Streiks sind zwar nicht verboten. | Die Teilnehmer müssen aber mit straf- und zivilrechtlichen Folgen rechnen. | Die einen haben es angedroht, die anderen wollen es durchsetzen: Streik. Während die Lehrer ihre Drohungen nach der Einigung mit der Bildungsministerin zurückgenommen haben, haben die Drucker erst diesen Dienstag einen Streikbeschluss gefasst.
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Angesichts dieser Entwicklungen stellt sich die Frage: Gibt es in Österreich ein Streikrecht?
Die Antwort hängt davon ab, was man unter diesem Begriff versteht. Bejaht man ein Streikrecht nur dann, wenn die Verfassung oder ein Gesetz ausdrücklich auf den Streik Bezug nimmt und wenn sich aus diesen Bestimmungen zumindest ableiten lässt, unter welchen Bedingungen und mit welchen Rechtsfolgen gestreikt werden kann, dann gibt es in Österreich kein Streikrecht. Denn wie in den meisten Staaten hat es der Gesetzgeber auch hierzulande gescheut, diese äußerst sensible Frage anzupacken. Stattdessen hat er es den Gerichten und der Wissenschaft überlassen, dafür Lösungen zu entwickeln. Gerichtsentscheidungen sind allerdings selten, weil die durch Streiks verursachten Rechtsfragen in aller Regel bei Beendigung des Arbeitskampfes zwischen den Beteiligten einvernehmlich bereinigt werden. Selbst in jenen Staaten, die wie Frankreich oder Italien ein Streikrecht in die Verfassung aufgenommen haben, fehlt es an ausführenden Gesetzen, weshalb auch dort die Auswirkungen im Einzelnen umstritten sind.
Das in der Europäischen Sozialcharta enthaltene Streikrecht ist hierzulande auch nicht anwendbar, da Österreich diesbezüglich einen Vorbehalt angebracht hat. Wenn für Österreich Rückschlüsse aus der deutschen Rechtslage gezogen werden, dann gehen sie daran vorbei, dass dort die Rechtsgrundlagen anders sind. Nach herrschender Ansicht ergibt sich nämlich aus dem deutschen Grundgesetz eine verfassungsrechtliche Verankerung des Kollektivvertragswesens, zu dem auch die Möglichkeit der Streikführung gehören soll.
Das daraus abgeleitete deutsche Streikrecht beruht auf einer umstrittenen Grundsatzentscheidung des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 1955, aus der Konsequenzen abgeleitet wurden, die jedenfalls in Europa einmalig sind. So werden etwa gewerkschaftliche und sogenannte "wilde Streiks" grundsätzlich unterschiedlich behandelt.
Nieder mit der Arbeit
Man kann unter Streikrecht auch etwas Anderes verstehen, nämlich die grundsätzliche Zulässigkeit der Organisation eines Streiks und der Teilnahme an diesem Streik durch Niederlegung der Arbeit. Dies ist die Rechtslage in Österreich, seit die speziellen Strafbestimmungen gegen die Streikführung aufgehoben wurden. Dabei gelten unterschiedliche Grundsätze für den, der zum Streik auffordert, diesen leitet und auch zur Beendigung aufruft, und den einfachen Streik-Teilnehmer.
Der Streik-Organisator handelt rechtmäßig, solange die Streikführung weder allgemeine strafrechtliche Bestimmungen wie etwa das Verbot der Körperverletzung noch allgemeine zivilrechtliche Bestimmungen verletzt. Das ist bei Arbeitskämpfen um Veränderungen der Löhne und sonstiger Arbeitsbedingungen regelmäßig der Fall.
Weitgehende Einigkeit besteht, dass der Streik-Organisator alle ihm zumutbaren Vorkehrungen treffen muss, damit es durch den Streik nicht zu Straftaten oder zur Verletzung von Vorschriften kommt, die dem Schutz von Personen (zum Beispiel die Aufsichtspflicht in den Schulen) oder der Allgemeinheit dienen. Unterlässt der Organisator dies, haftet er für die Folgen.
Grundsätzlich als unzulässig wird ein Streik angesehen, der politische Ziele verfolgt und sich gegen die Regierung beziehungsweise den Gesetzgeber richtet. Solche Streiks verstoßen nämlich einerseits gegen Grundsätze der parlamentarischen Demokratie. Andererseits können die, gegen die gestreikt wird - meist private Unternehmer -, die Streikziele gar nicht erfüllen. Eine Ausnahme dürfte allerdings gelten, wenn sich der Streik gegen den Staat als Dienstgeber wendet und sich inhaltlich auf Arbeitsbedingungen bezieht, wie dies beim Konflikt um die Lehrerarbeitszeiten der Fall war.
Fristlose Entlassung
Anders als das Verhalten der Streik-Organisatoren ist die Streikteilnahme durch den einzelnen Arbeitnehmer beziehungsweise Vertragsbediensteten zu beurteilen. Wenn dieser an einem Streik teilnimmt, verletzt er nämlich seine vertraglichen oder bei Beamten durch Gesetz verordnete Arbeitspflicht.
Eine solche Dienstpflichtverletzung berechtigt den Dienstgeber nicht nur dazu, für die Ausfallszeit kein Entgelt zu bezahlen, sondern vom Streikenden auch Schadenersatz zu verlangen und diesen bei beharrlicher Arbeitsverweigerung fristlos zu entlassen.
Eine Rechtsgrundlage dafür, dass Arbeitnehmer im Streikfall die Arbeit sanktionslos einstellen können, enthält das österreichische Arbeitsrecht also nicht. Nur Bundesbeamte können auch bei ungerechtfertigter Abwesenheit vom Dienst für drei Tage ihr Entgelt weiter beanspruchen. Sie müssen dann jedoch wegen schuldhafter Verletzung ihrer Dienstpflichten mit einer Entlassung auf Grund eines Disziplinarverfahrens rechnen.
Ein geschätzter Kollege charakterisiert in seinem Lehrbuch das geltende Recht zutreffend im Sinne der herrschenden Auffassungen als "Arbeitskampffreiheit", nach der Arbeitskämpfe "im Rahmen einer allgemeinen Handlungsfreiheit, zu tun, was nicht verboten ist" erlaubt sind, jedoch nicht "die Anwendung allgemeiner zivil- oder strafrechtlicher Normen suspendieren". Die Arbeitsverweigerung im Streik stelle somit keinen Rechtfertigungsgrund für die Vertragsverletzung dar. Leider waren seine jüngsten öffentlichen Aussagen nicht so klar. Indem er undifferenziert von einem "Streikrecht" sprach und sich zu dessen Konkretisierung auf deutsche Auffassungen stützte, trug er eher zur Verunsicherung der Öffentlichkeit bei.
Theodor Tomandl ist emeritierter Professor am Institut für Arbeits- und Sozialrecht an der Universität Wien.