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Die (fast) privatisierte Schubhaft

Von Wolfgang Zaunbauer

Politik

Im neuen Schubhaftzentrum Vordernberg mischt ein privates Sicherheitsunternehmen kräftig mit.


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Wien. Das private Sicherheitsunternehmen G4S sucht derzeit Personal im großen Stil: Securities, Betreuer, Psychologen, Sozialarbeiter, Haustechniker, Krankenpfleger, Ärzte, Köche und Reinigungskräfte. Ab dem kommenden Jahr wird das Unternehmen nämlich das derzeit noch in Bau befindliche Schubhaftzentrum im steirischen Vordernberg betreiben. Insgesamt 100 G4S-Mitarbeiter sollen dort bis zu 200 Schubhäftlinge betreuen - was am Donnerstag in sozialen Medien für Empörung gesorgt hat. Von "Privatisierung von Schubhaft" und Ähnlichem war die Rede. Ganz so drastisch ist es bei genauerer Betrachtung freilich nicht.

Schon im April wurden in einem Vertrag zwischen Innenministerium und Gemeinde Vordernberg der Kommune alle Dienstleistungen im Schubhaftzentrum übertragen, die über die hoheitlichen Kernaufgaben hinausgehen. Dazu zählen etwa die Gesundheitsversorgung, gewisse "Verwaltungstätigkeiten, der Betrieb des Warenkiosks und der Bücherei sowie die Wäschereinigung", wie es in einer Aussendung des Ministeriums vom April heißt. Vordernberg wiederum hat über ein Vergabeverfahren diese Aufgaben an G4S übertragen. Der Vertrag zwischen Unternehmen und Gemeinde hat ein Volumen von 68 Millionen Euro und eine Laufzeit von 15 Jahren.

Auch in Traiskirchen ist die Betreuung privatisiert

Ungewöhnlich ist das freilich nicht. Auch in den Erstaufnahmezentren in Traiskirchen, Thalham, Bad Kreuzen und Reichenau ist die Betreuung der Asylwerber an ein Privatunternehmen ausgelagert, nämlich an die schweizerische ORS Service GmbH. Im Falle von Vordernberg ist die Auslagerung allerdings umfangreicher. Von einer Privatisierung der Schubhaft zu sprechen, wäre allerdings übertrieben. "Nur der nichthoheitliche Teil wurde ausgeschrieben. Der ganze Sicherheitsbereich bleibt beim BMI", sagt ein Sprecher des Innenministeriums auf Anfrage der "Wiener Zeitung". 55 Exekutivbeamte werden im Schubhaftzentrum ihren Dienst versehen.

Die Anstalt gänzlich in private Hände zu legen, wäre verfassungsrechtlich gar nicht möglich, sagt Verfassungsrechtler Heinz Mayer: "Die Kernaufgaben des Staates dürfen nicht ausgelagert werden." Das betrifft alles, was das staatliche Gewaltmonopol betrifft. Daher seien etwa auch private Gefängnisse, wie sie zum Beispiel in den USA oder Großbritannien existieren, in Österreich (ebenso wie in Deutschland) nicht möglich. "Die obersten Staatsorgane sind verantwortlich für die Erfüllung der Kernaufgaben des Staates. Sie können sich dieser Verantwortung nicht durch Auslagerung an Private entziehen", sagt Mayer.

Der Tod des Abschiebehäftlings

In anderen Ländern ist G4S aber sehr wohl als Gefängnisbetreiber tätig. In Großbritannien führte es auch Abschiebungen durch. Im Zuge einer solchen Abschiebung kam am 12. Oktober 2010 der Angolaner Jimmy Mubenga ums Leben. Drei G4S-Mitarbeiter hatten ihn im Flugzeug minutenlang zu Boden gedrückt, woraufhin der 46-Jährige erstickte. Eine Untersuchungskommission sprach von "unverhältnismäßiger Gewaltanwendung". Bis heute ist allerdings offen, ob der Fall ein gerichtliches Nachspiel haben wird.

