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Die Frage für diese Dekade

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© Luiza Puiu

Wie stark soll, kann, muss demokratische Politik in die Wirtschaft eingreifen?


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Es ist eine der großen Streitfragen, die in jeder Generation - oder besser gesagt: jeder Dekade - neu diskutiert wird: Wie stark soll, kann oder auch muss demokratisch legitimierte Politik in den Bereich der Wirtschaft eingreifen? Die (niemals fixe) Antwort auf diese Frage trennt nicht nur die Politik, sondern auch die Wissenschaft. Letztere wird also eher nicht als Schiedsrichter auftreten, sondern allenfalls Grenzwerte festlegen, außerhalb derer sich jede vernunftgeleitete Debatte verbietet.

Was am Höhepunkt der Finanzkrise der Streit über das verträgliche Ausmaß öffentlicher Verschuldung war, steigert sich zur Debatte, wie sehr der Staat Preise regulieren kann und soll. Erst am Wochenende war der Schlachtruf "Runter mit den Preisen!" auf Demonstrationen zu hören. Wirtschaftsminister Martin Kocher, im Brotberuf habilitierter Verhaltensökonom, konterte dies mit der Bemerkung, eine solche Forderung sei "Wunschdenken" und ein "Zauberstab" nicht verfügbar.

Tatsächlich beschränkt die EU solche Eingriffe auf wenige Bereiche. Und dort, wo Regierungen versuchen, die Kräfte von Angebot und Nachfrage wegzuwischen, herrschen in aller Regel chronisch Not und Mangel. Grundsätzlich stehen die Brüsseler Hüter des Binnenmarktes staatlichen Interventionen skeptisch gegenüber. Auch deshalb macht sich die EU-Kommission erst jetzt daran, mit Markteingriffen die Energiepreisdynamik abzufedern. Das ist unumgänglich geworden, weil die Märkte tatsächlich "verrücktspielen" und der Schaden trotz riesiger Hilfspakte untragbar zu werden droht. Solche Schritte wecken weitere Begehrlichkeiten in weiteren Bereichen, schließlich steigen die Preise fast generell.

Es sind Krisen dieser Art, in denen die Balance zwischen Staat und Markt dauerhaft neu verhandelt wird; Provisorien für Notfälle haben die hartnäckige Tendenz, auch nach deren Bewältigung nicht wieder zu verschwinden. Nicht nur, weil die Politik neue Möglichkeiten nur ungern wieder aus Hand gibt, sondern auch, weil es schwer ist, aus solchen Provisorien wieder auszusteigen; man denke an die indirekte Staatsschuldenfinanzierung durch die EZB. Hinzu kommt, dass die geopolitische Situation den Druck für mehr Staatsinterventionismus in der EU erhöht, weil die großen Handelspartner und Rivalen ebenfalls solche Mittel einsetzen. Und dann ist da noch das Megaprojekt der ökologischen Transformation.

Der Wunsch nach Sicherheit könnte auf diese Weise mittel- und langfristig die Innovations- und Anpassungsfähigkeit unserer Volkswirtschaften gefährden. Auch das hätte unweigerlich einen hohen, sehr hohen Preis.