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Die Gegenmächte formieren sich

Von Cathren Müller

Wirtschaft
Ein Kritiker der Banken und ihrer Finanzlobby in Brüssel: Andreas Botsch beim diesjährigen Europäischen Forum Alpbach.
© Markus Prantl, EFA

Finanzindustrie schafft sich Regeln selbst.
| Finance Watch will erstmals Gegenexpertise zur Verfügung stellen.


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Wiener Zeitung: Ist die Finanzindustrie in Brüssel zu mächtig?Andreas Botsch: Ja, eindeutig. Wir haben jetzt in allen Gesetzesentwürfen gesehen, wie die Finanzindustrie gegen jeden sinnvollen Vorschlag, mehr Aufsicht und Kontrolle über sie zu gewinnen, Sturm läuft.

Ist die Beteiligung von Josef Ackermann (Deutsche Bank) und Baudouin Prot (BNP Paribas) am EU-Sondergipfel im Juli, bei dem die Beteiligung der Banken an der Griechenlandhilfe beschlossen wurde, eine neue Normalität?

Dass zwei Spitzenbanker an einem europäischen Gipfel teilnehmen, ist hoffentlich eine einmalige Angelegenheit, denn es ist skandalös. Die Banken haben mit der Staatsschuldenkrise durch Spekulationen so viel Geld verdient – die Deutsche Bank hat unter anderem Kreditausfallversicherungen aufgelegt -, dass die Beteiligung an der Umschuldung Griechenlands nur gerechtfertigt ist.

Wie ist es zu der Dominanz der Finanzindustrie in Brüssel gekommen?

Die Ursache sind letztlich die enormen Einkommensunterschiede. Es gibt eine sehr kleine sehr vermögende Schicht auf der einen und stagnierende bzw. sinkende Masseneinkommen auf der anderen Seite. Durch Deregulierungen haben die Finanzinstitutionen seit etwa dreißig Jahren viele Möglichkeiten, das überschüssige Vermögen aufzunehmen. Hinzu kommt, dass die großen Unternehmen versuchen, ihre Eigenkapitalrentabilität durch Finanzprodukte zu steigern.

Sie sagen, diese Frage der Finanzindustrie lässt sich nur lösen, indem man auf der Ebene der Einkommensungleichheit ansetzt.

Ja, wir brauchen eine andere Wirtschaftspolitik und zusätzlich eine stärkere Regulierung der Finanzmärkte. Dazu muss die Politik das Heft in die Hand nehmen und sich nicht von den Finanzmärkten am Nasenring durch die Arena ziehen lassen.
<br style="font-style: italic;" /> Die andere Wirtschaftspolitik sähe wie aus?

Wir brauchen eine makroökonomische Politik, die auf ein nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung setzt, nicht nur auf Inflationsbekämpfung und auf neoliberale Glaubensgrundsätze.

Wie beurteilen Sie in dem Zusammenhang die Aussagen von Charles Moore und Frank Schirrmacher? Werden Konservative potenzielle Verbündete?

Sie stellen sich jetzt die Frage, ob sie sich nicht über Jahrzehnte zum Büttel einer Finanz- und Vermögensoligarchie gemacht haben, die eine massive Verschuldung in Kauf nimmt. Es ist ihre aufrichtige Erkenntnis, dass das Modell so nicht mehr tragfähig ist. Der Finanzkapitalismus mit ungehemmten Märkten ist ein Kapitalismus, der sich selbst abschafft, daran kann den Konservativen nichts gelegen sein.

In Alpbach war davon die Rede, dass EU-Parlamentariern, Kommissionsmitarbeitern oder Verbandsvertretern in Fragen der Finanzmärkte keine andere Expertise als die der Banken zur Verfügung steht. Gibt es diese Gegenexpertise wirklich nicht?

Die andere Stimme gibt es sehr wohl. Sie war bisher vielleicht zu leise. Die Gewerkschaften allein haben es nicht vermocht, ein Gegengewicht zu bilden, da es sich ja tatsächlich um eine sehr komplizierte Materie handelt. Wir haben deshalb Finance Watch ins Leben gerufen.

Während der Veranstaltung war trotz des Mangels an alternativer Finanzexpertise oft zu hören, dass sich die Kräfte im Lobbying letztlich ausbalancierten, schließlich würde auch die Zivilgesellschaft lobbyieren. 

Das verkennt völlig die Machtverhältnisse. Es ist eine naive Vorstellung, wenn die Kommission sagt, es gibt dreißig Stellungnahmen der Finanzindustrie und zwanzig Stellungnahmen aus der Zivilgesellschaft und das balanciert sich aus, das ist Unfug.

