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Die "Fake News"-Falle

Von Stefan Haderer

Gastkommentare
Stefan Haderer ist Kulturanthropologe und Politikwissenschafter. Alle Beiträge dieser Rubrik unter: www.wienerzeitung.at/gastkommentare

Die Spirale gegenseitiger Anschuldigungen hat weitreichende politische und möglicherweise militärische Folgen, wie sich derzeit am Golf zeigt.


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Seit geraumer Zeit geistert der Begriff "Fake News" durch zahlreiche Qualitätsmedien. Politiker und Redakteure greifen darauf zurück, um Falschmeldungen aufzudecken und die Gesellschaft vor erfundenen Wahrheiten zu warnen. "Fake News" sind ein neues Modewort geworden. Eine Wunderwaffe, die einerseits dazu dient, Gegner anzuschwärzen und das einfache Weltbild von "Gut gegen Böse" zu untermauern. Andererseits muss sie als Ausrede herhalten, um politisches Fehlverhalten schönzureden. Damit stellt man den Anspruch, die einzige, unfehlbare Wahrheit für sich gepachtet zu haben und die Bevölkerung fast schon missionarisch aufklären zu müssen.

Doch die Entwicklung zeigt, dass "Fake News" nicht unbedingt zu mehr Selbstreflexion führen. Ganz aktuell ist die Debatte um "Fake News" gerade auf der Arabischen Halbinsel in jenen Staaten entflammt, in denen Presse- und Meinungsfreiheit am stärksten unterdrückt werden. Saudi-Arabien und seine Verbündeten werfen dem katarischen Erzrivalen, Scheich Tamim bin Hamad al Thani, vor, sich wohlwollend über den Iran geäußert und den Anti-Iran-Kurs von US-Präsident Donald Trump kritisiert zu haben. Dieser Vorfall gilt als Auslöser für die aktuellen diplomatischen Sanktionen der Golfstaaten gegen das Emirat Katar.

Ironischerweise ist es Saudi-Arabien, das jetzt dem Nachbarn die Finanzierung von Terroristen vorwirft. Dabei gelten sowohl Katar als auch Saudi Arabien und die Regierung von Bahrain als Sponsoren des radikalen Fundamentalismus. Die Spirale gegenseitiger Anschuldigungen, wer "Fake News" produziert und Lügen verbreitet, hat also weitreichende politische und möglicherweise militärische Folgen.

Vermehrt ist in europäischen Zeitungen - wie neulich im "Standard" - zu lesen, wie russische staatliche Medien auf "Fake News" zurückgreifen und Meldungen verbreiten, die im Westen nicht gern gesehen werden. Oft kommt die Kritik seltsamerweise von Redakteuren, die vor der Ukraine-Krise kein schlechtes Wort über Russland verloren haben und deren Kritik an der US-Außenpolitik erst vor ein paar Monaten wiedererwacht ist.

Mit dem Sieg Donald Trumps ist Anti-Amerikanismus wieder salonfähig geworden, in der Ära Barack Obamas war er größtenteils tabu.

Hat man etwa vergessen, dass die wohl größte und folgenschwerste Falschmeldung des neuen Jahrtausends nicht von Saudi-Arabien, von Katar oder gar vom Kreml in die Welt gesetzt wurde? 2003 behaupteten US-Präsident George W. Bush und der britische Premier Tony Blair, der Irak verfüge über Massenvernichtungswaffen. Damit wurden der Sturz des unliebsam gewordenen Machthabers Saddam Hussein und der Irak-Krieg gerechtfertigt.

"Die Wahrheit ist von dieser Welt", schrieb der französische Philosoph Michel Foucault, "in dieser wird sie aufgrund vielfältiger Zwänge produziert, verfügt sie über geregelte Machtwirkungen. Jede Gesellschaft hat ihre eigene Ordnung der Wahrheit, ihre ‚allgemeine Politik‘ der Wahrheit." Ist es daher nicht bloß kühne Anmaßung, wenn der Westen das Wahrheitsmonopol allein für sich beansprucht und für allgemeingültig erklärt?