Zum Hauptinhalt springen

"Die Frustration in Afghanistan sitzt tief"

Von Veronika Eschbacher, Kabul

Politik
Rayana Azad ist seit 2010 für die Provinz Uruzgan im afghanischen Parlament.
© Foto: Veronika Eschbacher

Die afghanische Parlamentarierin Rayana Azad über die Sicherheitslage im Land, internationale Truppen und die Proteste gegen die Regierung.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 7 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Diese Woche riss eine Bombe in Kabul mehr als 100 Menschen in den Tod, in 31 der 34 Provinzen des Landes gibt es Kämpfe, die Taliban kontrollieren immer mehr Gebiete. Was ist da los in Afghanistan?

Rayana Azad: Diese massive Bombe hat eine riesige Nachricht an die ganze Welt geschickt: Afghanistan befindet sich noch immer in einem Konflikt und bleibt ein gefährlicher Ort. Wenn die internationale Gemeinschaft auf unser Land vergisst, dann bedeutet das auch eine Gefahr für den Rest der Welt. Terrorgruppen operieren als Netzwerke, sie beschränken sich nicht nur auf Afghanistan.

Wie ist es möglich, dass in der Hochsicherheitsstadt Kabul, in der Sicherheitskräfte massiv präsent sind, so ein Anschlag passiert?

Rayana Azad: Das ist eine wichtige Frage. Es geht vor allem um die Arbeit der Geheimdienste, wir müssen die Wichtigkeit von solider nachrichtendienstlicher Arbeit anerkennen. Der Krieg in Afghanistan spielt sich heute vor allem auf geheimdienstlicher Ebene ab. Ein schwacher Geheimdienst wird dem Land die Niederlage bescheren, genauso wie schwache Entscheidungen innerhalb der Regierung. Die Armee ist wohl auch von Aufständischen infiltriert.

Braucht Afghanistan mehr internationale Truppen?

Rayana Azad: Ja, natürlich, das ist ein Faktum. Die Situation hier wird immer prekärer, terroristische Gruppierungen werden immer aktiver. Wenn es mehr internationale Truppen gibt, können sie unsere Sicherheitskräfte besser unterstützen und das würde auch der afghanischen Bevölkerung einen moralischen Rückhalt geben, eine Art Versicherung. Die Soldaten könnten wie jetzt Trainings- und Beratungsfunktionen haben, aber auch wieder aktiv kämpfen, denn die Gefechte spitzen sich in vielen Provinzen zu, etwa in Uruzgan, Kandahar oder Kunduz.

Sind Sie zufrieden mit der Qualität der Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte durch die internationalen Truppen? Die Sowjets haben in den 1980ern in wenigen Jahren eine gut funktionierende Armee aufgebaut und tausende Offiziere ausgebildet.

Rayana Azad: Generell bin ich damit zufrieden. Aber wir müssen auch die Situation insgesamt miteinbeziehen, die Zeiten damals waren anders. Heute stehen wir vor größeren Herausforderungen. Eine Aufstockung der internationalen Truppen würde helfen, unsere Sicherheitskräfte besser auszubilden.

Am Freitag gingen tausende Menschen auf die Straße, um gegen die Gewalt der Terrorgruppen, die steigende Unsicherheit und die Regierung zu protestieren. Dabei wurden mindestens sieben Demonstranten durch Sicherheitskräfte getötet. Verstehen Sie die Wut der Menschen?

Rayana Azad: Ich kann die Wut der Menschen absolut verstehen. Die Antwort vonseiten der Regierung ist eine große Enttäuschung, einfach auf die Protestierenden zu schießen. Sie verstehen die tiefsitzende Frustration der Menschen im Land nicht. Die Regierung und vor allem Präsident Ashraf Ghani nimmt mit jeden Tag mehr diktatorische Züge an. Sie müssen verstehen, dass das eine Rückwirkung auf sie haben wird. Die Afghanen bekommen mit, dass der Präsidentschaftspalast nach der Macht greift und versucht, sie bei sich zu konsolidieren. Das wird Konsequenzen haben. Wir wissen aus der Geschichte des Landes, dass es für jene, die versucht haben, die Macht an sich zu reißen, desaströs endete.

Ist Afghanistan ein Land, in das man Flüchtlinge zurückschicken kann?

Rayana Azad: Nein. Dabei geht es nicht nur um die Unsicherheit generell, sondern auch darum, dass die Wirtschaft am Boden liegt, die Arbeitslosigkeit massiv ist. Wenn sie zurückkehren, werden sie zu hoffnungslosen und verbitterten Menschen. Das treibt sie in die Hände der Taliban, Daesh und anderer aufständischen Gruppen. Auch ich mache mir jeden Tag Sorgen, wenn ich meine Kinder in die Schule schicke.

Zur Person
Rayana Azad ist seit 2010 für die Provinz Uruzgan im afghanischen Parlament. Die 34-Jährige ist Mitglied des Verteidigungsausschusses des Parlaments.