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"Die Frage ist, ob das so eine Abstimmung wie in Österreich 1938 wird"

Von Michael Schmölzer

Politik
Ukrainischer Soldat in einer von Russen umstellten Kaserne.
© reu

Die Krim erklärt Anschluss an Russland und befragt dann die Bürger.


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"Wiener Zeitung":Das Parlament der Krim hat für die Abspaltung von der Ukraine gestimmt, der Beschluss gilt ab sofort - ist das völkerrechtlich überhaupt gedeckt?Eine Abspaltung Schottlands wäre zum Beispiel legal.Sigmar Stadlmeier: Wenn man den Vergleich mit Schottland zieht, gibt es da gravierende Differenzen. London will das Ergebnis akzeptieren, egal wie es ausfällt. Wenn es im Konsens der Beteiligten geschieht, dann ist eine Abspaltung und ein Anschluss an ein anderes Land nichts Ungewöhnliches. Österreich wurde ja auch ohne das Burgenland geboren. Im Fall der Ukraine will ein Landesteil seinen eigenen Laden aufmachen, der Gebietssouverän ist aber dagegen. Das ist ein völkerrechtlich nicht gelöstes Problem, weil zwei Prinzipien aufeinander prallen: Das Recht auf Selbstbestimmung und das Recht auf territoriale Integrität eines Staates. Das war das Problem etwa beim Kosovo. Aus dem Recht auf Selbstbestimmung kann ich nicht automatisch ein Recht auf Eigenstaatlichkeit ableiten. Das Recht auf innere Selbstbestimmung ist das Recht auf politische Selbstbestimmung eines Volkes, einer ethnischen Gruppe, einer regionalen Gruppe. Das kann aber auch durch einen Autonomie-Status erreicht werden.

Also eine Art Freistaat-Status wäre zulässig?

Das wurde ja in der alten Sowjetunion so gehandhabt. Da hatte die Ukraine eine eigene Völkerrechtssubjektivität, auch mit einem eigenen UNO-Sitz. Trotzdem war die Ukraine eine der 15 Unionsrepubliken der alten Sowjetunion. Weißrussland hatte ebenfalls einen eigenen Sitz in der UNO. Ein solcher ist eigentlich nur souveränen Staaten vorbehalten. Das ist völkerrechtlich schwer erklärbar, real- und machtpolitisch natürlich schon: Nikita Chruschtschow wollte das so haben.

Aber ist nicht schon die Grundlage der Krim-Abspaltung völkerrechtlich mehr als fragwürdig? Es sind fremde Soldaten einmarschiert, die keine Hoheitszeichen tragen; wer nicht pro-russisch ist, wird massiv eingeschüchtert, OSZE-Beobachter, die sich ein Bild von der Lage machen wollen, werden nicht auf die Krim gelassen. Russland hat offiziell damit nichts zu tun. Ist eine Abstimmung und die Ablösung unter diesen Gesichtspunkten nicht von vorne herein unrechtmäßig?

Das ist zum gegebenen Zeitpunkt sehr schwer zu beantworten. Wir wissen ja in Wahrheit nicht, was dort läuft. Russland argumentiert durchsichtig, aber im Augenblick schwer widerlegbar. Die Uniformen kann man in jedem Army-Shop kaufen. Schon was die alte Sowjet-Armee betrifft, hat man alles Gerät auf dem Schwarzmarkt kaufen können. Wenn jemand also russische Nationalisten mit russischen Uniformen ausstatten will, kostet das nicht einmal viel. Bevor die OSZE nicht dort war, fehlt die Diskussionsgrundlage. Es ist nicht klar, ob die Soldaten von außen eingeschleust wurden oder ob es sich um lokale Kräfte handelt, die nur motiviert und ausgerüstet werden mussten.



Militärs sagen zumindest, dass das Mitglieder russischer Eliteeinheiten sind; sie agieren sehr professionell, sind sehr gut ausgebildet. Gesetzt den Fall, es sind Soldaten, die da im Einsatz sind und ukrainische Stützpunkte umzingeln. Was sagt das Völkerrecht?

