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Die Freiheit begann mit einem Lied

Von Rainer Mayerhofer

Politik

Es war 0.30 Uhr am 25. April 1974, als im katholischen portugiesischen Rundfunksender "Radio Renascenca" der Sprecher die Worte eines vom Regime verbotenen Liedes verlas: "Grandola, vila morena": Grandola, du kleine dunkle Stadt, Ort der Brüderlichkeit, in dir, o Grandola, ist es das Volk, das befiehlt. Die Hymne von Jose Afonso war für eine kleine Gruppe der portugiesischen Armee das Startzeichen zum Putsch, der als "Nelkenrevolution" in die Geschichte einging und die älteste Diktatur Westeuropas - Antonio Salazar und sein Nachfolger Marcello Caetano hatten die Macht seit 1926 inne - binnen 17 Stunden zum Zusammenbruch brachte.


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Im morschen Gebälk der faschistischen Diktatur Portugals war schon lange der Wurm. Als der 79-jährige Antonio Salazar Ende August 1968 durch die modrige Bespannung eines Liegestuhls gestürzt war und sich eine Gehirnblutung zugezogen hatte, an deren Folgen er knapp zwei Jahre später starb, hatte er seinem Nachfolger Marcello Caetano ein Land in Gärung hinterlassen. In den afrikanischen Kolonien Angola, Guinea und Mozambique wüteten erbitterte Bürgerkriege. Sie verschlangen zeitweise bis zu 50 Prozent des Staatsbudgets und brachten das Land, das ohnehin als Armenhaus Europas galt, an den Rand des wirtschaftlichen Zusammenbruchs. Auch die Militärs sahen, dass die Kriege in Afrika nicht zu gewinnen waren. Im Februar 1974 hatte General Antonio de Spinola, der frühere Kommandant der portugiesischen Armee in Guinea-Bissau und zum damaligen Zeitpunkt stellvertretende Oberkommandierende der Armee ein Buch "Portugal und die Zukunft" veröffentlicht, in dem mit der Afrika-Politik der Regierung scharf abrechnete.

Breite Teile des Militärs schlossen sich zu der Bewegung "Movimento das Forcas Armadas" (MFA - Bewegung der Streitkräfte) zusammen. Vor allem jüngere Offiziere bildeten den Kern der Bewegung.

Als Reaktion auf Spinolas Buch, das in der Bevölkerung breite Zustimmung fand, verteidigte Ministerpräsident Caetano am 5. März 1974 vor der Nationalversammlung seine Kolonialpolitik und ließ sich demonstrativ das Vertrauen aussprechen. Am gleichen Abend trafen sich in Cascais bei Lissabon 176 Berufsoffiziere des Landheeres, 24 Offiziere der Luftwaffe und vier Marineoffiziere und verabschiedeten ein Programm "Die Bewegung, die Streitkräfte und die Nation", in dem die Beendigung der Kolonialkriege, die Beseitigung der Einheitspartei und der Geheimpolizei PIDE und die Einführung der Demokratie festgelegt war.

Diktator Caetano entließ Vize-Armeechef Spinola

Die faschistischen Machthaber waren wie vor den Kopf gestoßen, gaben sich aber noch nicht geschlagen. Caetano inszenierte am 14. März für sich eine Vertrauenskundgebung höherer Offiziere, der die Generäle Antonio de Spinola und Francisco da Costa Gomez demonstrativ fernblieben, worauf sie unmittelbar darauf ihrer Ämter enthoben wurden. Das und Gerüchte, dass die Geheimpolizei PIDE die Verhaftung einer Reihe von Offizieren Anfang Mai plante, beschleunigte die Putsch-Vorbereitungen der MFA. In einem Treffen am 24. März wurde der Zeitpunkt des Aufstands für die Woche vom 20. bis 27. April festgelegt.

Jose Afonsos Lied im Radio gab knapp nach Mitternacht am 25. April das Zeichen zum Losschlagen. Ministerpräsident Marcello Caetano und Staatspräsident Americo Thomas verschanzten sich einige Stunden lang in der Carmo-Kaserne und in der Geheimdienstzentrale kam es zu Kämpfen, die vier Tote und 45 Verletzte forderten. Ansonsten verlief die Revolution unblutig. Große Teile der Armee liefen zu den Aufständischen über. Vom Nachbardiktator in Spanien, Francisco Franco, kam kein Zeichen, dass er bereit wäre, den Gesinnungsfreunden in Lissabon zu helfen. So war nach etwa 17 Stunden die Diktatur, unter der die Portugiesen 48 Jahre lang gelitten hatten, Geschichte. Caetano verlangte schließlich nur, dass die Regierungsgewalt an General Spinola übergeben werde und rief diesen selbst an.

