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Die Fallstricke beim Energiehandel

Von Alfred Schuch

Gastkommentare

Was hinter der Schieflage der Wien Energie steckt.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 2 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Die Meldungen um die Börsengeschäfte der Wien Energie haben sich in den vergangenen Tagen überschlagen, und einige Player versuchen daraus (politisches) Kapital zu schlagen, ohne die Situation sachlich zu analysieren - soweit dies für Außenstehende ohne verfügbare Fakten beziehungsweise Details überhaupt möglich ist - und, basierend auf den vorläufigen Ergebnissen, die richtigen Schlüsse zu ziehen.

Um die Hintergründe der üblichen Börsengeschäfte (hier an der Terminmarktbörse EEX) beziehungsweise deren Clearing Institution ECC (nachstehend EEX) besser zu verstehen, kann ein Rückblick hilfreich sein: Vor etwa 20 Jahren wurde bei leitungsgebundener Energie Wettbewerb ermöglicht - im Jahr 2001 für Elektrizität und 2002 für den Energieträger Erdgas.

Dafür mussten die bis dorthin zusammengelegten Geschäftsprozesse in Aktivitäten, die dem Wettbewerb unterliegen - also den Vertrieb von Elektrizität und Erdgas - sowie in regulierte Bereiche - den Betrieb von Strom- und Erdgasnetzen - aufgetrennt werden ("Unbundling" nach Anforderung). Auch war es notwendig, den Netzzutritt, die Netzbenutzung und die Transportkapazitätsfragen sowohl für die Strom- als auch für die Erdgasnetze zu entwerfen und umzusetzen. Um den Wettbewerb zu fördern, wurden Energiebörsen implementiert, die sich über die Jahre - trotz anfänglich zäher Fortschritte - zu funktionierenden Märkten entwickelt haben.

Börse vs. bilateraler Handel

Funktionierende Energiebörsen erfordern - unter anderem - Liquidität, Anonymität und, wo förderlich und möglich, volle Transparenz. Der Vorteil von Transaktionen an der Börse gegenüber bilateralem Handel ("over the counter") liegt, grob gesagt, darin, dass die Börse als "central counter party" fungiert und somit die Forderungen des Verkäufers als auch des Käufers von einer Stelle, die gut "unterfüttert" sein muss, sichergestellt und die Transaktionen anonym abgewickelt werden, folglich die Konkurrenz so wenig wie nur möglich über die eigenen Geschäftsabsichten erfährt.

Der Nachteil des Börsenhandels liegt in den zu hinterlegenden Sicherheiten (Margins) inklusive eventuell erforderlichen Nachschüssen - wie im Fall der Wien Energie eingetreten. Das bedeutet, dass sowohl der Verkäufer als auch der Käufer von Elektrizität ausreichend Sicherheiten hinterlegen müssen, weil bei Nichterfüllung - beispielsweise wenn der Verkäufer aufgrund eines technischen Gebrechens seiner Kraftwerke nicht liefern oder der Käufer aufgrund einer finanziellen Schieflage nicht zahlen kann - die EEX die Forderungen der jeweiligen Seite begleichen muss. Die Sicherheiten müssen auf den tagesaktuellen Strompreis aktualisiert werden - dies kann in Nachschüssen seitens der oder Rückzahlungen an die Vertragspartner der EEX münden. Die Sicherheiten werden bei Glattstellung der Positionen rückerstattet.

Ein bilateraler Handel hat den Vorteil, dass dieses Margining nicht in der vorliegenden Form zu erfüllen ist - er hat aber den Nachteil, dass im Falle von finanziellen Problemen des Handelspartners man selber um die Forderungen umfallen kann, folglich möglicherweise selbst in finanzielle Schieflage gerät.

Die Wien Energie hat sich dazu entschieden, den Verkauf beziehungsweise die Beschaffung von Strom über die Börse sicherzustellen, vermutlich um liquide Absatz und Beschaffungsmöglichkeiten in Anspruch nehmen und sich - aufgrund des anonymen Handels - einen Wettbewerbsvorteil verschaffen zu können. Erschwerend für die Wien Energie ist die Tatsache, dass die Fernwärme Wien einen großen Teil ihres Wärmebedarfs aus der Abwärme der gasbefeuerten Kraftwerke der Wien Energie bezieht - somit die Kraftwerke oft aufgrund der Wärmebereitstellung, gefahren werden müssen. Folglich ist es für die Wien Energie essenziell, den Wärmebedarf mit dem Stromabsatz in Übereinstimmung zu bringen. Je weiter dies in absehbarer Zukunft passiert, desto besser ist die Planbarkeit des optimalen Betriebs der Kraftwerke und der Beschaffung von Strommengen.

