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Die "Fehlsortierung" von Schülern scheint unvermeidlich

Von Heiner Boberski

Wissen
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Christiane Spiel konstatiert für Österreich eine Art "Bildungsvererbung".
© WZ/Newald

Experten-Workshop befasste sich mit den Übergängen im Bildungssystem.


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Wien. "Fehlsortierungen" - nämlich das Einschulen von Schülern in einen Schultyp, der weder ihrem Wissen und Können noch ihren Interessen entspricht - seien im österreichischen Bildungssystem nicht zu vermeiden, man sollte den Fokus gleich auf spätere Korrekturmöglichkeiten legen. Diese Ansicht vertritt der Soziologe Lorenz Lassnigg vom Wiener Institut für Höhere Studien.

Lassnigg referierte im Rahmen des Workshops "Individuelle und institutionelle Übergänge im Bildungssystem - Lost in Transition?" der Österreichischen Forschungsgemeinschaft in Wien. Er zeigte dabei auf, dass Österreich die Nummer 1 in der frühen Selektion ist, wobei aber das Leistungsvermögen guter Hauptschüler jenem schlechter AHS-Schüler häufig überlegen sein könne.

Auch der Salzburger Erziehungswissenschafter Ferdinand Eder kritisierte, das heimische Bildungswesen produziere Gewinner und Verlierer, Verlierer seien die, die es nicht ins Gymnasium oder in eine Hauptschule mit Profilbildung - etwa für Sport oder Informatik - schafften.

Der Übergang von der Volksschule in die Sekundarstufe I bedeutet eine Weichenstellung. Für die Wiener Bildungspsychologin Christiane Spiel wird in Österreich Bildung quasi vererbt: "Nahezu zwei Drittel der 17-Jährigen, deren Eltern einen Hochschulabschluss haben, besuchen die AHS. Verfügen die Eltern jedoch nur über einen Pflichtschulabschluss, beträgt die Aussicht auf eine AHS-Matura nur acht Prozent." Zugleich gab Spiel zu bedenken, dass ein zu massives Interesse an einer Akademisierung zu einem Vernachlässigen der beruflichen Bildung führen könne.

"Wir werden um das duale System von vielen beneidet", lobte der Münchner Pädagoge Rudolf Tippelt die Verbindung von höherer Bildung mit beruflicher Ausbildung, die auch ein Grund für die relativ niedrige Arbeitslosigkeit in den deutschsprachigen Ländern sei. In Deutschland hätten freilich weit mehr Lehrlinge Maturaniveau als in Österreich, meinte dazu Lorenz Lassnigg, dem insgesamt die Vorschulerziehung am wichtigsten erscheint.

Vom Spielen zum Lernen

Beim Übergang vom Kindergarten in die Volksschule geht die Schweiz neue Wege. Susanne Bosshart (Pädagogische Hochschule St. Gallen) stellte die in einigen Kantonen erprobte "Basisstufe 4" vor. Dabei sind zwei Kindergartenjahre (ab 4) Pflicht und mit den ersten beiden Schulklassen verschränkt. Die Kinder werden nicht nach dem Alter, sondern nach dem Entwicklungsstand in Gruppen mit zwei Erziehern (die Ausbildung für Kindergarten und Grundschule ist dort seit 2003 angeglichen) eingeteilt und behutsam vom interessenorientierten Tun zum lernzielorientierten Lernen geführt. Laut der Kölner Expertin Petra Hanke haben Verhaltensauffälligkeiten von Kindern in diesem Alter vorwiegend Ursachen außerhalb von Schule und Kindergarten.

Rudolf Tippelt befürwortet eine nicht total, aber im Kernbereich gleiche Ausbildung für alle pädagogischen Berufe, vor allem aber wünscht er sich mehr Wertschätzung zwischen allen Gruppen, von den Hochschullehrern bis zu den Kindergartenpädagogen.

Die Zugehörigkeit zu gesellschaftlichen Schichten beeinflusst auch den Übergang an eine Universität sehr, erläuterte der Berliner Bildungsforscher Rainer Watermann: "Statushöhere Schüler schätzen die Erträge höher ein, statusniedrigere Schüler die Kosten." Studiengebühren halten am ehesten Arbeiterkinder und Frauen von einem Studium ab. Der deutsche Numerus clausus, also die Zulassung zum Studium nur mit einem guten Notendurchschnitt, garantiert übrigens nicht mehr Studienerfolg: Die Drop-out-Raten sind nicht gesunken.