Die Bevölkerung strömte zahlreich auf die Straßen und feierte das Ende der Diktatur. Den Soldaten wurden Nelken in die Gewehrläufe gesteckt.

Aus dem Pariser Exil kehrten wenige Tage später die Parteiführer der Linken in die Heimat zurück: Alvaro Cunhal, der Chef der Kommunisten, der vor seiner Flucht im Jahr 1960 elf Jahre lang in einer Festung an der Atlantikküste inhaftiert war und der Sozialist Mario Soares, der nach Gefängnis und Verbannungsjahren 1973 in Deutschland mit Unterstützung der SPD die "Sozialistische Partei Portugals" gegründet hatte. Cunhal wurde Minister ohne Geschäftsbereich, Soares Außenminister in der ersten demokratischen Regierung Portugals.

Unruhige politische Zeiten nach der Revolution

Doch Portugal sollten noch unruhige Jahre bevorstehen. Der konservative Spinola, der von der Junta zum provisorischen Staatspräsidenten ernannt worden war und die linken Offiziere der MFA bekamen sich in der Kolonialfrage bald in die Haare. Spinola setzte auf eine Art portugiesisches Commonwealth, während die Offiziere für die Unabhängigkeit der Kolonien eintraten - und sich durchsetzten. Im September 1974 appellierte Spinola an die "schweigende Mehrheit", ihn im Kampf gegen die Linke zu unterstützen, musste aber eine geplante Großveranstaltung auf Druck des Militärs absagen und trat daraufhin am 30. September 1974 von seinem Amt als Staatspräsident zurück. Sein Nachfolger wurde General Costa Gomez. Nach einem dilettantischen Putschversuch rechtsgerichteter Offiziere am 11. März 1975 wurde Spinola aus der Armee ausgestoßen und ging ins Exil nach Brasilien, von wo ihn erst Mario Soares, nachdem er Ministerpräsident geworden war, im August 1976 in die Heimat zurückholte. Spinola hielt sich bis zu seinem Tod am 13. August 1996 von der Politik fern.

Die Militärs hatten bis zur Wahl der verfassungsgebenden Versammlung am ersten Jahrestag der Revolution die Macht fest in den Händen. Das ging manchmal bis ins Komische. Zum Song Contest nach Stockholm am 22. März 1975 schickten sie einen der Verschwörer der ersten Stunde: Duarte Mendes, der in Uniform auftrat und mit seinem Lied "Madrugada" (Morgendämmerung), die Revolution besang.

Bei den Verfassungswahlen am 25. April 1975 zeigte sich dann aber die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der Politik des MFA. Alvaro Cunhals PCP erhielt nur 12,5 Prozent der Stimmen. Sieger waren die Sozialisten unter Mario Soares, die auf 37,8 Prozent kamen und die Demokratische Volkspartei (26,3 Prozent).

MFA-Oberst Vasco Goncalves blieb aber als Ministerpräsident im Amt. Als er ersetzt werden sollte und im November eine Regierung unter Einschluss aller Parteien gebildet wurde, kam es zu einem Gegenputsch von links, den General Ramalho Eanes, der 1976 zum Präsidenten gewählt wurde, niederschlug.

MAF spaltete sich

in drei Fraktionen

Die MAF hatte sich in der Zwischenzeit in drei Fraktionen gespalten: Die Gemäßigten wollten eine Annäherung an die politischen Parteien und einen Stopp der revolutionären Aktivitäten, die besonders bei der Landbevölkerung auf zunehmenden Widerstand stießen. Die Kommunisten, die die Politik Alvaro Cunhals unterstützten und die "Neue Linke", die eher den kubanischen Weg der Revolution anstrebte. Ihr Anführer Otelo Saraiva do Carvalho trat bei den ersten Präsidentenwahlen im Juni 1976 an, unterlag aber deutlich dem linkspopulistischen General Antonio Ramalho Eanes, der auf 61,5 Prozent der Stimmen kam und zehn Jahre lang an der Staatsspitze blieb.

Die ersten Parlamentswahlen gewann Soares

Die ersten Parlamentswahlen am 25. April 1976, am zweiten Jahrestag der Nelkenrevolution gewannen wie schon die Wahlen zur verfassungsgebenden Versammlung die Sozialisten und deren Parteichef Mario Soares wurde zum erstenmal Ministerpräsident. Es sollte der erste Höhepunkt einer langen politischen Karriere werden, die ihn schließlich 1986 in das Amt des Staatspräsidenten brachte, das er zwei Amtsperioden lang bis 1996 innehatte. Unter Soares erfolgte 1986 auch der Beitritt Portugals zur Europäischen Union.