![Eine Illustration einer Frau mit Kopftuch.](https://media.wienerzeitung.at/f/216981/2500x1875/a87666ab3f/wz_podcast_header_fatima_storer.jpg/m/384x288/filters:quality(50))
Hatte ausgerechnet George W. Bush recht, den die meisten Europäer ja für den dümmsten aller US-Präsidenten halten? "60 Jahre lang", gestand Bush nach den 9/11-Anschlägen ein, "fand der Westen Vorwände für die Unfreiheit im Nahen Osten und richtete sich mit ihr gut ein. Aber diese Strategie brachte uns nicht mehr Sicherheit. Auf lange Sicht lässt sich Stabilität nicht auf Kosten von Freiheit kaufen." Die Revolution in Ägypten scheint dramatisch zu belegen, dass sich Sicherheit nicht auf Kosten von Freiheit erkaufen lässt. Freiheit hatten die Ägypter wirklich nicht, trotzdem ist die Stabilität jetzt perdu.
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Bushs Erkenntnis hatte den Vorteil, aus ethischer Sicht unangreifbar zu sein - und den kleinen Nachteil, dass ihre praktische Umsetzung eher nicht ganz den gewünschten Erfolg brachte. Seit Afghanistan und Irak wissen wir, dass die Vorstellung, in dieser Region würde die Befreiung von üblen Regimes gleichsam zwangsläufig zur erwünschten politischen Stabilität führen, ein wenig naiv ist.
Ob das nicht letztlich auch für Ägypten gelten wird, kann heute niemand mit ausreichender Sicherheit beurteilen. Dass am Ende einer Revolte von zu Recht zornigen jungen Leuten ganz andere Kräfte an die Macht gespült werden, soll schon vorgekommen sein. Sowohl Fidel Castros elender Tropensozialismus als auch die islamofaschistische Herrschaft im Iran verdanken ihre jahrzehntelange Existenz ursprünglich durchaus legitimen Revolutionen, die nicht unbedingt zum Ziel hatten, was sie letztlich bewirkten.
Das heißt natürlich nicht, dass es in Ägypten so ähnlich kommen muss; es kann aber. Der islamische Intellektuelle Tariq Ramadan geben meint dazu: "Wir müssen uns jetzt ohne Vorurteile fragen, ob wir für die Demokratie sind oder nicht." Der Westen wird dies klar beantworten müssen.
Genau darum geht es letztlich: Wenn der Westen für Demokratie ist, muss er auch akzeptieren, dass diese etwa in Gaza die Hamas an die Macht gebracht hat. Gut möglich, dass die Muslimbrüder nicht an der Errichtung einer "Islamischen Republik Ägypten" interessiert sind - der Friedensvertrag mit Israel liegt ihnen jedenfalls auch nicht übermäßig am Herzen.
Die Antwort auf Ramadans Frage muss ja letztlich für die ganze arabische Welt gelten: Sollten also etwa die Saudis ebenfalls eine Revolte beginnen, die eine dem Westen wenig gesonnene Macht in Riad brächte, wäre logischerweise auch das zu akzeptieren - was nicht ganz einfach wäre, sollte ein derartiges Regime etwa Öl wieder als Waffe gegen den Westen entdecken und ein neuer Erdölschock die Folge sein. Und was, wenn eine demokratische Revolution im Atomwaffen-Staat Pakistan zu einer islamistischen Regierung führte?
Wer immer im Westen jetzt - ohnehin schon zehn nach zwölf - den tapferen jungen Ägyptern Solidarität in ihrem Kampf um freie Wahlen verspricht, muss der eigenen Bevölkerung erklären, dass und warum er die allfälligen erheblichen Kollateralschäden einer derartigen Revolution in der ganzen arabischen Welt in Kauf zu nehmen gedenkt. Alles andere ist nicht glaubwürdig.