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Ökonomin Barbara Kolm im Interview über Steuermoral, Offshore-Zentren und eine Burgtheater-Pleite.
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"Wiener Zeitung": Frau Kolm, für Sie fungiert die Schweiz stets als Vorbild, weil sie die Prinzipien des freien Marktes hochhält. Nun untergräbt die Schweiz das Prinzip des freien Personenverkehrs. Das widerspricht fundamental den Überzeugungen, die Sie predigen.
Barbara Kolm: Ja, wir finden, man muss diesen Bereich offen gestalten, aber das Thema Migration fällt in die nationale Hoheit der Schweiz. Das Ergebnis ist zu akzeptieren, auch von der EU. Man sollte jedoch sehr wohl darüber nachdenken, warum die Schweizer so entschieden haben. Offensichtlich hatten die Menschen tatsächlich Angst, dass ihr Arbeitsmarkt überbelastet wird. Und wir sollten fragen, warum etwa so viele Vorarlberger Arbeitskräfte in die Schweiz gehen.
Weil man in der Schweiz zumindest das Doppelte verdient.
Eben.
Sie geißeln die EU für deren angeblich marktfeindliche Haltung, dabei verdankt Österreich der Union die größte Liberalisierungswelle nach 1945.
Das war einmal, in den letzten Jahren ist die EU zu einem überbürokratisierten, regulierungswütigen Apparat geworden. Der gemeinsame Markt ist uneingeschränkt zu begrüßen, heute jedoch untergräbt die Kommission die nationalen Parlamente, sie mischt sich in Bereiche ein, die sie nichts angehen.
Aber wenn jemand in der EU eine liberale Agenda verfolgt, ist es die Kommission - bei Freihandelsabkommen mit den USA, bei Kartellbildungen, bei verbotenen Beihilfen, beim Strommarkt . . .
Das ist alles richtig und gut, nur versucht die EU auch im Sozialrecht einheitliche Standards zu setzen, nur die passen nicht für eine so heterogene Gemeinschaft. Wir sind keine Vereinigten Staaten von Europa.
Sollten wir dazu werden?
Nein, wir brauchen gemeinsame Außengrenzen und den gemeinsamen Markt, zugleich aber auch den Wettbewerb der Regionen. Europa war in seiner Geschichte immer dann erfolgreich, wenn es möglichst kleinräumig strukturiert war und innereuropäisch im Wettbewerb stand.
Damals war die Welt noch unermesslich groß, heute ist sie unvorstellbar klein. Die Konkurrenz findet nicht mehr zwischen italienischen Stadtstaaten und der Hanse statt, sondern zwischen Europa, China, den USA, Indien, Brasilien.
Ja, trotzdem dürfen wir nicht vergessen, dass Innovationen aus dem Kleinen hervorgehen, von Einzelnen entworfen werden.
Was ist in Ihren Augen moralisch verwerflicher: Steuern hinterziehen oder Sozialtransfers ergaunern?
Beides ist gleich verwerflich. Ehrlich gesagt verstehe ich aber jemanden, der das Land verlässt, weil die Steuerbelastung unmoralisch hoch ist.
Das wäre ein Steuerflüchtling, mir geht es um Steuerbetrug.
Der ist uneingeschränkt verwerflich. Gesetzliche Verpflichtungen sind zu erfüllen. Trotzdem müssen wir die Staatsaufgaben radikal hinterfragen, damit die Steuern gesenkt werden können - zum Nutzen aller. Wenn der Staat weniger Aufgaben hat, hat er auch weniger Geld für Misswirtschaft zur Verfügung.
Im Zusammenhang mit der Finanzkrise kritisieren Sie die Sparpolitik, die Brüssel den Pleite-Staaten im Gegenzug für Hilfspakete auferlegt. Gleichzeitig fordern Sie, man hätte Griechenland pleitegehen lassen sollen. Mit Verlaub: Eine Pleite hätte ungleich härtere Folgen.
Ich stehe dazu, dass man den Griechen die Chance hätte geben sollen, sich selbst zu restrukturieren. Dass dies zum Banken-Kollaps in der Eurozone geführt hätte, halte ich für ein Märchen. In den USA sind mehr als 500 Banken pleitegegangen und das Land steht nach wie vor. Für die Bürger wäre eine Insolvenz zunächst härter geworden, aber die Erholung wäre nach einem Euro-Austritt schneller gekommen.
Ist es nicht vermessen, solche Forderungen aufzustellen, ohne für die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen den Kopf hinhalten zu müssen?
Wenn man ehrlich ist, erkennt man, dass die Verantwortlichen in Griechenland gar nicht härter arbeiten wollen, solange das Geld anderer Steuerzahler fließt. Das Umdenken kommt leider erst dann, wenn man brutal gegen die Wand fährt. Diese Wahrheit ändert sich nicht, ob ich für Entscheidungen verantwortlich bin oder nur von der Couch aus kommentiere.
