Zum Hauptinhalt springen

Die Freiheit des Regisseurs

Von Edwin Baumgartner

Kommentare

Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 10 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Das ist ein seltsamer Fall: Der Suhrkamp-Verlag will die Aufführung von Bertolt Brechts "Baal" am Münchener Residenztheater "aus urheberrechtlichen Gründen" untersagen.

Es ist ein "Fall Regietheater". Frank Castorf inszenierte Brechts frühes Drama als Auseinandersetzung mit dem Vietnam-Krieg, mit dem es naturgemäß nichts zu tun hat. Der Regisseur fügte dabei Texte ein, die nicht von Brecht stammen. Brechts Erben geht das zu weit: Bei Castorfs Interpretation handle es sich "um eine nicht-autorisierte Bearbeitung des Stückes von Bertolt Brecht". Damit erhebt sich wieder einmal die Frage, wie weit eine Inszenierung gehen darf.

Längst ist es üblich, die Theatertexte der Klassiker zu fragmentieren und sie mit fremdem Material anzureichern. Die Regisseure bauen sich aus den Trümmern der Klassiker neue Stücke, gleichsam Textbebilderungen ihrer szenischen Ideen.

Doch im konkreten Fall geht es nicht um die Frage Regietheater pro oder kontra, es geht um die Frage, in welchem Ausmaß soll ein Verlag, sollen die Erben eines Autors in die Aufführungsgeschichte eingreifen dürfen. Und an welcher Grenze soll das festgemacht werden? Ist die Grenze bei der Einfügung fremden Materials erreicht - oder schon bei der Fragmentierung? (Welche Worte müssen gesprochen werden, damit das Stück seine Identität behält?) Und wenn der Autor in der Regieanweisung schreibt: "Links steht eine Linde" - ist es ein unerlaubter Eingriff, wenn der Regisseur statt dessen rechts eine Buche auf die Bühne stellt? Der Fall Baal scheint vor Gericht zu landen. Egal, wie er ausgeht, es wird ein übler Nachgeschmack bleiben.