Der heuer verstorbene Chemiker Gottfried Machata war ein Pionier der forensischen Toxikologie. Mit seinen Verfahren wirkte er an der Aufklärung einer Vielzahl von Kriminalfällen in der Zweiten Republik mit.
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10. November 1955.Die junge Krankenschwester Margarete F. wird nahe Steyr überfallen, vergewaltigt und erschlagen. Die Polizei bringt nicht ihren wahren Mörder Alfred Engleder, einen Sexualstraftäter, der später als "Gnom von Sierning" in die Kriminalgeschichte eingehen sollte, mit dem Verbrechen in Verbindung; fälschlicherweise verdächtigt man den verheirateten Anästhesisten Günther H., der jeden Zusammenhang mit dem Mord bestreitet. H.s Lage ist hoffnungslos - bis ein junger Chemiker aus Wien seine Unschuld beweist.
Gottfried Machata, der 1951 an der Alma Mater Rudolphina promoviert hatte und erst wenige Monate vor der Ermordung der Krankenschwester ans Gerichtsmedizinische Institut gekommen war, gehörte dem Team der Sachverständigen an, das jenen Überfall - Teil einer ganzen Serie, wie man inzwischen wusste - untersuchen sollte. Die Ermittler rätselten, ob die Frau mit ihrer Strumpfhose, die zusammengeknüllt neben der Leiche lag, geknebelt worden war. Falls ja, sprach dieses Indiz für die Unschuld von Doktor H., denn Margarete F. war seine Geliebte - er hätte sie nicht geknebelt. Die Frage an den Gerichtschemiker lautete daher: "Können Sie feststellen, ob sich die Strumpfhose im Mund des Opfers befunden hat?"
Mit der Kraft der Logik
Zur Erinnerung, es war das Jahr 1955, also Dekaden von DNA-Tests entfernt. Machata musste sich mit einfacheren Mitteln begnügen. Er verließ sich auf die Kraft der Logik: Wenn der Täter der Frau die Strumpfhose in den Mund gestopft hatte, musste Speichel darauf sein. Den konnte man zwar nicht nachweisen, sehr wohl aber das darin enthaltene Enzym Ptyalin, das Stärke in Malzzucker spaltet. Machatas Test lieferte ein positives Ergebnis, das Opfer war geknebelt worden. Doktor H. war somit entlastet und Gottfried Machata noch am Ende des Jahres 1955 Leiter der Forensischen Chemie am Wiener Institut für Gerichtsmedizin.
Als der 30-Jährige die Abteilung übernahm, befand sich das Labor in einem ehemaligen Stall, und das stark angewachsene Arbeitspensum war mit den althergebrachten Untersuchungsverfahren kaum noch zu bewältigen. "Wir waren mit immer neuen Fragestellungen konfrontiert und daher gezwungen, unsere Methoden ständig weiterzuentwickeln", sagte Machata ein halbes Jahrhundert später über den Motor für seinen Forscherdrang.
Die damalige Fachliteratur wies Chemiker an, bei Analysen eine Geschmacksprobe zu machen - ein im Zusammenhang mit Gewaltverbrechen durchaus gefährliches Unterfangen. "Notgedrungen habe ich diese Methode bis in die 1960er Jahre praktiziert, und, wie man weiß, überlebt", erinnerte sich der Forensiker im Alter von 85 verschmitzt.
Allerdings verbrachte er doch einmal einen Tag als Patient auf der Intensivstation: Nach der Verkostung eines mit hochgiftigem Eisenhut-Extrakt versetzten Calvados, den ein bekannter Indus-trieller als anonymes Präsent erhalten hatte, war die Beobachtung von Machatas Organfunktionen angezeigt. Glücklicherweise hatte er das typische Taubheitsgefühl im Mund gleich wahrgenommen und den Schnaps sofort ausgespuckt.
