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Die Forelle - appetitlicher Gruß aus der Urzeit

Von Georg Biron

Reflexionen

Mehr als nur ein Leckerbissen - der faszinierende Raubfisch mit dem perfekten Design ist ein Meisterwerk der Evolution.


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In meiner Jugend gab es Bleichgesichter, Rothäute - und Forelle blau. Und das kam so: Wir standen unter dem Einfluss der Winnetou-Filme und spielten damals, in den siebziger Jahren, gerne Cowboy und Indianer. Der Wilde Westen lag an der Westbahn, zwischen Pulverstampftor und Wolf in der Au, in den geheimnisvollen Hochwassersammelbecken. Dort, wo die Autobahn nach St. Pölten beginnt und der Wienfluss über die grüne Grenze in die Stadt hereinplätschert. Kein Fluss, eher ein Bach.

Paradies Wienfluss

Aber man darf sich nicht täuschen: "Die Wien" führt zwar normalerweise in der Sekunde beschauliche 200 Liter Wasser, aber bei Hochwasser können es ganz schnell mehr als 450.000 Liter werden. Ein Wildwasser. Am 15. Juni 1741 und am 9. August 1785 wurde durch Überflutungen sogar der Schönbrunner Schlossgarten zerstört. Auch deshalb beauftragte Kaiser Franz Joseph das Stadtbauamt mit der Regulierung des Wienflusses, die im Herbst 1899 abgeschlossen war, geplant vom Wiener Architekten Wilhelm Carl Gustav von Doderer, dem Vater des Schriftstellers Heimito, der sich im Ersten Weltkrieg von seinen Kameraden im Dragoner-Regiment Nr. 3 gerne "Häuptling Spitze Feder" nennen ließ.

In meiner Jugend waren die Hochwassersammelbecken ein Paradies, ohne Polizei und Augenzeugen. Wir tranken "Liesinger Bier", rauchten "Smart Export" und süßlich duftende Friedenspfeifen und gingen Bisamratten und Fischottern aus dem Weg. Über dem Wasser schwebten schillernde Libellen. Und wenn wir hungrig waren, entzündeten wir ein Lagerfeuer und legten mitgebrachte Erdäpfel in die Glut. "Lausche dem Ton des Wassers, und du wirst eine Forelle fangen", lautet ein Sprichwort der Wintun-Indianer, die im Norden Kaliforniens lebten. Also lauschte ich und holte fidele Forellen aus dem Wienfluss.

Und das ging so: Ich zog mich aus bis auf die Unterhose und legte mich rücklings in die Wien. Das klare kalte Wasser strömte an mir entlang, nur die Nase schaute heraus. Dann kamen die Forellen und ließen sich von mir streicheln. Mit den Fingerspitzen fuhr ich an ihren Seitenlinien entlang, das schien sie zu hypnotisieren - und zack! Schon schleuderte ich sie der Reihe nach mit schnellen Würfen aus dem Wasser, und sie zappelten am Ufer. Drei, vier, fünf Fische für die hungrigen Cowboys und Indianer.

"Ich mache Forelle blau", sagte mein Freund Robert, der mit einer Feder auf dem Kopf und mit nacktem Oberkörper um das Lagerfeuer tanzte und unser Essen zubereitete. Sein Vater war ein angesehener Koch in einem Hotel in der Innenstadt. Deshalb hatte Robert immer ein Klappmesser und ein paar Gewürzsäckchen in der Hosentasche. Er wusste ganz genau, was zu tun war. Und nach einer halben Stunde saßen wir am Feuer und aßen die Forellen, die ich ohne Netz, Angel und Haken gefangen hatte.

So war das damals... Um heute Forellen aus dem Wienfluss zu holen, braucht man eine Fischerkarte um 301 Euro Jahreslizenz vom Verband der Österreichischen Arbeiter-Fischerei-Vereine.

Begehrte Spezialität

Die meisten Menschen machen sich nur wenige Gedanken über Forellen. Selbst wenn sie Franz Schuberts berühmtes Lied "Die Forelle" (op. 32/D 550) hören, denken sie meistens nur ans Essen: "In einem Bächlein helle, da schoss in froher Eil/Die launische Forelle vorüber wie ein Pfeil..."

