Krisen lösen vor allem in Afrika selbst Bewegungen von Flüchtlingen aus. | Ägypten und Tunesien lassen ihre Grenzen offen. | Brüssel/Tunis. Die Zahlen sprechen für sich: Während Europa sich streitet, wer sich um die bisher etwa 28.000 Flüchtlinge aus Nordafrika kümmern soll, sind allein nach Tunesien und Ägypten schon jeweils rund 200.000 Menschen gekommen. | Lampedusa kommt nicht zur Ruhe | Analyse: Unwürdiges Feilschen um Menschen | Krach in EU um Visa für Flüchtlinge | Diskussion um Schengen-Regeln
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Damit sind zwei Länder von der Flucht aus Libyen betroffen, die selbst gerade einen politischen Wandel durchmachen, ihre Institutionen neu aufbauen und die mit wirtschaftlichen Problemen wie einer hohen Jugendarbeitslosigkeit zu kämpfen haben.
"Das Erstaunliche und Bewundernswerte ist, dass diese Staaten trotzdem ihre Grenzen offen halten", betont die Sprecherin des UN-Flüchtlingshochkommissarriats, Melitta Hummel-Sunjic, gegenüber der "Wiener Zeitung". Und nicht nur das: Es gibt laut Hummel-Sunjic auch unter Teilen der Bevölkerung eine große Solidarität mit den Gestrandeten. Bürger würden ihre Heime für Flüchtlinge öffnen und Krankenhäuser medizinische Versorgung anbieten. Anscheinend breitet sich die bei den Revolutionen gefundene Volkssolidarität nun auch auf die Flüchtlinge aus.
Aus Libyen sind die verschiedensten Gruppen von Menschen geflohen: Da wären einmal etwa 80.000 Libyer selbst. Zudem haben zehntausende Gastarbeiter das umkämpfte Land verlassen.
Kommen sie aus angrenzenden Ländern wie Ägypten oder dem Niger, dann sind sie großteils wieder in ihre Heimat zurückgekehrt. Das schafft Druck auf dem Arbeitsmarkt: Die Heimgekehrten suchen nach neuen Jobs. Gleichzeitig fehlt den Volkswirtschaften nun das aus Libyen heimgeschickte Geld.
Zehntausende dieser geflohenen Gastarbeiter stammen aber aus weiter entfernten Ländern wie Bangladesch oder Nigeria. Sie werden nun - finanziert durch die Gelder der Industriestaaten und damit auch der Europäischen Union - in ihre Heimatländer zurückgebracht, berichtet Hummel-Sunjic.
"Doppel-Flüchtlinge" aus Somalia
Die dritte Gruppe bereitet UNHCR besonders viel Sorgen. Hummel-Sunjic bezeichnet sie als "Doppel-Flüchtlinge". Es sind dies tausende Menschen aus Somalia und Eritrea, die vor den gewaltsamen Konflikten in ihrer Heimat nach Libyen geflohen sind. Nun sind sie dort im nächsten Bürgerkrieg gelandet - und werden erst wieder brutal verfolgt. Sowohl Rebellen als auch die Gaddafi-Soldaten bezichtigen sie, als Söldner für die Gegenseite zu kämpfen. UNHCR hat nun an die Europäische Union appelliert, diese Flüchtlinge aufzunehmen.
Anders verhält es sich bei den nach Europa gekommenen Tunesiern. Sie werden nicht politisch verfolgt, stellen zumeist keinen Asylantrag und suchen Arbeit. Es würde an den EU-Staaten liegen, ob sie diese neuen Arbeitskräfte, die keinen Flüchtlingsstatus haben, aufnehmen wollen, sagt Hummel-Sunjic. Italien hat bereits die ersten Tunesier in ihre Heimat zurückgeschickt.
Doch nicht nur rund um Libyen spielen sich derzeit massive Fluchtbewegungen ab, sondern auch in Elfenbeinküste. Der Machtkampf um die Präsidentschaft, der in einem Bürgerkrieg mündete, hat in den vergangenen Wochen etwa eine Million Menschen zu Flüchtlingen im eigenen Land gemacht. Und 130.000 Ivorer sind aus dem Westen des Landes, wo Milizen Massaker verübten, nach Liberia geflohen.
Doch erholt sich Liberia selbst erst von einem Bürgerkrieg. Das arme Land kann nicht einmal die eigene Bevölkerung ausreichend versorgen. Trotzdem blieben auch hier die Grenzen offen. Allerdings könnte Liberia diese auch kaum schließen. Die afrikanischen Grenzen sind oft weniger überwacht und viel durchlässiger als etwa die Außengrenzen der EU.
Tausende verdursten oder ertrinken
Die durch die jüngsten Krisen ausgelösten Flüchtlingsbewegungen spielen sich also viel eher innerhalb Afrikas als Richtung Europa ab. Europa ist zwar für viele, die ihre Heimat verlassen (müssen), das Traumziel, doch die wenigsten Flüchtlinge, vor allem aus Schwarzafrika, schaffen es überhaupt so weit. Jedes Jahr sterben tausende Menschen - verdurstet auf dem Weg durch die Sahara, ertrunken im Mittelmeer nach dem Kentern von überfüllten Schiffen.
Zumeist bleiben die Flüchtlinge aber im Nachbarland. So leben allein im Nordosten Kenias mehr als 300.000 Menschen aus dem Bürgerkriegsland Somalia in einem der größten Flüchtlingscamps der Welt. Während die internationale Gemeinschaft in Ägypten und Tunesien sofort das UNHCR und Hilfsorganisationen bei der Errichtung von Zeltstädten kräftig unterstützte, hat man sich an die Existenz der in Kenia Gestrandeten längst gewöhnt. Sie werden oft als "vergessene Flüchtlinge" bezeichnet. Viele von ihnen sind traumatisiert und leiden nun auch nach ihrer Flucht an mangelnder Ernährung.