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Die Folgen der Krise auf von Armut Betroffene

Von Martina Madner

Politik
Immer mehr Menschen müssen in Sozialmärkten einkaufen.
© NA/elements.envato.com

Homeschooling, der Verlust selbst kleiner Zuverdienste und weniger Zugang zu günstigen Lebensmitteln führten zu mehr Zulauf zu Sozialleistungen und Hilfsorganisationen.


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Ich bin seit mittlerweile zehn Jahren arbeitslos, aber es war das erste Mal so, dass ich quasi mein absolutes Notprogramm gestartet habe", sagte eine von Armut betroffene Person aus Wien in der Studie der Armutskonferenz. Das Notprogramm bedeutete, seit dem Lockdown im März vor allem Nudeln und Fleisch, "weil das am günstigsten und energiereichsten ist", zu essen und auf teureres Gemüse zu verzichten.

"Kein Einzelfall", stellte Martin Schenk, Sozialexperte der Armutskonferenz bei der Studienpräsentation im Sozialministerium fest. "Es gab eine kleine Preissteigerung bei Gemüse, die für uns alle zwar nicht spürbar war. Von Armut Betroffene aber sind so eine verletzliche Gruppe, da kann jeder Euro mehr, den man ausgeben muss, für eine Existenzkrise sorgen". Sie seien eine Art "soziales Fieberthermometer", an dem sich negative, gesellschaftliche Entwicklungen, die später viele treffen, Monate vorab zeigen.

"Die mit prekärem Job, die es schon vor der Krise schwer hatten, haben es jetzt noch schwerer." Dazu kommen psychosoziale Folgen, mehr Einsamkeit allein lebender von Armut Betroffener, mehr Depressionen, zu viel Nähe in beengtem Wohnraum großer Familien, Zukunftsängste. "Es sind Verhältnisse, die unter die Haut gehen", sagt Schenk.

"Ziel ist, dass die schwerste Gesundheitskrise seit 100 Jahren keine soziale Krise wird", sagt Sozialminister Rudolf Anschober (Grüne). Deshalb erteilte er einen Auftrag für die breit angelegte Studienreihe zu den sozialen Folgen auf von Armut Betroffene, Gefährdete und neue Gruppen, die die Corona-Krise bereits brachte. Krisenakuthilfen hätten zwar abgefedert. Er erarbeite einen neuen Aktionsplan, um weitere "Armutsgefährdung zu vermeiden". Teile der Krisenhilfe laufen nicht rund: Bei jener für Familien gibt es immer noch langes Warten und nicht nachvollziehbare Unterschiede bei der ausbezahlten Geldleistung.

Neue Armutsgefährdete

Der Studien-Teil des Wifo zeigt, dass die Krisenmaßnahmen - insbesondere Kinderbonus, Arbeitslosenbonus und die temporäre Anhebung der Notstandshilfe - dem untersten Einkommensfünftel halfen. Sie hatten im Median sogar mit 0,7 Prozent leicht mehr Einkommen als vor der Krise. "Individuell kommt es dennoch zu erheblichen Einkommenseinbußen", heißt es da. Und manche waren stark betroffen: "Sechs Prozent der Bevölkerung hatten einen Rückgang ihres verfügbaren Einkommens um mindestens fünf Prozent."

WU-Sozialwissenschafterin Karin Heitzmann analysierte in ihrer Erhebung nun, um welche Personen es sich bei den stark Betroffenen handelt: Es sind bestimmte Familientypen, Alleinerziehende sowieso. "Mütter waren enorm belastet, traditionelle Geschlechterrollen haben sich verfestigt"; auch große und bildungsferne Familien waren stärker betroffen: "Da fehlte die IT-Ausstattung oder Know-how für Homeschooling."

Die Krise verschärfte die Situation jener, die bereits davor von Armut betroffen waren: Dazu gehören jene mit gesundheitlichen Problemen und Langzeitarbeitslose, die mindestens ein Jahr keine Erwerbsarbeit hatten. Von Letzteren waren bereits 2019
72 Prozent armutsgefährdet. Die Krise verschärfte die Situation: Heuer gibt es im Juli fast um ein Drittel mehr Langzeitarbeitlose als im Vorjahr. Durch die Corona-Krise kamen auch Junge und Soloselbstständige als Risikogruppen dazu. Heitzmann rät deshalb unter anderem dazu, Lücken im Sozialstaat etwa bei Soloselbstständigen mit Geschäftseinbrüchen oder für psychisch Erkrankte mit einem leichteren Zugang zu Psychotherapie, zu schließen.

Die sozialen Folgen der Krise zeigten sich auch in einer höheren Nachfrage nach Sozialhilfe und Mindestsicherung. Die Anzahl jener mit Vollbezug stieg zwischen März und Juli des heurigen Jahres um 23 Prozent. Sozialminister Rudolf Anschober betont deshalb, "dass es enorm wichtig war, bei der Pensionserhöhung die Ausgleichszulage zu erhöhen und die mit Sozialhilfe-Bezug mitzunehmen."

Sozialstaat statt Krisenhilfe

Jene mit Sozialhilfe erhalten brutto 1000 statt 966,65 Euro, wovon Alleinstehenden nach Abzug der Sozialversicherung 945 statt wie bisher 917,35 Euro bleiben. Weil das neue Grundsatzgesetz für Probleme sorgt, sei Anschober in Gesprächen mit den Ländern, damit sie "ihre Handlungsspielräume bei der Sozialhilfe nutzen".

Gespräche führe er auch mit Familienministerin Christine Aschbacher (ÖVP) über den Familienhärteausgleich. Weil er noch bis Ende des Jahres läuft, bleibt für eine Verlängerung noch Zeit. Thema seien auch inhaltliche Verbesserungen, welche konkretisierte er noch nicht. Ein offener Punkt wäre, dass auch jene, die ihr geringfügiges Einkommen verloren haben, Familienhärteausgleich erhalten. Eine Person, die ihren Zuverdienst verloren hat, wird in der Studie der Armutskonferenz zitiert: "Ich habe die ganzen Jahre über immer wieder mit kleinen Nebentätigkeiten ein bissl was dazu verdienen können, das ist halt mit Lockdown überhaupt nirgends mehr gegangen, und dann bin ich wirklich zurückgeworfen worden auf 600 Euro."

Das führte zu Schulden: "Das sind keine großen Schulden, das ist dort einmal ein 50er ausgeborgt, dort einmal einen 20er. Nur irgendwann muss ich die zurückzahlen." - "Mit einem solchen Zuverdienst, haben viele in Notstandshilfe oder Mindestpension aufgebessert", sagt Schenk: Der Wegfall deiser Zusatzverdienste sei "ein empfindlicher Einkommensverlust".

Schenk wäre mehr Sozialstaat trotzdem wichtiger als ein Aufbessern der Krisenhilfen: "Fonds haben ihre Grenzen, sie sind weniger nachhaltig, verursachen mehr Bürokratie. Sozialstaatliche Leistungen wie die Familienbeihilfe oder das Plus bei der Ausgleichszulage helfen nachhaltig mehr dabei, dass Menschen nicht in akute Armut abrutschen."