Zeichnung einer Bachforelle (Salmo trutta fario)
© Gemeinfrei

"Die in Mehl gewendete und gebratene ‚Forelle Müllerin‘ und die in einer Bouillon gekochte ‚Forelle blau‘ sind bei uns die bekanntesten Varianten", sagt die ORF-Radioköchin Andrea Karrer und erklärt, dass die blaue Farbe der Forellenhaut durch Essigwasser entsteht. Natürlich gibt es auch noch andere Rezepte - wie beispielsweise die "Mandel-Forelle" (in einem Mantel aus Mandelblättchen), die "Forelle auf Tiroler Art" (mit Milch, Mayonnaise, Ketchup und Kren), die "Kräuterforelle" (mit Dille, Salbei und Petersilie) sowie (eher selten auf den Speisekarten zu finden) Forelle mit Blattspinat, mit Dijonsenf-Madeira-Sauce oder gebacken mit Süßkartoffel-Wedges und argentinischer Chilisauce. Es gibt sie auch gebraten und mit Speck umhüllt oder im alkoholfreien Weinteig. Feinschmecker schätzen darüber hinaus den Kaviar und die Leber der Forelle.

Mein persönlicher Favorit, und das wird Sie nicht verwundern, ist der "Forellen-Strudel à la Biron", der sogar in der balinesischen Gastronomie auftaucht (mit Karotten, Sellerie, Gemüse auf Zitronenbutter und gewürzt mit weißem Sesam oder Chili - wenn’s scharf sein soll). Das Rezept finden Sie im Internet. Die zerteilten Fischfilets werden al gusto mit Kräutern in Strudelteig eingepackt, bis die Speise ungefähr so prall ausschaut wie eine Topfengolatsche. Glauben Sie mir: Es ist einfach köstlich!

Kriterien für Frische

Doch das beste Rezept taugt nichts, wenn der Fisch nicht frisch ist. Die Wiener Koch-Legende Reinhard Gerer hat mir erklärt, worauf man beim Kauf von Forellen achten muss: "Die Augen sollten glasklar und prall sein. Die Kiemen rot und ohne Verfärbungen und Verschleimungen. Die Haut glänzend und ohne Druckstellen. Die Flossen elastisch. Frische Fische haben eine fast geruchlose Bauchhöhle. Überhaupt riecht frischer Fisch nie unangenehm. Wenn es ‚fischelt‘, deutet das auf eine falsche und zu lange Lagerung hin. In diesem Fall: Finger weg!"

Forellenfilets kann man einer simplen Qualitätsprüfung unterziehen, wie das umfangreiche Online-Portal forelle.net empfiehlt, "indem Sie mit dem Messer behutsam über das Fleisch streichen. Je weniger dabei am Messer haften bleibt, um so frischer ist das Fischfilet. Der Geruch sollte mild und relativ neutral sein."

Laut Andrea Karrer ist es ganz wichtig, dass "die Forellen mit fließendem Wasser behutsam und gründlich gewaschen und dann mit Zitronensaft beträufelt werden. Dadurch wird das Fleisch fest und schmackhaft. Und weil Salz dem Fisch Saft und Nährstoffe entzieht, sollte man die Forellen erst kurz vor der Zubereitung salzen."

In Österreich liegt der Pro-Kopf-Verbrauch von Fisch laut Statistik Austria schon lange bei rund acht Kilo pro Person und Jahr. Rund 74.000 Tonnen Fisch werden jährlich importiert - aus der EU, Chile, Norwegen, der Türkei und dem Iran. Rund 3,3 Mil-lionen Tonnen kommen aus österreichischen Gewässern. Der Schwerpunkt der Fischzucht liegt bei Karpfen und Forellen: In 190 Teichen werden Karpfen gezüchtet, 232 Anlagen liefern Forellen.

Forellen stellen auch ein wichtiges und profitables Produkt der Europäischen Union dar: Italien, Frankreich, Dänemark, Deutschland und Spanien sind die Marktführer. Der weitaus größte Teil der von der EU exportierten Forellen landet in Russland und der Schweiz.

Doch die Forelle und ihre Verwandten sind in Gefahr. Der "Living Planet Report 2020" dokumentiert einen Rückgang der Süßwasserfische. Die Bestände sind weltweit zwischen 1970 und 2016 um durchschnittlich 76 Prozent zurückgegangen. In Europa liegt das Minus bei 93 Prozent.

Helmut Belanyecz, Präsident des Österreichischen Kuratoriums für Fischerei und Gewässerschutz, sieht den Lebensraum Wasser und seine Bewohner bedroht. Unter anderem würden Flusskreuzfahrtschiffe, von denen jährlich rund 3.500 auf der Donau fahren, mit ihren Wellen "Laich, Eier und Brütlinge zerstören, die von den Uferzonen auf den Schotter geschleudert oder in den Strom gezogen werden, wo sie sterben". Ein weiteres Problem sei die Wasserkraft: "Sie zerstückelt die Wasserwege, die Fische finden keine Laichplätze. Und wenn doch, dann folgt der Fisch flussabwärts immer der Strömung - und die führt direkt in die Turbinen der Kraftwerke."

