Dramatische Strukturbereinigung. | Sogar der Rettungsfonds ging beinahe pleite. | 400 Geldinstitute sind immer noch in Gefahr. | Der Horror ist längst noch nicht vorbei: Obwohl große US-Investmentbanken wie Goldman Sachs oder J.P. Morgan wieder über Milliardengewinne jubeln dürfen, zeigt sich, wie krisenanfällig das amerikanische Bankensystem ein Jahr nach dem Höhepunkt der Finanzkrise nach wie vor ist. Heuer sind nämlich bereits 124 US-Geldinstitute in den Bankrott gerasselt - so viele wie seit 17 Jahren nicht mehr: 1992 waren im Zuge einer schweren Krise der US-Sparkassen insgesamt 181 Institute unter die Räder geraten.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 15 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Im vergangenen Jahr sind hingegen laut "Wall Street Journal" nur 25 Banken pleitegegangen. 2007 waren es überhaupt nur drei. Auch das heurige Jahr begann harmlos - mit sechs Bankinsolvenzen im Jänner und fünf bis zehn in den darauf folgenden Monaten. Der Sommer hatte es jedoch in sich: Im Juli brachen plötzlich 24 Geldhäuser zusammen, und von Anfang August bis Ende Oktober erwischte es 46 weitere. Am stärksten war der Bundesstaat Georgia mit 21 Break-downs betroffen, gefolgt von Illinois (19), Kalifornien (15) und Florida (11).
Im vergangenen Monat rutschten an zwei Freitagen sieben bzw. neun Banken in die Pleite. Der größte Fall war die Bank of Elmwood in Wisconsin, deren Einlagen sich auf 330 Millionen Dollar beliefen. Am ersten Freitag im November erwischte es fünf kleinere Bankinstitute gleichzeitig, darunter die United Commercial Bank in San Francisco. Für die jüngste Pleite sorgte die Commerce Bank of Southwest Florida, die am vergangenen Freitag geschlossen wurde.
Die CIT legte die größte Pleite hin
In den meisten Fällen sind an den schwarzen Freitagen kleinere und mittelgroße Regionalbanken k.o. gegangen, die an den Nachwehen der Subprime-Krise zu leiden hatten und Opfer fauler Hauskredite wurden. Die First Bank of Kansas City etwa hat Einlagen von lediglich 15 Millionen Dollar verwaltet. Sie musste nicht total in der Versenkung verschwinden, sondern wurde, wie fast alle Pleite-Banken, blitzartig von einem neuen Eigentümer übernommenen - im konkreten Fall wird sie von der Great American Bank weitergeführt.
Der laut US-Experten längst fälligen Marktbereinigung in der Bankenszene fallen indes nicht nur kleinere Institute zum Opfer. Auch einige Riesen haben sich als nicht lebensfähig erwiesen. Bei den rund 20 größeren Banken-Pleiten betrugen die Einlagen zumindest eine Milliarde Dollar (siehe Tabelle). Spektakulär in den Ruin schlitterte beispielsweise die Colonial Bank aus Alabama, die Kundengelder im Wert von 20 Milliarden Dollar verwaltet hatte.
Oder die texanische Guaranty Bank, bei der Einlagen in Höhe von 12 Milliarden Dollar geparkt waren - sie hatte es immerhin auf 103 Filialen in Texas und 59 in Kalifornien gebracht und wurde umgehend von der Bank Bilbao Vizcaya Argentaria gerettet. Die größte Bank Floridas wiederum, BankUnited Financial, richtete mit ihrem Kollaps einen Schaden von rund fünf Milliarden Dollar an. Sie wurde an ein Konsortium von Beteiligungsgesellschaften verhökert, dem unter anderen die Branchengrößen Carlyle und Blackstone angehören.
Für die Mega-Insolvenz schlechthin sorgte der New Yorker Mittelstandsfinanzierer CIT, der seit dem Kollaps von Lehman Brothers und dem Zusammenbruch der führenden Sparkasse Washington Mutual die größte Insolvenz einer US-Bank hinlegte. Die mehr als 100 Jahre alte CIT hatte sich während des Kreditbooms zu viele Hypotheken- und Studentendarlehen aufgeladen und auf einen Schuldenberg von 65 Milliarden Dollar eingelassen. Als sich die Krise verschärfte und die Ratingagenturen die Kreditwürdigkeit des Unternehmens herunterstuften, wurde die Finanzierung immer teurer. Überdies wuchs der Berg an faulen Krediten bedrohlich an - zuletzt war jedes zehnte Darlehen an Firmenkunden vom Ausfall bedroht.
Anfang November musste die Bank nach einem monatelangen Überlebenskampf gemäß Chapter 11 des US-Insolvenzrechts Gläubigerschutz beantragen. Neun von zehn Gläubigern stimmten dem Restrukturierungsplan zu. Sie sind bereit, auf rund 30 Prozent ihrer Forderungen zu verzichten und erhalten im Gegenzug neu ausgegebene Aktien des Instituts. Auf diese Weise wird die Bank schon in einigen Wochen wieder ihre reguläre Geschäftstätigkeit aufnehmen können. Die 2,3 Milliarden Dollar, die CIT im Dezember 2008 an Staatshilfe erhalten hat, dürften weitgehend verloren sein.
