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Die FPÖ pocht auf eine eigene Linie

Von Walter Hämmerle

Europaarchiv

Die Chancen auf ein gemeinsames Vorgehen der beiden Regierungsfraktionen in der Frage eines EU-Beitritts der Türkei stehen schlecht. In der heutigen Sitzung des Hauptausschusses wird die FPÖ aller Voraussicht nach einen eigenen Antrag einbringen. Bundeskanzler Wolfgang Schüssel betonte gestern erneut, dass die Aufnahme von Verhandlungen der richtige Weg sei, um die Türkei dauerhaft an Europa zu binden.


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Am Donnerstag Abend beginnen in Brüssel die Beratungen der EU-Regierungschefs. Bereits zu Mittag treffen sich die Vertreter der Europäischen Volkspartei (EVP), um eine gemeinsame Linie in der Türkei-Frage, in der Schüssel als Koordinator fungiert, zu formulieren. Wie dieser Kompromiss in der EVP ausschauen könnte, darüber hüllte sich der Bundeskanzler gestern ebenso in Schweigen wie über die Details seiner Gespräche mit Jan Peter Balkenende, dem niederländischen Premier und EU-Ratsvorsitzenden, der gestern zu Konsultationen in Wien weilte.

Ob sich auch ÖVP und FPÖ bis zur heutigen Hauptausschusssitzung auf eine gemeinsame Linie einigen werden, blieb gestern jedoch offen. Das werde "sehr schwierig werden", erklärte Vizekanzler Hubert Gorbach nach dem Pressesfoyer des Ministerrats gegenüber der "Wiener Zeitung". Die Freiheitlichen stoßen sich vor allem am Wort "Beitrittsverhandlungen": Dieses impliziere bereits, was die FPÖ grundsätzlich ablehne, nämlich einen Beitritt der Türkei. Stattdessen solle die strategische Partnerschaft mit dem Land am Bosporus ausgebaut und eine bevorzugte Zusammenarbeit institutionalisiert werden. Auch die SPÖ wird heute übrigens einen eigenen Antrag einbringen, der Beitrittsverhandlungen ablehnt. Seitens der FPÖ wurde jedoch ein gemeinsames Vorgehen ausgeschlossen.

Dass die Linie der FPÖ etwas mit taktischen Überlegungen für kommende Wahlen zu tun haben könnte, verneinte Gorbach. Ein Nein zu einem Türkei-Beitritt sieht er als "Grundanliegen der FPÖ, die sich hier mit zwei Dritteln der Bevölkerung einig weiß".

Zumindest in der Sache selbst scheinen ÖVP und FPÖ gar nicht so weit voneinander entfernt. Auch die ÖVP lehne einen Vollbeitritt der Türkei ab und wolle dennoch "das Land an Europa anbinden", erklärte Schüssel beim Pressefoyer einmal mehr. Deshalb sei auch der Beginn von Verhandlungen der richtige Weg, doch müssten diese zu einem "Ergebnis sui generis" führen, wie es für ein so großes Land typisch sei. Die Aufrechterhaltung einer Beitrittsperspektive sei aber wichtig, um die bereits erreichten und begonnenen Reformen zu sichern.

Schüssel verwahrte sich daher gegen eine "alles oder nichts"-Position: Ein Kompromiss erfordere Bewegung auf allen Seiten.