Lebensraumverlust

Nach der neuen EU-Wasserrahmenrichtlinie braucht es bis zum Jahr 2027 einen "guten ökologischen Zustand" der europäischen Gewässer. Wichtig sind durchgängige Fischlebensräume. Um Querbauwerke wie Kraftwerke, Wehranlagen etc. durchlässig zu machen, müssen Fischaufstiegshilfen errichtet werden. Die höchste Fischtreppe Europas gibt es seit September 2020 am Draukraftwerk Annabrücke in Kärnten.

Mit Hilfe eines speziellen Systems können Fische durch 172 Pools wandern und dabei auf der 750 Meter langen Strecke eine Höhendifferenz von 26 Metern zurücklegen und das Kraftwerk überwinden. Allerdings entdecken auch Fischliebhaber wie Otter, Biber und Kormorane diese Wanderhilfen für sich und machen dort gezielt fette Beute.

Neben Lebensraumverlust, intensiver Wassernutzung für die Elektrizität, Gewässerverschmutzung, Krankheiten und fischfressenden Vögeln wirkt sich auch der Klimawandel aus, der die Wassertemperaturen anheizt. Schon gibt es "Kalkulationen, dass man in Europa durch den Klimawandel 60 bis 80 Prozent aller Bachforellen verlieren wird", sagt Jörg Freyhof vom Leibniz Institut für Gewässerökologie in Berlin.

Die skurrilste Bedrohung aber entsteht durch die Anti-Baby-Pille. "Frauen scheiden künstliches Ös-trogen aus, das in Anti-Baby-Pillen vorhanden ist und in den Kläranlagen nur zum Teil abgebaut werden kann", berichtet die Biologin Karen Kidd. Männliche Fische produzieren in der Folge die gleichen Proteine, die weibliche Fische für die Ei-Entwicklung brauchen. Die Weibchen (Rogner) haben zwar mehr Eier als normal, aber bei den Männchen (Milchner) konnte die Forscherin in den Hoden sogarEier finden, und die Geschlechtsorgane bildeten sich zurück.

Die Männchen werden also zu Weibchen. "Sehr vereinfachend könnte man sagen, die männlichen Fische schlucken unfreiwillig die Antibabypille", so der Zoologe Reinhard Lackner von der Universität Innsbruck. Der Verzehr der Fische sei aber nach derzeitigem Wissensstand unbedenklich.

Die Forelle gilt als der europäische Fisch schlechthin und kommt vom Nordkap bis Portugal vor. Forellen wiegen zwischen einem und 18 kg, sind 10 bis 120 cm lang, und manche von ihnen haben deutlich mehr als zwölf Jahre auf der Rückenflosse. Ein faszinierender Urfisch aus frühester Zeit, der bereits bei den Sauriern, also lange vor den ersten Menschen, unterwegs war.

Den Raubfisch mit dem beeindruckenden Design gibt es in Bächen, Seen und auch im Meer. Aber nicht nur in Europa, sondern rund um die Welt - sowohl im süßen als auch im salzigen Wasser. Man findet ihn in den klaren Flüssen Nordamerikas und den reinen Bächen des Salzkammerguts, im Quellgebiet des Ti-gris in Anatolien, in den Flussläufen der sibirischen Halbinsel Kamtschatka und auch in Japan.

Der Fokus der Forscher liegt auf drei Forellenarten: Bachforelle, Seeforelle und Meerforelle. Salmo trutta ist eine Spezies mit mehreren Verwandten. Da gibt es zunächst die Bachforelle, S. trutta fario, mit ihren roten Tupfen und den oft bronzefarbenen Schuppen. In vielen Küstenregionen Europas ist die silberne Meerforelle, S. trutta trutta, zu finden, die so groß wie ein Lachs werden kann. In Bergseen lebt die Seeforelle, S. trutta lacustris.

Beliebter Zuchtfisch

Die Regenbogenforelle (Oncorhynchus mykiss) stammt aus Nordamerika und kam in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nach Europa und wurde in England als Speisefisch für den Königshof gezüchtet. Später wurde die Regenbogenforelle als Angelfisch in vielen freien Gewässern Europas ausgesetzt und gehört seither zum normalen Fischbestand. Allerdings wird ihre Verbreitung heute per Gesetz regional eingeschränkt, weil sie bei ihren Raubzügen einheimische Arten wie etwa die Bachforelle gründlich dezimiert.

