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Internetvergehen als Wahlthema. | 60 Prozent von Europas Jugend lädt illegal aus dem Netz. | Wien. Denis Simonet ist ein waschechter Pirat. Mit seinen 24 Jahren, Intellektuellen-Brille und hellem Teint entspricht er nicht unbedingt dem gängigen Bild des goldzähnigen Fieslings mit Augenklappe und Holzbein. Doch Simonets Jagdrevier ist nicht die raue Welt der sieben Weltmeere, sondern das globale Computernetz. Am 12. Juli hat er mit ein paar Gleichgesinnten die Schweizer Piratenpartei gegründet. Ihr oberstes Ziel ist es, das derzeit illegale Kopieren von Medien wie Musik, Film oder Software im Internet zu legalisieren. Zum Entern des geltenden Urheberrechts ist Simonet mehr als bereit: "Wir machen Dampf und wir wollen ernstgenommen werden", sagt er feurig.
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Die Schweizer Piratenpartei ist die neueste einer Serie von Fraktionen, die derzeit wie Schwammerl aus dem Boden schießen. Egal, ob Brasilien, Südafrika, Russland oder Frankreich: Rund um den Globus wurden in den letzten drei Jahren Piratenparteien gegründet. Auch in Österreich gibt es seit dem Jahr 2006 eine Partei der Internet-Freibeuter.
Ausgangspunkt dieser Welle ist Schweden. Hier entstand am 1. Jänner 2006 die erste Piratenpartei und dort ist sie auch am erfolgreichsten. Seit den letzten Europawahlen ist die Piratpartiet die drittstärkste Kraft im Land und hat mit 215.000 Stimmen einen Sitz im Europaparlament errungen. Dieser Erfolg war auch Antrieb für die Gründung der Schweizer Partei. "Die Wahl zum Europaparlament hat viele Sympathisanten mobilisiert", sagt Simonet.
In absoluten Zahlen gemessen sind allerdings die deutschen Piraten am erfolgreichsten. Sie haben bei den Europawahlen 229.000 Stimmen erhalten und haben auch die rechtlichen Hürden für eine Teilnahme an der Bundestagswahl am 27. September genommen.
Harte Kämpfe in Deutschland
Was Denis Simonet für seine Partei in der Schweiz angekündigt hat, hat man in Deutschland bereits geschafft: Die Piraten werden ernstgenommen - und damit verbunden sind Angriffe im harten politischen Geschäft. So geriet Jörg Tauss, ein Abgeordneter, der von der SPD übergelaufen war, ins Kreuzfeuer der Kritik. Gegen ihn wird wegen Besitzes von Kinderpornographie ermittelt. Tauss selbst gab den Besitz zwar zu, rechtfertigte diesen allerdings damit, dass er versucht habe, auf eigene Faust gegen Kinderporno-Produzenten zu ermitteln.
Auch der Piraten-Politiker Bodo Thiesen machte negative Schlagzeilen. Ihn hatte im Jahr 2003 gestört, dass der deutsche Angriff auf Polen als Überfall bezeichnet wurde und meinte zudem, dass Hitler keinen Krieg gewollt habe.
Solche Meldungen legen den Verdacht nahe, dass die Piratenpartei ihre Unterstützer nicht nur des hehren Freiheitsgedankens wegen anzieht.
Auch in Schweden gibt es indirekte Verzweigungen nach Rechtsaußen. Carl Lundström, einer der Erben des Knäckebrot-Giganten Wasa, finanzierte Parteien am rechten Ende des politischen Spektrums ebenso wie die Internet-Tauschbörse Pirate-Bay. Die wiederum war einer der Hauptimpulse für das gute Abschneiden der Piratenpartei bei der Europawahl.
Strikte Gesetze bringen Piraten Stimmen
Die Verurteilung von Pirate Bay zu 5,5 Millionen Euro wegen illegalen Filesharings hat für einen Aufschrei unter vielen Tauschbörsen-Nutzern gesorgt, die in Scharen zu der Partei geströmt sind, die sich für die Legalisierung dieses Datenaustauschs einsetzt. Noch härter geht man in den USA vor. So wurde vor kurzem eine Frau zu einer Strafe von zwei Millionen Dollar verurteilt, weil sie 24 urheberrechtlich geschützte Lieder aus dem Internet heruntergeladen hatte. Unverhältnismäßigkeiten dieser Art bringen Stimmen und sorgen nicht nur bei Piraten in Europa, sondern auch bei Juristen für Kopfschütteln.
In Europa sind die Gesetze derzeit in Schweden, Großbritannien und Frankreich am striktesten. Sie erlauben es, die Internet-Surfer zu identifizieren und zu verfolgen. Für besonderes Aufsehen sorgt derzeit der strenge Gesetzesentwurf Hadopi in Frankreich (siehe Seite 4). Er wird von Präsident Nicolas Sarkozy betrieben, der enge persönliche Bindungen zur Medienbranche hat. (Zur Rechtslage in Österreich siehe Kasten.)
Für Erich Schweighofer, Professor an der Universität Wien, ist die derzeitige Situation nicht befriedigend. Denn die österreichischen Gesetze zielen eher auf Abschreckung denn auf Verfolgungsdichte ab. "Wenn, dann müsste man alle be strafen, die im Internet gegen das Urheberrecht verstoßen", sagt Schweighofer.
Doch das sind laut Eurostat nach derzeitigem Stand 60 Prozent der 16- bis 24-Jährigen in Europa. Von daher auch die Forderung der Piraten zur Legalisierung der kostenlosen Privatkopien. Das wiederum ist für die Medienindustrie nicht akzeptabel. "Künstler und Labels müssen von etwas leben, sonst sinkt das Produktionsangebot", erklärt Franz Medwenitsch vom Verband der österreichischen Musikwirtschaft. Er beklagt den Mangel an Wertschätzung der Internet-Piraten für das geistige Eigentum.
Doch genau diese Einstellung bringt den Piratenparteien ihre Wähler. So erklärt sich auch, dass die Gruppierungen kaum andere Inhalte berühren. Kopieren im Internet ist ihrer Meinung nach ein Zugpferd, das stark genug ist. Zudem würden sie mit zusätzlichen Positionierungen potenzielle Wähler vergrätzen. "Wenn wir eine Position zur Umverteilung von Vermögen beziehen würden, würden wir zusammenfallen wie ein Kartenhaus", erklärte Rickard Falkvinge, Chef der schwedischen Piratenpartei.
Doch eines der größten Erfolgsrezepte der Piraten dürfte sein, dass sie mit dem Thema Internet-Downloads eine Marktlücke entdeckt haben, die keine andere Partei bereit war zu besetzen. Dies führte letztlich auch zur Gründung der Schweizer Piraten, die keine Chance sahen, in anderen Parteien ihre Forderungen durchzusetzen. "Die Jungsozialisten hatten in einigen Punkten ähnliche Ansätze wie wir, doch die Partei hat diese abgewürgt", erklärt Denis Simonet
Ideologisch sind die Piratenparteien schwer einzuordnen. Von ihren Forderungen her dem liberalen Lager einzuordnen, sind sie für manchen Vertreter der Musikindustrie sogar Marxisten, die versuchen, die Vergesellschaftung von Ideen durchzusetzen. Diese Unzurechenbarkeit wiederum nährt die Vorstellung, dass es ein völlig neues politisches Lager ist, das hier entsteht.