Unvorhersehbarer Preissprung

Aus dieser Sicht sind die Terminkontrakte der Wien Energie üblich, nachvollziehbar und nicht per se verwerflich - zumal festgelegt ist, dass Leerverkäufe nicht erlaubt sind, und somit dieses - eventuell - erhebliche Risiko vermieden wird. Wenn man die bisher publik gemachten Daten, wie Nachschusspflicht (1,6 Milliarden Euro) und die offenen Positionen in der Höhe von 4.448 Gigawattstunden mit der öffentlich verfügbaren Formel fürs Margining in Verbindung bringt (simplifiziert), ergibt sich ein Preissprung der mit dem am 26. August tatsächlich stattgefundenen Preissprung an der EEX gut korreliert.

Somit scheinen die diesbezüglichen Statements der Wien Energie korrekt. Dass so ein Preissprung erfolgen würde, war - auch im Extremfall - nicht so einfach vorherzusehen, insbesondere wenn man berücksichtigt, wann Verkaufspositionen im Laufe des Jahres 2022 - oder davor - aufgebaut und noch nicht glattgestellt wurden, weil eben der Zeitpunkt der physischen oder finanziellen Erfüllung in der (relativ fernen) Zukunft liegt.

Wichtig wäre zu untersuchen, warum der Preissprung für Elektrizität am besagten Freitag gegenüber Donnerstag mehr als 35 Prozent und gegenüber Mittwoch sogar mehr als 60 Prozent betrug - zumal der Preisanstieg bis zum besagten Mittwoch über die vergangenen Monate zwar erheblich war, aber eher stetig erfolgte. Im Hinblick auf "lessons learned" würde sich eine detaillierte Analyse lohnen, da der Erdgaspreis, der ja in den vergangenen Monaten den Strompreis über die gasbefeuerten Kraftwerke setzte, von Donnerstag auf Freitag um etwa 7 Prozent und von Mittwoch auf Freitag um 17 Prozent gestiegen ist.

Liquidität jederzeit sicherstellen

Bemerkenswert ist auch der Preisverfall für Strom vom Freitag auf den folgenden Montag. Der Preiszuwachs von Donnerstag auf Freitag (für Elektrizität) ging von Freitag auf Montag wieder zur Gänze verloren. Bis zum Donnerstag (1. September) sank der Preis für Strom um gut 50 Prozent im Vergleich zum Stand vom Freitag, während im selben Zeitraum der Erdgaspreis um "lediglich" 33 Prozent fiel.

In diesem Zusammenhang wird die Veröffentlichung der Kriterien, nach denen die EEX den Handel kurzfristig aussetzen muss, angeregt. Die Darstellungen entbinden die Wien Energie natürlich nicht von der Verpflichtung, die Liquidität jederzeit sicherzustellen - aber dies hätte man proaktiver und transparenter machen müssen, mit der entsprechenden Kommunikationsstrategie. Natürlich kann man im Nachhinein sagen, die Wien Energie hätte - zumindest teilweise - in bilaterale Verträge gehen sollen, um eventuelle Nachschusspflichten geringer zu halten, aber dieser Zugang könnte zu zukünftigen Forderungsausfällen führen, wenn der Käufer in finanzielle Schwierigkeiten geraten sollte.

Falls Verpflichtungen (Lieferung von Strom) der Wien Energie beispielsweise im heurigen Jänner (zirka 140 Euro je Megawattstunde) oder März (zirka 180 Euro je Megawattstunde) 2022 eingegangen wurden, können diese nicht ohne Weiteres abgebaut werden, weil es de facto unmöglich ist, jemandem diese Verpflichtung (Stromlieferung um 140 beziehungsweise 180 Euro ja Megawattstunde) zu übertragen, da der Verpflichtete bei Übernahme solcher Verpflichtungen derzeit rund 550 Euro je Megawattstunde erlösen könnte. Somit ist eine sinnvolle Reduktion auf zukünftige Handelsaktivitäten nur beschränkt und sorgfältig anzupassen.