Die Retter gerieten selbst in arge Nöte
Die zentrale Rolle im amerikanischen Bankensterben spielt Sheila C. Bair, seit Mitte 2006 Chefin des staatlichen US-Einlagenfonds. Die laut "Forbes" zweitmächtigste Frau der Welt nach der deutschen Kanzlerin Angela Merkel steht an der Spitze der Federal Deposit Insurance Corporation (FDIC) und ist für 5160 US-Geldinstitute zuständig.
Die Pleitewelle hat der Regierungsbehörde, deren Fonds Anfang 2009 noch mit 45 Milliarden Dollar bestückt war, schwer zugesetzt: Der Kracher der Colonial Bank etwa kostete sie 2,8 Milliarden Dollar. Der Bankrott der BankUnited Financial in Florida verschlang 4,9 Milliarden. Und als die Georgian Bank mit Sitz im US-Bundesstaat Georgia im September ins Out schlitterte, musste man mit 900 Millionen zu Hilfe eilen - obwohl die Einlagen in Höhe von zwei Milliarden Dollar von einem Rivalen im Nachbarstaat South Carolina übernommen wurden. Selbst wenn die FDIC Käufer für die schwer angeschlagenen Banken findet - was sie meistens schafft -, muss sie in der Regel dennoch Altlasten tragen.
Kurzum: Die FDIC drohte bereits zur Jahresmitte in Folge der vielen Rettungsaktionen selbst in die roten Zahlen zu rutschen. Sie sitzt auf mehr als 5000 großteils nicht fertiggestellten Häusern, häufig heruntergekommenen Gebäuden und zu verwertenden Grundstücken. Diese Immobilien, deren Gesamtwert auf 1,8 Milliarden Dollar geschätzt wird, sind allerdings fast durchwegs schwer verkäuflich. Deshalb musste sich die FDIC ein neues Prozedere einfallen lassen, um nicht selbst handlungsunfähig zu werden. So etwa müssen die Banken neuerdings ihren Obolus für drei Jahre im Voraus leisten (siehe Kasten Wissen).
Stützungaktion: Gefahr einer zweiten Blase
Die Lage wird durch das drohende Debakel des staatlichen Hypotheken-Garanten Federal Housing Administration (FHA) noch verschärft. Die Reserven der FHA haben sich in den letzten Monaten auf nur noch 0,53 Prozent der 653 Milliarden Dollar schweren Hypotheken reduziert, die von ihr versichert werden. Die Institution, der ein Puffer von zwei Prozent vorgeschrieben ist, hat sich in jüngster Zeit als wichtiger Player bei der Vergabe von Krediten an Hauseigentümer mit schwacher Bonität positioniert und ihren Marktanteil beträchtlich ausgeweitet. Die Hoffnung der Regierung, dass dadurch der Wohnungsmarkt stabilisiert wird und die Häuserpreise wieder steigen, könnte sich als trügerisch erweisen. Experten sehen die Gefahr, dass sich die Subprime-Blase erneut füllen könnte.
Das Ende der dramatischen Marktbereinigung in der Bankenbranche zeichnet sich nicht einmal annähernd ab: Hatte die FDIC Anfang des Jahres noch 252 Institute in einer schwarzen Liste von gefährdeten Geldhäusern geortet, so gelten jetzt schon mehr als 400 als akut existenzbedroht. Die Pleitewelle wird ungebremst weiterrollen - wie gewohnt stets am schwarzen Freitag.
Und warum immer freitags? Wird die FDIC aktiv, so muss sie die Bankgeschäfte praktisch handstreichartig übernehmen. Die diskreten Nachteinsätze sollen Schlangen wartender Kunden, die ihre Sparguthaben beheben möchten, nach Möglichkeit vermeiden.
Wissen
Die Federal Deposit Insurance Corporation (FDIC) wurde bereits 1933 als Pflichtversicherung für alle Mitgliedsbanken des Federal Reserve Systems gegründet. Als staatliche Einrichtung zum Schutz der Sparer ist sie für 5160 Banken und Sparkassen zuständig und sichert Einlagen bis zu 250.000 Dollar pro Konto ab - nicht allerdings Wertpapiere, Depotbestände oder Schließfachinhalte. Die genannte Summe wird ab Jänner 2014 (mit Ausnahme der Ruhestandsfonds) auf 100.000 Dollar gesenkt.
Dank des US-Einlagensicherungsfonds hat bisher noch kein einziger amerikanischer Sparer beim Zusammenbruch eines Geldinstituts einen Cent verloren. Die Regierungsbehörde, die in Washington und landesweit sechs Regionalbüros 5000 Mitarbeiter beschäftigt, ist heuer allerdings erstmals in die roten Zahlen gerutscht.
Damit sie zahlungsfähig bleibt, müssen die Banken nunmehr ihre Versicherungsbeiträge für die kommenden drei Jahre im Voraus, und zwar Ende dieses Jahres, entrichten. Dem Fonds sollen auf diese Weise kurzfristig 45 Milliarden Dollar (rund 30 Milliarden Euro) zur Verfügung gestellt werden.
Obendrein hat die FDIC beschlossen, ab 2011 die Beiträge der Institute anzuheben, was der US-Bankenverband letztlich zähneknirschend akzeptiert hat. Für den Zeitraum bis 2013 sind infolge der Pleitewelle weitere Kosten in Höhe von bis zu 100 Milliarden Dollar zu befürchten.