Tschechiens Ex-Außenminister Karel Schwarzenberg über die katastrophalen Zustände in der österreichischen Politik.
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"Wiener Zeitung": Ihre Partei Top 09 muss bei den Wahlen kommende Woche laut manchen Umfragen um den Einzug ins Parlament zittern. Sehen Sie die Lage ähnlich pessimistisch?Karel Schwarzenberg: Ich glaube, wir werden besser abschneiden als prognostiziert. Es stellt sich die Frage nach der Glaubwürdigkeit dieser Umfragen - das betrifft nicht nur uns. Ich habe das Gefühl, dass hier doch vieles beeinflusst wird.
Von wem?
Von Leuten, die ein großes Volumen an Inseraten zu vergeben haben und die auch Meinungsumfragen vergeben können.
Wahlfavorit ist die Partei ANO des Milliardärs Andrej Babis. Wie erklären Sie sich dessen Popularität?
Erstens: Wer viel Geld dafür ausgeben kann, wird leichter populär. Zweitens sind große Teile der Bevölkerung überzeugt, dass die Politiker alle miteinander Gauner sind. Viele Leute glauben, dass Babis schon so viel hat, dass er nichts mehr nehmen wird. Das ist ein Irrtum: Ich habe im Leben viele Milliardäre getroffen. Darunter war aber keiner, der gesagt hat, er hätte bereits genug.
Wäre Top 09 bereit, mit dem wahrscheinlichen Wahlsieger ANO zu koalieren?
Nie. ANO ist eine Führerpartei klassischen Zuschnitts. Es gibt drei Parteien, mit denen wir unter keinen Umständen in die Koalition gehen: Das sind die Kommunisten, die Bewegung von Tomio Okomura (rechtsradikaler Politiker, Anm.) und ANO. Das sind keine demokratischen Parteien.
Ihre Partei Top 09 ist von allen Parlamentsparteien die proeuropäischste Kraft. Warum treten Sie für eine Einführung des Euro ein, obwohl der Großteil der Bevölkerung das ablehnt?
Wir machen teilweise unpopuläre Politik, aber jemand muss das sagen. Wir halten die Euro-Einführung für notwendig. Denn die Entscheidungen in der EU verschieben sich immer mehr in die Eurozone, und nur wer dort dabei ist, entscheidet auch mit.
Welche Chancen haben generell kleinere Länder wie Tschechien in der EU?
Wir sollten in den europäischen Institutionen aktiv sein und nicht beleidigt daneben stehen. Ich war lange genug Außenminister, um festzustellen, dass man in Brüssel viel erreichen kann, wenn man vernünftig argumentiert. Aber man muss reden und sich anstrengen. Wenn man jedoch nicht hinfährt und nicht in den entscheidenden Gremien sitzt, geht es daneben.
Derzeit scheint Tschechien aber vor allem damit beschäftigt, ja nicht die Flüchtlingsquoten erfüllen zu müssen.
Hier muss man unterscheiden. Die Quoten waren ein Wahnsinn. Es gab bei uns durchaus auch Politiker, die der Ansicht waren, dass wir ein paar tausend Leute aufnehmen werden müssen. Aber freiwillig, anschaffen lassen wir uns das nicht. Ich war bei den Verhandlungen der Lissaboner Verträge dabei. Damals haben wir wochen-, ja monatelang um jeden Buchstaben gerungen. Glauben Sie, dass das Volk ein Paragraph aus dem Lissabonner Vertrag mehr berührt als die Aufnahme von Migranten? So etwas kann man nicht verfügen. Politische Ideen muss man politisch realisieren - und nicht per Befehl.
Länder wie Österreich, die zehntausende Flüchtlinge aufgenommen haben, sehen sich trotzdem im Stich gelassen.
Richtig. Österreich sollte aber nicht nach Quoten schreien, sondern verhandeln.
Nicht nur der Streit um Quoten belastet die EU - hinzu kommen etwa der Brexit oder die Diskussion um ein Europa der zwei Geschwindigkeiten. Droht all das die EU zu zerreißen?
Zerreißen wird es die EU nicht, aber es wird mühsamer werden. In Brüssel wird man sich an den harten Gedanken gewöhnen müssen, dass es sich nicht mehr um die westeuropäische Union der früheren Jahre handelt, sondern es auch andere Staaten gibt.
Aber nun haben wir gerade in den ehemaligen kommunistischen Ländern Bewegungen, etwa Viktor Orban in Ungarn oder die konservativ-nationalistische Regierung in Polen, die die EU zurückdrängen wollen und sich auch daranmachen, den Staat umzubauen. Ist es nicht verständlich, dass das in Brüssel Sorgen auslöst?