Zuerst eine Fußnote: Das erinnert ein wenig an die Botschaftsbesetzung 1979 in Teheran, wo auch behauptet wurde, das sei eine spontane Studentendemonstration: Die waren alle männlich, mit einem Drei-Millimeter-Haarschnitt und alle ziemlich fit. Wenn ich heute in einen Hörsaal gehe, dann ist das nicht das typische Bild, das ich vor mir habe. Aber die USA haben damals nicht versucht, die Besetzung dem Iran zuzurechnen, weil sie den Beweis nicht hätten führen können. Stattdessen haben sie dem Iran das Unterlassen von Hilfe zugerechnet. So ungefähr stehen wir jetzt im Fall der Krim da. Wenn sich massive Indizien finden, dass das russische Kräfte sind, dann wäre das eine Anwesenheit militärischer Formationen auf fremdem Staatsgebiet. Und das wäre eine massive Verletzung der Gebietshoheit. Die haben dort nichts verloren.

Wenn jetzt die Abspaltung beschlossen wurde und das am übernächsten Sonntag auch bestätigt wird. Was bedeutet das dann für die ukrainischen Soldaten, die dann ja plötzlich auf fremdem Staatsgebiet wären?

Die Volksabstimmung bewirkt per se noch nicht die Abspaltung und den Gebietsübergang zu Russland. Die Ukraine wird vermutlich argumentieren, dass das Ergebnis ohnehin gefälscht und nicht anzuerkennen ist. Die Frage ist: Ist es eine ernsthafte Willensäußerung der Bevölkerung, einem anderen Staat angehören zu wollen, oder ist es so eine Abstimmung wie in Österreich 1938.

Da gab es ja diese Stimmzettel. Anschluss an Nazi-Deutschland: Ja mit einem großen Kreis und Nein mit einem kleinen. Und wer mit Nein stimmte, hat schon gewusst, was ihm blüht. Wie wird die Vorgansweise Hitlers im Nachhinein völkerrechtlich bewertet?

Das Völkerrecht hat sich bei der Bewertung dieses einen Ereignisses gedrückt. Die Auffassung ist, dass Österreich besetzt und damit nicht handlungsfähig war. Und Besatzung, Okkupation ist ein faktischer Zustand, kein rechtlicher. Damit vermeidet man, diese rechtliche Begleitmusik qualifizieren zu müssen.

Umstritten ist ja auch die Legitimität der ukrainischen Regierung: Die wird von Russland massiv angezweifelt. Moskau verlangt von Kiew, dass der Zustand hergestellt wird, wie er im Vertrag knapp vor der Flucht von Präsident Janukowitsch unter Vermittlung von EU-Politikern fixiert wurde. Russland hat diesen Vertrag damals gar nicht anerkannt, jetzt pocht man auf diesen - tut sich da nicht ein eigenartiger Widerspruch auf?

Die Völkerrechts-Geschichte hat da unterschiedliche Ansätze, wann eine Regierung legitim ist. Das aktuelle Völkerrecht verweist auf das Effektivitäts-Prinzip. Als Regierung, also als Organ des Staates, werden jene Personen oder Personen-Gruppen betrachtet, die tatsächlich die Vertretungsmacht in der Hand haben. Das aus dem ganz einfachen Grund, das völkerrechtliches Unrecht von Organwaltern begangen wird und dem Rechtssubjekt zugerechnet werden muss. Zurechnen kann ich aber nur das Handeln von jemandem, den ich als Organ ansehe. Es wäre nichts bequemer für eine Putschisten-Regierung, als illegitim sprich international nicht anerkannt zu sein. Dann könnten die tun, was sie wollen, ohne dass ihr Staat jemals dafür einstehen müsste.

Zur Person



Sigmar Stadlmeier

ist Professor und Vorstand des Instituts für Völkerrecht und Internationale Beziehungen an der Uni Linz.