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Die Fenster der Kirche weit aufgemacht

Von A. Brüggemann und A. Reiser

Politik

Vatikan - Für viele klang es wie eine Befreiung: "Macht die Fenster der Kirche weit auf!" Das Motto, das - der mittlerweile selig gesprochene - Papst Johannes XXIII. (1958-1963) laut einer nie bestätigten Anekdote nach seinem Amtsantritt ausgegeben hatte, ging als Weckruf durch die katholische Welt. Im Jänner 1959 rief er ein allgemeines Konzil aus, das erste seit fast einem Jahrhundert und das dritte der Neuzeit überhaupt. Vor genau 40 Jahren, am 11. Oktober 1962, begann dieses richtungsweisende Konzil.


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Zuvor hatte es hinter den Kulissen ein heftiges Ringen zwischen den "Bewahrern" und den "Progressiven" gegeben. Dass das Aufbegehren gegen den antimodernistischen Reformstau nicht vornehmlich aus der kirchenpolitischen "Linken", sondern vielmehr aus dem "Mainstream" entsprang, beweist nicht zuletzt der Bauernsohn Angelo Roncalli selbst, dessen theologisch tief konservative Gesinnung niemand ernsthaft in Zweifel ziehen kann.

Der prächtige Einzug der 2.450 Konzilsväter in den Petersdom am 11. Oktober 1962 wurde auch zum Triumphzug für die Idee des 80-jährigen Papstes, dessen tödliche Krebserkrankung bereits ihre Schatten vorauswarf. Für das letzte Stück Weges verließ er die Sänfte - ein Symbol des kirchlichen Feudalismus, das sein Nachfolger Paul VI. abschaffen sollte - und ging zu Fuß: auf Augenhöhe mit den Problemen der Welt und der Weltkirche, die hier zur Sprache kommen sollten. Die dreijährige Kirchenversammlung machte Geschichte und führte zu atemberaubenden Veränderungen: eine tief greifende liturgische Erneuerung (der Gebrauch der Volkssprache war nur die äußerlich auffallendste Veränderung), ein verstärktes Selbstbewusstsein der Ortsbischöfe gegenüber Rom, aber auch der Laien gegenüber den Bischöfen, die Bewusstwerdung von Weltkirche und eine ökumenische Öffnung ohne Vorbild. Den Grundton hatte Johannes XXIII. bei der Eröffnungsansprache mit seiner Warnung vor den "Unglückspropheten" (profeti di sventura) angeschlagen: Eine optimistische, von tiefem Gottvertrauen geprägte Haltung.

Das Konzil machte Kardinäle und Berater zu Helden, zu Ikonen der Theologie des 20. Jahrhunderts: Franz König, Leon Suenens, Joseph Frings, Karl Rahner, Edward Schillebeeckx, Joseph Ratzinger, Yves Congar. Die "Bewahrer", etwa Kardinal Alfredo Ottaviani, gerieten ins Hintertreffen. Die Auseinandersetzungen der beiden Pole, die das ganze Konzil über anhalten sollten, setzen sich freilich bis heute - bis hinein in Pfarren und Pfarrgemeinderäte - fort. Sie wirken oftmals wie ein "verdecktes Schisma" (so der Kirchenhistoriker Victor Conzemius). Die Texte des Konzils sind letztlich Kompromiss-Texte; beide Formationen - die "traditionalistische" wie die "progressive" - können aus dem Wortlaut Argumente destillieren.

Der Euphorie des Konzils folgte - vor allem in Nordwesteuropa und in Nordamerika - eine Zeit allgemeiner Verunsicherung. Die teils übers Ziel hinaus schießende Experimentierfreudigkeit im Gottesdienst und der "Bildersturm" bei Kircheneinrichtungen trieb in diesen Gebieten manche Katholiken in die Arme von Traditionalisten wie dem französischen Erzbischof Marcel Lefebvre. Die Auseinandersetzungen um die Liturgie waren dabei freilich ein Vorwand. Was vielen "Traditionalisten" wirklich gegen den Strich ging, war der Abschied vom "Ein feste Burg"-Kirchenbild, wie es sich nach dem Ersten Vatikanischen Konzil von 1869/1870 auf Grund der historischen Entwicklung herauskristallisiert hatte, der endgültige Bruch mit dem "Anti-Judaismus", den die Konzilserklärung "Nostra Aetate" markiert und das Bekenntnis zur Religionsfreiheit, wie es in der Erklärung "Dignitatis humanae" zum Ausdruck kommt.

Heute steht aber außer Frage, dass es das Zweite Vatikanische Konzil war, das der katholischen Kirche den Weg ins 21. Jahrhundert gebahnt hat. Papst Johannes Paul II., der selbst zutiefst vom Erlebnis des Konzils geprägt ist, hat dies mehrfach zum Ausdruck gebracht. Und Kardinal Franz König, eine der bestimmenden Gestalten des Zweiten Vatikanischen Konzils, hat daran erinnert, dass die Kirche ohne Konzil die Konfrontation mit dem Säkularismus des späten 20. Jahrhunderts nie hätte bestehen können.

Der Kirchenhistoriker Hubert Jedin, einer der bedeutendsten Erforscher der Geschichte der Konzilien, hat als Essenz seiner Forschung festgehalten: Jedes Konzil hat mindestens ein halbes Jahrhundert gebraucht, bis seine Impulse wirksam werden konnten. Auf diesem Hintergrund ist das Zweite Vatikanische Konzil zwar Geschichte, aber es ist auch weiterhin Gegenwart und ständige Herausforderung für die Kirche.