Die Sendung "Monitor" der ARD hat festgestellt, dass Abgeordnete des EU-Parlaments Änderungsanträge eins zu eins vom Lobbyverband der Banken, dem Institute of International Finance (IIF), übernommen haben. Wie ist das möglich, angeblich fließt kein Geld.

Warum einzelne Abgeordnete so agieren, entzieht sich meiner Kenntnis, aber mächtige Lobbyingorganisationen wie das IIF finden immer wieder Mittel und Wege in die Räume des EU-Parlaments.

Was sind die größten Erfolge des finanzindustriellen Lobbyings?

Das kann man nicht an einzelnen Punkten festmachen. Die Bilanz ist so, dass die Finanzindustrie trotz der größten Krise der Nachkriegszeit im Wesentlichen weitermachen kann wie bisher. Es kommt nicht von ungefähr, dass sie erklärt, jetzt sei die Zeit der Entschuldigungen vorbei. Die Gewinne der Banken sind fast wieder auf Vorkrisenniveau. Ihre Bilanzen sind nach wie vor völlig aufgebläht. Das Problem ist nur, dass die nächste Krise ist nicht mehr bezahlbar ist.

Steuern Maßnahmen wie Basel III nicht ausreichend dagegen?

Höhere Eigenkapitalquoten allein reichen nicht aus. Sie sind notwendig, aber schaffen noch kein toxisches Finanzprodukt ab. Höhe Quoten wären ebenso möglich: Vor dem ersten Weltkrieg hatten international agierende Großbanken Quoten von 25 bis 30 Prozent. Es war kein Problem, Kredite für große Investitionsprojekte oder neue Industrien zur Verfügung zu stellen. Die Banken fürchten jetzt lediglich niedrigere Profitraten.

Diskutiert wird auch, die Banken zu verkleinern oder zumindest das Investmentbanking abzuspalten. Was ist Ihre Position dazu?

Ich bin für ein Trennbankensystem, was auch die OECD befürwortet. Sinnvoll ist auch eine Begrenzung der Bilanzsummen für jedes Institut. Man muss verhindern, dass sich Banken risikolos in die riskantesten Geschäfte begeben, weil sie davon ausgehen können, dass der Steuerzahler sie am Ende rettet.

Die jetzt diskutierte Börsenumsatzsteuer wird als unechte Finanztransaktionssteuer kritisiert.

Die Umsatzsteuer besteuert die Instrumente nicht, somit werden keine riskanten Produkte erfasst und auch nicht das High Speed Trading, die teilweise nur wenige Sekunden dauernden Trades und Arbitragen. Die Anzahl dieser Transaktionen würde sich selbst bei einem sehr niedrigen Finanztransaktionssteuersatz von 0,05 %  so verringern, dass sich diese Geschäfte nicht mehr lohnen. Ich denke aber, dass die Transaktionssteuer nicht durchsetzbar ist – obwohl sie inzwischen auch bei der Kommission als machbar gilt.

Welche Themen wird Finance Watch in der nächsten Zukunft bearbeiten?

Wir bilden gerade eine Arbeitsgruppe zur MiFID, also Finanzmarktrichtlinie – in der übrigens sehr viele ehemalige Banker sitzen -, die dann das Europäische Parlament entsprechend beraten soll. Andere Themen sind die Umsetzung von Basel III, die Börsenumsatzsteuer und die Frage der Großbanken.


Andreas Botsch (53)<br style="font-style: italic;" /> Der Ökonom und Politikwissenschaftler ist Berater der European Trade Confederation (ETUC) und Wissenschaftler am European Trade Union Institute (etui) in Brüssel. Er war Teilnehmer des Finanzmarktpanels bei der Veranstaltung "Lobbying and Networking in the European Union" beim diesjährigen Europäischen Forum Alpbach.

Finance Watch
Initiiert von Abgeordneten des Europäischen Parlaments, soll die Ende Juni 2011 gegründete Organisation Finance Watch die Dominanz der Bankenlobby in Brüssel brechen. Die Expertise des Vereins soll Parlament, Kommission und Rat bei der Finanzgesetzgebung beratend zur Verfügung stehen.  Mehr als 40 Organisationen, darunter Gewerkschaften und Verbraucherschutzverbände, unterstützen das Projekt. Der Verein wird im Herbst seine Arbeit aufnehmen. Finance Watch soll durch Spenden und eine Anschubfinanzierung der Europäischen Kommission finanziert werden. www.finance-watch.org