Keine Woche, kaum ein Tag ohne neue Meldungen über Firmenzusammenschlüsse, Fusionen, Übernahmen in den Wirtschaftsnachrichten. Aus Riesen werden Giganten, aus Konkurrenten werden Partner, | weltbekannte Traditionsnamen verschwinden, neue Kunstnamen erscheinen auf den Kurstabellen der Börsen. Die Fusionswelle schwappte im ersten Halbjahr 2000 höher denn je, alle Branchen sind betroffen · | sogar die Börsen selbst · etwa Frankfurt und London · fusionieren.
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Kaum hatten die beiden Schweizer Großbanken UBS und SBG sich zusammengeschlossen übernahm die Deutsche Bank den amerikanischen Bankers Trust und reklamierte die weltweite "Nummer 1" der Branche
für sich. Der nächste "Größte" wird jetzt aus Japan angekündigt, dort rücken gerade fünf Großbanken unter ein gemeinsames Dach zusammen.
Aus den beiden konkurrierenden deutschen Stahlkonzernen Thyssen und Krupp, die einander noch vor knapp drei Jahren "feindlich" übernehmen wollten, wurde ein gemeinsamer neuer Stahlriese. Daimler Benz
und Chrysler, auf zwei verschiedenen Kontinenten dies- und jenseits des Atlantiks daheim, verschmolzen · ohne Punkt und Bindestrich, nur mehr Aktien von DaimlerChrysler werden gehandelt. Statt der
beiden weltweit bekannten Namen in der Chemie-und Pharmabranche Ciba-Geigy und Sandoz - die beiden trennte in Basel nur der Rhein · merkt man sich nun den Kunstnamen Novartis; aus der deutschen
Hoechst und der französischen Rhone-Poulenc wurde die neue Aventis.
"Fusionitis" · diagnostizieren manche Kommentatoren und rücken das Phänomen mit dieser Wortwahl in die Nähe einer Seuche. Was ist los? Ist Wachstum nur mehr möglich, wenn man Marktanteile zukauft?
Wird es bald nur mehr einige wenige "global players" geben, Megakonzerne, die weltweit alles unter Kontrolle haben?
Fest steht eines: Das Fusionkarussell dreht sich immer schneller. Aus der Fusionswelle des Jahres 1997 · ein Rekordjahr · wurde 1998 eine Fusionswoge mit mehr als 26.000 Verschmelzungen oder
Übernahmen im Gesamtwert von 2.500 Milliarden Dollar. Der Höhepunkt war damals Ende des Jahres die Übernahme von Mobil durch Exxon um 80 Milliarden Dollar.
1999 übertraf selbstverständlich den Rekord von 1998, und heuer gab es allein im ersten Halbjahr weltweit 18.088 Unternehmensfusionen und Übernahmen im Wert von fast 1.900 Milliarden Dollar, wieder
gut 26% mehr als im Vorjahreszeitraum. 100-Milliarden-Dollar-Übernahmen sind mittlerweile normal, der Vodafone-Mannesmann-Deal schlug mit 202,78 Milliarden Dollar zu Buche.
Fest steht aber auch: Wirklich neu ist das alles nicht. Der längst begrabene legendäre John D. Rockefeller würde zwar sicherlich erstaunt zumindest eine Augenbraue heben, hörte er, dass fast neun
Jahrzehnte nach der Zerschlagung seines Imperiums Standard Oil durch die amerikanischen Anti-Trust-Kämpfer die beiden wichtigsten Nachfolgegesellschaften wieder die neue Nummer Eins der Branche
bilden. Aber im Vergleich zu den früheren Giganten bieten die neuen Riesen immer noch eine eher schwache Vorstellung.
Insgesamt unterscheiden sich die jüngsten Fusionen von den Übernahmekämpfen der "gierigen" 80er-Jahre, in denen angesichts der steigenden Aktienkurse als unterbewertet geltende Unternehmen von
"Raidern" erbeutet, filetiert und teuer weiterverkauft worden.