Der Fall Mubenga ist der schlimmste in einer ganzen Reihe von Zwischenfällen, in die G4S involviert war. Immer wieder wird von Menschenrechtsverletzungen berichtet. Kritisiert wird zudem die schlechte Bezahlung und Ausbildung der Mitarbeiter. Das alles hat dazu geführt, dass der Ruf des weltweit größten Sicherheitsunternehmens (625.000 Mitarbeiter, 8,7 Milliarden Euro Umsatz) ziemlich ramponiert ist. Regelrecht blamiert hat sich G4S darüber hinaus bei den Olympischen Spielen 2010 in London, als man kurz vor dem Großereignis eingestehen musste, dass man nicht genügend Personal aufbieten kann. Die britische Armee musste kurzfristig mit 3500 Mann aushelfen.

Es begann mit der Wach- und Schließgesellschaft

In Österreich ist G4S mit mehr als 3000 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von 90 Millionen Euro unangefochtener Platzhirsch unter den privaten Sicherheitsfirmen. Die schon 1904 gegründete "Wiener Wach- und Schließgesellschaft" wurde 1993 Teil des britisch-dänischen Unternehmens Group 4, aus der 2004 G4S wurde. Von Beginn an zählte auch der Staat zu den Kunden des privaten Wachdienstes, früher etwa für Eisenbahnsicherheit, heute kontrolliert G4S unter anderem die Eingänge zahlreicher österreichischer Gerichtsgebäude. (Auch im Burgtheater regelt das Unternehmen den Zutritt. Die aktuelle Geschichte kam nämlich auf, als beim Kongress zum 125-jährigen Bestehen des Theaters ein Billetteur in einer unangekündigten Rede dies zur Sprache brachte und seinen Arbeitgeber G4S massiv kritisierte.)

Die Vorteile einer solchen Partnerschaft liegen auf der Hand: Der Private kann das Personal wesentlich günstiger beschäftigen, als der Staat. Auch beim Schubhaftzentrum Vordernberg erwartet sich das Innenministerium geringere Kosten durch die Auslagerung. In dieser Form sei die Zusammenarbeit "ein neues Modell", sagt ein Ministeriumssprecher.

Ein Haftzentrum mit Wohlfühlfaktor?

Neu soll auch die Art der Schubhaft in Vordernberg sein. Die bisherigen Anhaltezentren seien "weder von ihrer baulichen Beschaffenheit noch von den infrastrukturellen Gegebenheiten optimal dafür equitiert, eine moderne, in humanitärer und sozialer Hinsicht qualitätvolle Anhaltung von Fremden sicherzustellen", heißt es in einem Informationsfolder des BMI. Sprich: Es soll weniger gefängnismäßig sein, aber trotzdem ein geschlossenes Areal.

"Vordernberg nimmt mit dem Schubhaftzentrum eine Vorreiterrolle ein", erklärte Innenministerin Johanna Mikl-Leitner im April. "Die Achtung der Menschwürde und die möglichste Schonung der Angehaltenen ist uns ein großes Anliegen." Vor allem soll abzuschiebenden Familien ein erträgliches Beisammensein ermöglicht werden (wobei Kinder nur freiwillig in Schubhaft kommen). Angesichts der Tatsache, dass es sich trotzdem um eine Hafteinrichtung handelt, klingt es fast zynisch, wenn Mikl-Leitner sagt: "Ziel ist es, den Menschen in der Schubhaft eine Umgebung zu bieten, in der sie sich möglichst wohlfühlen können."

Eigentlich hätte das Schubhaftzentrum schon Mitte 2012 eröffnet werden sollen. Weil sich der Baubeginn aber verzögert hat, wird es erst Anfang 2014 in Betrieb gehen. Für die strukturschwache Region ist das Anhaltezentrum ein Segen, entstehen doch rund 180 "krisenfeste" Arbeitsplätze. Für Vordernberg bedeutet das eine Wertschöpfung von rund 13 Millionen Euro im Jahr - auch ein Grund, warum sich bei einer Bürgerbefragung 70 Prozent für den Bau des Schubhaftzentrums aussprachen.