autos, Hüftprothesen - selbst in Kleinstauflagen kostengünstig erzeugt werden. Denn die Herstellungsabläufe können verändert werden, ohne dass die Produktion angehalten werden muss, und die Einzelteile flott und in jeder Form in 3D gedruckt werden.
Das Schlaraffenland individuell zugeschnittener Produkte hat einen Preis. "Wir werden weniger Menschen in Fabriken haben, einfache Tätigkeiten werden weniger gebraucht", sagt Bauer. Was sollen arbeitslos Gewordene tun? Auch der Arbeitsökonom sieht einen höheren Bedarf an qualifizierten Fachkräften: "Die Maschinen entwerfen und programmieren sich nicht selbst. Softwarespezialisten, Ingenieure, Techniker werden gebraucht." Bauer sieht dabei durchaus Chancen für alle: "Zu programmieren kann fast jeder erlernen, so wie die meisten Menschen digitale Haushaltsgeräte bedienen. Beschäftigung wird es für jeden geben."
Auch Kapitalmarkt-Experten rechnen sich gute Chancen aus: Firmen, die entsprechende Software-Produkte entwickeln, könnten begehrte Aktien auf den Markt bringen.