Ihre Robustheit macht die Regenbogenforelle aber zu einem beliebten Zuchtfisch, der in überbevölkerten Fischfarmen schnell wächst, weniger natürliches Futter benötigt als andere Forellenarten und sich auch höhere Wassertemperaturen (bis 25° C) gefallen lässt.

In seinem 1653 erschienenen britischen Bestseller "The Compleat Angler", das in deutscher Übersetzung unter dem Titel "Der vollkommene Angler oder eines nachdenklichen Mannes Erholung" publiziert wurde, schrieb Izaak Walton über die diversen Formen der Forellen, "die von Bach zu Bach und von Bucht zu Bucht in Größe und Form, Flecken und Farben" unterschiedlich waren. Deshalb erschweren Forellen und ihre Verwandten (Lachs, Saibling, Äsche, Reinanke, Maräne und Huchen) eine klare Zuordnung. "Es gibt keine andere Gruppe von Fischen, die so viele Schwierigkeiten machen, was die Unterscheidung der Arten angeht", notierte der deutsche Zoologe Albert Günther im Jahr 1866.

Heute weiß man, dass es "die deutlichsten genetischen Unterschiede zwischen den Forellen der großen Flusseinzugsgebiete wie der Donau oder den in den Atlantik und ins Mittelmeer mündenden Fluss-Systemen gibt. Diese Populationen blieben auch während der Eiszeiten getrennt", erklärt der slowenische Forellenexperte Ales Snoj von der Universität Ljubljana, der einem Projekt für die Erforschung der Forellenvielfalt auf dem Balkan vorsteht.

Zwei Schwänze

In Slowenien sind übrigens die größten Forellen der Welt heimisch: die Marmorata (Salmo marmoratus). Ihre Haut erinnert an Marmor, sie kann mehr als einen Meter lang und bis zu 30 kg schwer werden. Der Fisch wirkt wie eine verspätete Paketlieferung aus der Kreidezeit und lebt mit seinen alten Genen in den beiden Flüssen Soča (im Triglav Nationalpark) und Rižana.

"Wir züchten hier Fische mit zwei Schwänzen", sagt Dusan Jesensek, Tiermediziner in der Brutanstalt von Tolmin. "Die Marmoratas werden ab fünf Zentimetern Länge zu kannibalischen Räubern. Wir sehen deshalb hier in der Fischzucht oft kleine Marmoratas mit zwei Schwänzen: ihrem eigenen und einem zweiten, der ihnen aus dem Maul hängt", so Dusan.

In Tirol widmete sich der Tiroler Fischbiologe Nikolaus Medgyesy vom Institut für Ökologie der Uni Innsbruck im Jahr 2005 der Herkunft von Urforellen. Er schnallte sich einen Rucksack um, zog die Bergschuhe an und wurde fündig. Medgyesy entdeckte Restbestände der europäischen Urbachforellen im Gossenköllesee in den Stubaier Alpen und im Oberlauf des Sendersbaches bei Innsbruck. Von dort wurden ausgesuchte Fische (in Nylonsäcken mit Wasser und Sauerstoff) im Rucksack ins Tal getragen.

In der ältesten Fischzucht Tirols, in Thaur, wurden Hautproben für die genetische Untersuchung entnommen, denn äußerlich konnte man die eingeborenen Fische von den zugereisten Verwandten nicht auseinanderhalten. Reinrassige Urforellen wurden mit einem Chip unter der Haut bei der Rückenflosse markiert. "Seit der letzten Eiszeit haben sich die Urforellen an die Gebirgsgewässer angepasst", sagte Medgyesy. "In Hochgebirgsseen sind die Tiere rund 25 cm klein - da gibt es nur 300 Eier pro Weibchen. In der Fischzucht aufgepäppelt, haben die circa 40 cm großen Fische 1.000 bis 1.500 Eier."

Sein Sohn Nikolaus ist zwar gelernter Maschinenbautechniker, doch diese Ausbildung war unterm Strich offenbar für die Fisch’. Heute ist der Junior ein tüftelnder Fischereimeister und der Einzige in ganz Europa, der als Einmannbetrieb in Thaur zertifizierte Urforellen züchtet: "Sie gehören zum Kulturgut Tirols."

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Georg Biron, geboren 1958, lebt als Schriftsteller, Reporter, Regisseur und Schauspieler in Wien.