Sollen Banken eine gewisse Größe nicht überschreiten dürfen, um zu verhindern, dass sie ganze Staaten in Geiselhaft nehmen?
Angesichts der jüngsten Finanzkrise sollte man das ernsthaft überlegen. Zumindest, wenn die Banken Geschäfte mit der öffentlichen Hand machen, also etwa Staatsanleihen zeichnen.
Sollten internationale Steueroasen, also sogenannte Offshore-Zentren, rigoros geschlossen werden?
Nein, weil sie für ein Minimum an Steuerwettbewerb sorgen. Ansonsten würden die Steuern wohl ins Unermessliche steigen.
Das relativiert Ihre moralische Verurteilung von Steuerbetrug.
Das sehe ich nicht so. Es steht jedem Staat frei, etwa Sonderwirtschafts- oder Freihandelszonen einzurichten, um für Unternehmen und Holdings auch im eigenen Land steuerlich attraktiv zu bleiben.
Als Hayek-Anhängerin ringen Sie mit Keynesianern und linken Globalisierungskritikern um die Lufthoheit bei der Deutung der Finanzkrise. Dabei scheint sich die Realität immer mehr den Theorien zu entziehen: Die Inflation bleibt niedrig, obwohl die Geldmenge aufgebläht wurde, Unternehmen verweigern Investitionen, obwohl die Zinsen niedrig sind . . . Möglich, dass die Theorien falsch liegen?
Da haben Sie völlig recht, ich glaube aber, dass sich zumindest die Austrian Economics theoretisch sehr wohl weiterentwickelt haben. Man muss Hayeks Schule als ideologisches Fundament betrachten, bei der die persönliche Freiheit, das Leistungsprinzip, Wettbewerb und Eigenverantwortung die Basis für alles wirtschaftliche Handeln sind. Darauf baut alle Theorie auf, aber wir verfügen eben über keine vollständige Information.
War es also vielleicht doch richtig, im Zuge der Krise die Geldmenge aufzublasen, obwohl Sie das stets verteufelt haben?
Wir können nicht in die Zukunft schauen.
Das hört man selten von professionellen Welterklärern.
Es ist aber so. Ich hätte mir vor drei Jahren auch nicht gedacht, dass wir heute noch den Euro in dieser Form haben.
Dieses Fehlurteil teilen Sie mit dem prominenten linken Ökonomen Paul Krugman.
In dieser Frage lagen noch viele andere Experten daneben. Ich habe schlicht die Macht der Politiker in Europa unterschätzt. Es war ein genialer Schachzug Angela Merkels, das Schicksal des Euro mit dem Schicksal Europas zu verknüpfen.
Sind Sie nicht immer wieder überrascht, wie ein - in Ihren Augen - so völlig verfehlter Staatsaufbau ein so wohlhabendes, lebenswertes Land hervorbringen kann? Die Länder, die Sie als Vorbild hinstellen - Honduras, Chile, Singapur - können da nicht mit.
Das denke ich mir tatsächlich immer wieder, obwohl man diese Länder nicht unterschätzen darf. Warum es uns noch immer so gut geht, liegt an unserer Mentalität und den erfolgreichen kleinen und mittleren Unternehmen.
Das Burgtheater ist in wirtschaftlicher Schieflage. Würden Sie die Bühne pleitegehen lassen?
Ja, dann wird sich jemand finden, der es erfolgreichen führen kann. In den USA ist dies üblich.
Sind Sie wirklich überzeugt, dass es unmöglich ist, dass sich ein staatliches System, etwa bei Gesundheit, Bildung oder Pensionen, in der Praxis einem privatwirtschaftlichen als überlegen erweist?
Die Frage muss lauten: Sind wir in Europa noch imstande, diese Bereiche ohne den Staat zu lösen? Die skandinavischen Staaten haben hier intelligente Lösungen gefunden, indem sie in etlichen Bereichen die Wahlmöglichkeiten des Einzelnen erhöht und den Staatseinfluss reduziert haben.
Höre ich richtig: Die Hayek-Anhängerin Barbara Kolm plädiert für ein skandinavisches Modell?
Es wäre zumindest ein erster Schritt in eine bessere Richtung. Trotz ihrer hohen Steuerbelastung haben die Skandinavier auf den Leistungen des Staates ein Preispickerl, das für Transparenz sorgt. Das ist ein Grad an Freiheit, der bei uns noch nicht erreicht ist. Es geht bei allen Problemen immer um pragmatische Lösungen, die den größtmöglichen Nutzen mit der größtmöglichen Freiheit der Bürger bei geringstmöglichen Steuern kombiniert.
Zur Person
Barbara Kolm, geboren 1964 in Innsbruck, ist seit 2000 Präsidentin des Friedrich A. v. Hayek Instituts und Direktorin von "Austrian Economics Center". Bis 2006 saß Kolm für die FPÖ im Innsbrucker Gemeinderat.