Nuland wollte 2012 Informationen zu Anschlag auf Konsulat in Libyen vertuschen.
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Kiew/Washington. Victoria wer? Höchstens Experten in Sachen Außenpolitik und Diplomatie konnten bis vor kurzem etwas mit dem Namen Victoria Nuland anfangen. Dank der Krise in der Ukraine und eines YouTube-Videos gelangt die für Europafragen zuständige Abteilungsleiterin im US-Außenministerium nun zu ungewollter Bekanntheit. "Fuck the EU", also "Scheiß auf die EU." So sah Nuland in einem Telefonat mit dem Botschafter der Vereinigten Staaten in der Ukraine, Geoffrey Pyatt, die Rolle der Union, wenn es um eine Lösung im osteuropäischen Konfliktherd geht.
Zwar bemüht sich das State Department, den Schaden zu begrenzen, hat auch eine Entschuldigung parat: "Natürlich hat Frau Nuland mit ihren europäischen Partnern gesprochen und sich für die Bemerkungen entschuldigt", ließ die Sprecherin des US-Außenministeriums wissen. Persönlich um Verzeihung wollte Nuland aber nicht bitten: Sie werde sich nicht "zu einer privaten diplomatischen Unterhaltung" äußern, sagte sie in Kiew. Nulands Bemerkungen spiegelten nicht wider, wie sie tatsächlich über die Beziehung der USA zur EU denke, sagte US-Außenamtssprecherin Jen Psaki am Freitag in Washington.
Zwischen Schweigen und Schelte schwanken die Reaktionen von europäischen Spitzenpolitikern. "Wir kommentieren angeblich abgehörte Gespräche prinzipiell nicht", erklärte die Sprecherin der EU-Kommission. Die Beleidigung der EU sei "absolut inakzeptabel", sagte hingegen die stellvertretende deutsche Regierungssprecherin im Auftrag von Angela Merkel. Die Kanzlerin trat aber nicht persönlich vor die Kameras, um Kritik an den USA zu üben - wie sie es beispielsweise im Zuge der NSA-Spitzelaffäre gemacht hat.
Merkels Landsmann Martin Schulz, EU-Parlamentspräsident und Spitzenkandidat der Sozialdemokraten bei den Europawahlen im Mai, kritisierte am Freitag generell Abhörpraktiken von Geheimdiensten: "Das Gefährliche ist, dass wir ja jeden Tag erneut sehen, dass es nichts mehr in dieser digitalisierten Welt der Geheimdienste gibt, das man noch als geschützt betrachten kann. Ein Diplomat kann mithilfe seiner Regierung vielleicht Dinge noch korrigieren. Ein einfacher Bürger wäre in einer solchen Situation völlig ausgeliefert." Wer das Telefonat der zwei US-Diplomaten abhörte und im Internet veröffentlichte, ist noch unklar. Die USA beschuldigen Russland und werten als Indiz, dass das YouTube-Video russische Untertitel beinhaltet. Zudem twitterte ein Mitarbeiter von Vizepremier Dmitri Rogosin einen Link zum Video.
"Dies ist ein neuer Tiefstand der russischen Spionagetaktik", sagte das US-Außenministerium zur Abhörung seiner Diplomatin - aber auch alles andere als ein Ruhmesblatt für Victoria Nuland. Sie steht zum zweiten Mal binnen eineinhalb Jahren in der Kritik. Als Sprecherin des Außenministeriums unter Hillary Clinton machte Nuland im September 2012 eine schlechte Figur. Zum damaligen Jahrestag der Anschläge auf das World Trade Center wurde das US-Konsulat im libyschen Bengasi gestürmt; Botschafter Chris Stevens und drei weitere Amerikaner starben damals.
Geplanter Anschlag statt spontaner Aufruhr
Susan Rice, damals Botschafterin der USA bei den UN, unterschlug die Warnung der Geheimdienste vor Attentaten und erklärte lediglich öffentlich, dass es sich um spontane Anschläge nach einem Anti-Islam-Video gehandelt habe. Die Unterlagen zur Vorbereitung für Rices Medienauftritte wurden von Nuland vorab gesichtet; sie urgierte eine Streichung sämtlicher Passagen, die vorangegangene Geheimdienst-Warnungen an das State Department vor Anschlägen in Libyen beinhalteten, damit man nicht behaupten könne, das Ministerium schütze seine Diplomaten nicht. Die Vertuschung flog auf, Rice war diskreditiert, konnte ihr Wunschamt als Außenministerin nach der Bengasi-Affäre nicht antreten.
Nuland amtiert seit September vergangenen Jahres als Abteilungsleiterin im Außenministerium. Die Karrierediplomatin diente unter drei Präsidenten: Bill Clinton, George W. Bush und Barack Obama. Zur Lösung des Ukraine-Konfliktes wollte sie die UN beiziehen, während sie auf die EU keinen Wert legte. Die Europaskepsis teilt Nuland anscheinend mit ihrem Mann, dem neokonservativen Politologen Robert Kagan. Der sagte während der Bush-Ära: "Amerikaner kommen vom Mars, Europäer von der Venus."