Über ein neues politisches Schema.
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Die Parallelen sind verblüffend: Die Situation vor der französischen Stichwahl wirkt wie eine Neuauflage der österreichischen Präsidentenwahl.
Da wäre zunächst einmal das Abschneiden der alten Großparteien: Bei Präsidentenwahlen sind diese keine Player mehr. Die ehemaligen Volksparteien sind zu starr und zu beweglich zugleich: große Apparate, die unterschiedliche Interessen bündeln müssen. Vor allem aber orientieren sie sich an einem alten Bild vom Staatsbürger: der Bürger als Untertan. Ein Subjekt, das verwaltet, diszipliniert, erzogen werden muss. Diese paternalistischen Tanker werden nun durch zwei Arten von Playern herausgefordert.
Zum einen von charismatischen, liberalen Einzelnen - bestenfalls von einer "Bewegung" getragen -, deren ausgeprägte Individualität die Ferne zum alten Machtblock beglaubigt. Erinnern wir uns an Van der Bellens beharrliche Distanz zu den "Grünen". Nun der ehemalige Wirtschaftsminister Macron, der jetzt "En marche" ist. Zum anderen aber finden sich "Anti-Systemparteien" - die Illusion einer Nicht-Parteienpartei - mit ihren rabiaten Chefs.
Ersterer, also der Van-der-Bellen-Macron-Typus, ist eine Art postheroischer Held: kein Angreifer, sondern ein Vertrauenserzeuger. Während Zweitere, ob Le Pen oder Hofer, als Aggressionsträger für ihre Wähler fungieren: Sie befördern deren Aggressionen in den öffentlichen Raum.
Der postheroische Held wird durch seinen nonchalanten Umgang mit Formen, mit Zwängen, mit Systemerfordernissen beglaubigt. Er bietet einen spielerischen Transgress des hergebrachten politischen Settings, der gängigen Codes. Während die populistischen Gegenspieler einen rauen Umgang - einen rabiaten Transgress - garantieren.
Es sind dies aber auch paradoxe Konfrontationen: Hier treffen nicht Rechte auf Linke. Hier treffen vielmehr Mitte-Kandidaten, die sich dem Rechts-links-Schema zugunsten einer Gesellschaft ohne Gräben verweigern, auf jene, die das politische Rechts-links-Schema neu und scharf akzentuieren. Konfrontationsvermeider gegen Konfrontationsbesessene.
Die französische Situation Konstellation weist jedoch zwei wesentliche Unterschiede zur österreichischen auf. Die französische Stichwahl ist, wie Psychotherapeuten meinen, eine äußerst ödipale Konstellation: Jene, die ihren Vater "getötet" hat (viele kennen die Reality-Soap, in der Marine ihren Vater Jean-Marie entmachtet oder, um im Bild zu bleiben, kastriert hat), trifft auf jenen, der seine "Mutter" geheiratet hat (Emmanuel Macron, der seine Französischlehrerin geehelicht hat). Très oedipien.
Die andere französische Besonderheit ist ein Dritter, der sich in diese ödipale Zweisamkeit einmischt. Eine wichtige Figur in dieser Anordnung - ist er doch derjenige, der mit der Tradition des Cordon sanitaire gegen Rechts, dem republikanischen Grundverständnis Frankreichs, bricht: Als einziger der unterlegenen Kandidaten hat Jean-Luc Mélenchon keine Wahlempfehlung für Macron abgegeben. Und hier schließt sich der Kreis zu Österreich - denn diese Frage, diese zentrale Frage scheint langsam auch hierzulande aufzutauchen: Hält der Cordon sanitaire? Und wer könnte ihn brechen?