Zurück zu den fachlichen Verdiensten des Toxikologen. Für das Gerichtsverfahren gegen den 1958 verhafteten Max Gufler war der Nachweis entscheidend, dass der Serienmörder alle seine Opfer vor ihrem Ertrinkungstod mit dem Schlafmittel Somnifen betäubt hatte. Dafür entwickelte Machata ein weltweit neues Verfahren, mit dem ein im Blut enthaltenes Gemisch aus zwei Barbituraten getrennt und diese Stoffe einzeln identifiziert werden können. Am Ende wanderte der "Blaubart von St. Pölten" lebenslang hinter Gitter.
Ab etwa 1960 ermöglichte der Einsatz komplexer Hightech-Geräte weitere Fortschritte beim Aufspüren von Giften. Als Paradebeispiel gilt die von Gottfried Machata entwickelte Blutalkoholanalyse mit dem Gaschromatografen. Die Ermittlung des Promillewertes zählt zu den häufigsten Aufgaben von forensischen Chemikern, da sie nicht nur bei Verkehrsunfällen eine wichtige Rolle spielt, sondern auch bei strafrechtlichen Delikten über die Schuldfähigkeit entscheidet. "Es stand uns nur das alte Widmark-Verfahren zur Verfügung, das - neben vielen anderen Nachteilen - unsichere Resultate lieferte", umriss Machata das Problem.
In der Folge führten Gerichtschemiker rund um den Globus einschlägige Versuche mit dem Gaschromatografen durch, doch das direkte Einbringen der zu analysierenden Blutprobe in das Gerät erwies sich als praxisuntauglich. Da stieß Machata auf ein Prinzip, mit dem ein kanadischer Lebensmittelhersteller die Haltbarkeit seiner Konserven überprüfte, und adaptierte es für die Verbrechensaufklärung: Er untersuchte nicht das Blut selbst, sondern das Gasgemisch, das bei Wärmezufuhr daraus verdampfte - die "Headspace-Methode" war geboren.
Ein trauriger Anlass für die erste Anwendung fand sich binnen kurzem: Als am 2. August 1960 in Wien-Döbling zwei Straßenbahnzüge der Linie 39 kollidierten, waren 19 Tote und über 40 Schwerverletzte zu beklagen. Unter den Toten: der Triebwagenführer. Er war mit stark überhöhter Geschwindigkeit in die Kurve gerattert, wodurch sein Wagen aus den Schienen gesprungen war und sich in den stehenden Gegenzug gebohrt hatte. Gerichtsmediziner Wilhelm Holczabek beauftragte Gottfried Machata, den Blutalkoholgehalt des Straßenbahnfahrers mit seinem neuen Headspace-Verfahren zu bestimmen. Zum Entsetzen der beiden Forensiker lag der Wert bei 2,6 Promille. Es folgten Anfeindungen seitens der Gemeinde Wien, Drohungen der Straßenbahnergewerkschaft und ein Riesenskandal in der Presse.
Doch die polizeilichen Ermittlungen untermauerten das Ergebnis des chemischen Tests: Der Verursacher des Unglücks hatte in seinen Dienstpausen regelmäßig eine Branntweinstube nahe der Endstation aufgesucht, um sich leere braune Milchflaschen mit Schnaps füllen zu lassen.
Verfeinerte Blutprobe
1966 erteilte das deutsche Bundesgesundheitsamt die offizielle Zulassung für das Headspace-Verfahren, das heute immer noch weltweit angewandt wird, denn die Atemalkoholbestimmung mit dem Alkomaten kann die Blutalkoholanalyse in vielen Fällen nicht ersetzen. Machata perfektionierte seine Methode schließlich so weit, dass es ihm gelang, aus der Blutprobe die Art der konsumierten Spirituose zu ermitteln. Für diesen Forschungserfolg stellte übrigens der bekannte Sportmediziner Ludwig Prokop eine Studentenschar als "Versuchstrinker" zur Verfügung.