Heute spielt in den Ranglisten immer öfter der Börsenwert die größte Rolle. Zur Erinnerung: Beim Börsenkrach vom 19. Oktober 1987 fiel das Wall-Street-Börsenbarometer Dow Jones Index auf 1.738 Punkte
- allerdings hatte in diesem Jahr der Höchstwert des Index nicht einmal 2.800 Punkte erreicht. Erst 1991 durchbrach der "DJI" erstmals in seiner Geschichte die 3.000er-Marke, erst Anfang 1995 die
4.000 und Ende 1996 die 6.000-Punkte-Grenze. Derzeit notiert der Index der 30 wichtigsten amerikanischen Industriewerte weit über 10.000. Da wurde sehr viel Geld verdient, vor allem von den
Aktionären der übernommenen Firmen, die in der Regel weit mehr als den aktuellen Kurs für ihre Anteile bekamen. Aber auch wenn die derzeit historisch hohen Aktienkurse nach wie vor als
"Raketentreibstoff" für Zusammenschlüsse und Übernahmen dienen - viele der Fusionen sind defensiv. Schrumpfende Märkte · wie in der Rüstungsindustrie ·, schwankende Rohstoffpreise · in der Ölbranche
·, die Unsicherheiten des technologischen Wandels · wie bei den Banken und der Telekomindustrie · die explodierenden Kosten für die Forschung · in der Pharmabranche · oder weltweite Produktions-
Überkapazitäten · wie in der Autobranche · machen die Manager glauben, man wäre besser eine riesige als eine bloß große Firma.
Denn der Druck, hohe Gewinne zu erwirtschaften, nimmt zu. Das Kapital ist beweglich wie noch nie, nur wer "shareholder value" bietet, den Börsenwert des Unternehmens steigert und eine ordentliche
Rendite abwirft, bekommt neue Aktionäre und behält seine Teilhaber.
Alle rechnen deshalb akribisch vor, welche Synergieeffekte und Einsparungen sie sich durch den Zusammenschluß erwarten. Sieben Milliarden Schilling pro Jahr will man etwa mit der neuesten
"Vernunftehe" zwischen der bayerischen HypoVereinsbank · ja, das waren früher auch zwei Konkurrenten · und der Bank Austria aus diesen Titeln lukrieren.
"Big is beautiful"- manchmal. Oft aber auch nicht. Im mittelfristigen Rückblick stellt sich heraus, daß mehr als die Hälfte der Fusionen der vergangenen Jahre Flops wurden. Jüngste Beispiele einer
langen Liste: Deutsche Bank und Commerzbank sagten die Hochzeit im letzten Moment ab, wegen zu verschiedener Unternehmenskulturen · die Spitzenmanager und ihre Teams konnten einander doch nicht
wirklich riechen; die beiden US-Telekomriesen Sprint und MCI Worldcom lösten die Verlobung angesichts des warnend erhobenen Zeigefingers der Kartellwächter; BMW stieß unter Milliardenverlusten die
britische Akquisition Rover wieder ab.
Auch wenn der frühere deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt gewohnt vollmundig die zunehmende Zahl der Fusionen in der deutschen Wirtschaft heftig kritisierte · "Der amerikanische Raubkapitalismus
breitet sich unter deutschen Managern aus: Da werden große Unternehmen im Handumdrehen gekauft und verkauft, als wären es Gebrauchtwagen · ohne ökonomische Notwendigkeit, sondern aus Großmannssucht
und Habgier der Manager, deren Gehälter jeden Rahmen der guten Sitten sprengen" · gerade in Deutschland und Europa hat die Fusionswelle erst begonnen.
Der gemeinsame Währungsraum und das Aufbrechen der staatlichen Monopole im Telekom- und Energiebereich werden Zusammenschlüsse und Übernahmen, die bisher eher im nationalen Rahmen stattfanden, auch
länderübergreifend stark beflügeln. Vor allem im Banken- und Versicherungsbereich, in der Autoindustrie, aber auch noch bei Pharma, bei Telekom, bei der Energieversorgung und in Zukunft auch bei der
Wasserversorgung ..... täglich im Wirtschaftsteil Ihrer "Wiener Zeitung".