Reden wir in 14 Tagen noch einmal darüber. Ich habe das Gefühl, dass es auch in einem der Nachbarstaaten Tschechiens eine klare Vorstellung davon gibt, den Staat umzubauen. Eine Partei wurde bereits umgebaut, nun soll der Staat wohl auch umgebaut werden. Und ich habe den Eindruck, dass Orban langsam zu einem Orientierungspunkt wird.
Sie sehen also den österreichischen Wahlfavoriten Sebastian Kurz in der Nähe von Orban?
Ich sage das nicht, er selbst beteuert die Freundschaft. Aber er ist damit nicht allein. Es gibt in ganz Europa einen starken Trend in diese Richtung.
Generell hat sich die Politik stärker personalisiert - in Tschechien ist ANO ganz auf Babis zugeschnitten, in Österreich wurde aus der ÖVP die Liste Kurz. Ist dieses Herausheben von einzelnen Personen eine Reaktion auf die Krise der großen Volksparteien?
Das ist so. Bei der SPÖ erwies sich Christian Kern als nicht so stark, als dass das dort auch gelungen wäre. Freilich ist die Situation für die Altparteien verfahren, denn letztlich stammen ihre Rezepte aus dem 19. Jahrhundert. Zeigen Sie mir in Österreich noch einen aufrechten Sozialdemokraten oder einen ehrlichen Christlichsozialen. Das ist verschwunden, das hat sich egalisiert, dafür haben wir ein Lagerdenken. Ich bin ja in Österreich sozialisiert worden: Damals war ganz klar, wie ein Roter, ein Schwarzer und ein Blauer ausschaut. Wenn sie sich heute die Programme aller drei Parteien anschauen, haben sie sich - mit Ausnahme des Schwenks nach links der SPÖ in letzter Zeit - im langjährigen Durchschnitt immer mehr angeglichen. Dafür wurde es kultiviert, einen Feind zu haben. In den 1960er Jahren haben wir bei den jungen Schwarzen andere Ideen als die jungen Sozis gehabt. Wir haben uns emsig mit ihnen gestritten, viel diskutiert, aber gleichzeitig sind auch Freundschaften entstanden. Heute sind sie nicht fähig, miteinander zu diskutieren, weil die Unterschiede minimal sind, aber stattdessen ist ein Lagerdenken und richtiger Hass entstanden. Das ist katastrophal für den Staat.
Er ist der große Favorit: Sämtliche Umfragen vor den tschechischen Parlamentswahlen, die kommende Woche am Freitag und Samstag stattfinden, sehen den Milliardär Andrej Babis mit seiner Bewegung ANO in Front. Der Gründer des Agrarkonzerns Agrofert verspricht als Premier so erfolgreich zu sein wie als Unternehmer und hat seine Partei ganz auf sich zugeschnitten: Mit seinem Geld wurde ANO groß, Karriere machen in der Partei kann nur, wer die persönliche Zustimmung von Babis genießt. Allerdings ist der gebürtige Slowake, dessen Partei bereits Juniorpartner in einer von den Sozialdemokraten (CSSD) angeführten Regierung ist, zuletzt unter Druck geraten: In der Slowakei wird nun erneut von den Gerichten verhandelt, ob Babis während des Kommunismus für die Geheimpolizei gearbeitet hat, was dieser verneint. Und in Tschechien hat die Polizei eine Untersuchung gegen ihn wegen angeblichen Betrugs mit EU-Subventionen eingeleitet. Viele Parteien stellen daher für eine künftige Koalition mit ANO die Bedingung, dass Babis vorerst nicht der Premier sein darf. Andere Parteien wollen erst gar nicht mit ANO zusammenarbeiten. Bei Umfragen hält ANO derzeit bei rund 25 Prozent, die Kommunisten bei 14, die CSSD bei 12 und die neoliberale ODS bei etwa zehn Prozent der Stimmen. Chancen auf den Einzug ins Parlament haben zudem die Partei des rechtsradikalen Unternehmers Tomio Okamura, die Christdemokraten und die Piraten. Top 09, die Partei von Karel Schwarzenberg, bewegt sich um die Fünf-Prozent-Marke herum. Während in Tschechien eine große Skepsis gegenüber der EU herrscht, positioniert sich Top 09 klar als proeuropäische Kraft.
MilliardäR vor dem Wahlsieg
Zur Person
Karel Schwarzenberg,
geboren 1937, ging in Wien auf das Gymnasium und war in den 1960er Jahren in der ÖVP tätig. Nach dem Sturz der Kommunisten in der Tschechoslowakei kehrte er in sein Heimatland zurück und wurde Büroleiter des ersten Präsidenten Vaclav Havel. Später war Schwarzenberg Außenminister und einer der Gründer der Partei Top 09, für die er bei dieser Wahl auch erneut kandidiert.