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Die Flüchtlings-Polka

Von Reinhard Göweil

Leitartikel
Chefredakteur Reinhard Göweil.

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Vielleicht würden die Bürgermeister-Reaktionen freundlicher ausfallen, wenn in Kasernen untergebrachte Flüchtlinge, die ein Instrument beherrschen, bei der Militärmusik mitspielen? (Angesichts der aktuellen Debatten bleibt wenig anderes übrig, als mit dem Entsetzen Scherze zu treiben.)

Der Plan des Verteidigungsministers, Kasernen für Flüchtlinge bereitzustellen, wird - mit Ausnahme von Freistadt - von den betroffenen Bürgermeistern recht rüde abgelehnt. Die Ortschefs lehnen auch Zeltlager ab, also wohin mit den Menschen? Die FPÖ fordert überhaupt einen Aufnahmestopp von Flüchtlingen, ist aber gegen Kürzungen bei den Militärkapellen. Auch die wahlkämpfende SPÖ im Burgenland ist gegen die Kasernen-Idee.

Hauptursache der aktuellen Disharmonie ist wieder einmal das Gestrüpp aus Bund-, Länder- und Gemeinde-Kompetenzen. Der Bund baute Zeltlager auf, weil die Länder und Gemeinden für den Flüchtlingsstrom keine Quartiere mehr zur Verfügung stellten. Viele Bürgermeister tun so, als ob sie eine eigene Republik zu verteidigen hätten und Österreich kein einheitliches Staatsgebilde darstellen würde.

Ein vergleichbares Bild bietet die EU. Auch hier weigern sich etliche Mitgliedsländer, einer Flüchtlingsquote zuzustimmen, ganz so als ob es die Europäische Union nicht gäbe.

In dem ganzen Pallawatsch sind ausschließlich die Flüchtlinge Leidtragende. Nun ist es schon wahr, dass Europa und Österreich nicht jeden aufnehmen können - aber verzweifelte Menschen auf offener See dem Schicksal überlassen?

Schlepperbanden zu bekämpfen ist eine Sache, aber das wird das reiche Europa in den Augen vieler Araber und Afrikaner nicht weniger attraktiv erscheinen lassen.

Ob Bürgermeister oder EU-Regierungschef - die Politik wird sich damit anfreunden müssen, dass weiterhin Flüchtlinge hereinströmen. Und es wäre klüger, sich auf die Seite der Menschlichkeit zu stellen. Nach 1992 kamen 90.000 Flüchtlinge aus Bosnien nach Österreich, 60.000 sind geblieben und ohne soziale Probleme integriert worden. Warum soll das nun - bei deutlich niedrigeren Zahlen - anders sein?

Seit 1945 sind mehr als zwei Millionen Flüchtlinge nach Österreich gekommen, etwa 700.000 blieben hier. Es geht also - mit gutem Willen und ganz ohne martialische Begleitmusik.