Ein anderes Untersuchungsfeld ergab sich aus der Tatsache, dass bis Ende der 1970er Jahre in Wien jährlich 50 bis 60 Menschen den Kohlenstoffmonoxid-Tod starben. Die Hauptursache war Stadtgas, doch es gab noch etliche andere Quellen für das geruchlose Giftgas, beispielsweise schlecht ziehende Öfen und Durchlauferhitzer, Zimmerbrände oder Autoabgase. Am Leichenfundort war daher oft völlig unklar, ob ein Unfall, ein Selbstmord oder gar ein Mord vorlag.
Um Licht in das Dunkel zu bringen, begann Machata, der sich 1962 habilitierte und 1968 zum Professor ernannt wurde, die Zusammensetzung der verschiedenen Gase zu erforschen. Mit der Gasmaske vorm Gesicht stieg er in den Brandkeller der Wiener Feuerwehrzentrale und holte sich Unmengen von Gasproben, die unter den unterschiedlichsten Verbrennungsbedingungen entstanden. Schlussendlich war er in der Lage, anhand der statistischen Variation der Gasbestandteile die jeweilige Situation zu erkennen. Um dann den letzten Atemzug des Opfers im Gaschromatografen untersuchen zu können, fing der stets pragmatisch denkende Chemiker die Luft der bei der Obduktion entnommenen Lunge im Einsiedeglas auf.
Viele weitere Episoden aus Gottfried Machatas Laufbahn ließen sich noch schildern. Etwa seine Aufklärungsarbeit im Fall des Schützenmajors Georg Klotz, eines der führenden Köpfe des Südtiroler Freiheitskampfes. Oder der Fall des Grazer Tanzschulbesitzers, der an einer Portion mit Arsen versetztem "Verhackert" starb. Erwähnt seien unbedingt noch Machatas Beiträge zur Identifikation von Schussrückständen und zur Ermittlung der Herkunft illegaler Drogen anhand der Begleitstoffe. Um auf diesem Gebiet forschen zu können, wandte er sich in den 1980er Jahren an Innenminister Karl Blecha, der verfügte, dass sämtliche Suchtgift-Aufgriffe vom Flughafen Wien-Schwechat zur Analyse an den engagierten Toxikologen gingen.
Auch nach seiner Emeritierung 1990 war Machata unermüdlich in seinem Fach tätig. Die anschauliche, anregende und ungezwungene Art, in der er seine Arbeit präsentierte, veranlasste die Vereinten Nationen, ihn in den Internationalen Suchtgiftkontrollrat zu wählen und Trainingskurse für in der Drogenfahndung tätige Chemiker, Polizisten und Zöllner in China zu finanzieren.
Gegenwärtige Misere
Über 150 wissenschaftliche Publikationen tragen Gottfried Machatas Namen. Für sein herausragendes Wirken wurde er mit etlichen Auszeichnungen geehrt, unter anderem mit dem Fritz-Pegel-Preis der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (1985) und dem Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst erster Klasse (1997). Seit 2003 war Machata - als erster Chemiker - Ehrenmitglied der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin.
Gegen Ende seines Lebens - Gottfried Machata starb Ende September 2012 - beklagte er den Umstand, dass in Wien, nach über 200-jährigem Bestehen des Gerichtsmedizinischen Institutes, die Abteilung für Forensische Chemie in ihrer ursprünglichen Form und der damit verbundenen Effektivität nicht mehr existiert. In ihrer heutigen Struktur kommt die Einrichtung weder an die Größe und Bedeutung noch an den fachlichen Ruf und das internationale Ansehen heran, das sie zu Machatas aktiver Zeit hatte.
Helga Schimmer, geboren 1967, lebt als freie Schriftstellerin im östlichen Niederösterreich. Sie verfasst u.a. Sachbücher über wahre Verbrechen. Zuletzt erschien "Mord in Wien" im Haymon Verlag. "Die Fälle des Prof. Machata" stehen auf www.vorleser.net/html/ truecrime.html als kostenloser mp3-Download zur Verfügung.