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Winzlinge, die das Wachstum fördern, steigern den Ertrag. | Gemüsebewohner könnten für Menschen gesund sein. | Berlin. Einmal eine Portion Salat verzehrt und schon ist es passiert: Unfreiwillig hat man ein unsichtbares Heer von Bakterien mitgegessen, das auf und in jeder Gemüsepflanze lebt. Doch was sich unappetitlich anhört, ist kein Grund zur Sorge. Im Gegenteil: Wissenschafter vermuten, dass etliche der mikroskopisch kleinen Gemüsebewohner gesundheitsfördernde Wirkungen haben - für die Pflanzen selbst, vielleicht aber auch für den Menschen.
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Lange Zeit hatten Untermieter von Nutzpflanzen ein unbeachtetes Schattendasein geführt. Studien dazu drehten sich meist um Krankheitserreger oder Arten, die Viehfutter per Milchsäuregärung haltbar machen. Das lag auch an methodischen Schwierigkeiten: Höchstens ein Prozent aller Bakterienarten lassen sich auf künstlichen Nährböden im Labor züchten.
Um sich einen Überblick über die Bakteriengemeinschaft von Gemüse zu verschaffen, setzen Silke Ruppel und ihre Kollegen vom Leibniz-Institut für Gemüse- und Zierpflanzenbau in Brandenburg auf molekularbiologische Analysen. Aus gefriergetrockneten Pflanzenblättern isolieren sie zunächst das gesamte Erbmaterial. Anhand von bestimmten typischen Abschnitten können sie dann die DNA der Bakterien von derjenigen der Pflanze unterscheiden. Jeder Einzeller enthält je nach Art zwischen zwei und 27 Kopien dieser typischen Sequenz. Aus der Zahl der Kopien lässt sich abschätzen, wie viele Bakterien das jeweilige Gewächs besiedeln.
"Dabei finden wir verblüffend große Unterschiede zwischen den Gemüsearten", sagt Silke Ruppel. Etwa hat sie in einem Gramm rund 100 Milliarden Bakterien-Zellen entdeckt, in Blattsenf dagegen nur ein Zehntel so viele. Jedes Gemüse hat sein eigenes Spektrum von Bakterien.
Wie aber kommen diese Unterschiede zustande? Die Antwort ist kompliziert. Es scheint eine Reihe von Faktoren zu geben, die eine Pflanze zu einem guten oder schlechten Siedlungsplatz machen. So haben die Forscher festgestellt, dass viele Bakterien weder sehr raue Blätter noch solche mit dicken Wachsschichten mögen.
Vorliebe für Weißkohl
Wichtig ist auch, welche verwertbaren Zucker ein Gewächs seinen einzelligen Gästen zur Verfügung stellt: Nicht jede Art hat das perfekte Mikroben-Menü. Und schließlich produzieren Pflanzen noch chemische Verbindungen, die das Bakterienwachstum fördern oder hemmen können.
Als die Forscher versuchten, die Bakterien der Art Enterobacter radicincitans auf den Blättern von fünf verschiedenen Kohlarten anzusiedeln, waren sie daher nicht überall gleich erfolgreich. Eine Vorliebe hat der Einzeller offenbar für Senfspinat und Weißkohl, die einen hohen Anteil an bestimmten Zuckern sowie sekundären Pflanzenstoffen enthalten. Auch gelbe und rötliche Farbstoffe, die Biochemiker unter dem Begriff "Carotinoide" zusammenfassen, begünstigen ein reiches Mikroben-Wachstum.
Ungemütliche Kresse
Andere Verbindungen, wie die Flavonoide, machen Enterobacter radicincitans das Leben schwer. Diese Substanzen sind vermutlich schuld daran, dass sich die Organismen so schlecht auf Blattsenf ansiedeln, obwohl dieser reichlich Carotinoide enthält. Auch der Chinesische Brokkoli bildet antimikrobielle Substanzen, die ihn trotz seines hohen Zuckergehaltes zu einem ungünstigen Bakterienlebensraum machen. Schlecht schneidet auch die Wasserkresse ab: Geringe Konzentrationen an Zuckern und Carotinoiden, dafür reichlich antimikrobielle Wirkstoffe - als Wohnort eine Zumutung!
Dabei hätten die Pflanzen eigentlich gute Gründe, dem Bakterium günstige Bedingungen zu bieten. Denn in Laborversuchen erweist sich Enterobacter radicincitans als echtes Multitalent. Die Art produziert Antibiotika und Pflanzenhormone und verwandelt schwer lösliche Phosphorverbindungen in solche, die für Pflanzen nutzbar sind. Zudem bindet sie Stickstoff aus der Luft und zersetzt organische Substanz, so dass die darin enthaltenen Nährstoffe frei werden. Wie das alles den Stoffwechsel der Pflanzen beeinflusst, weiß noch niemand genau. Feststeht aber: Sie profitieren davon.
Ruppel und ihr Team haben Saatgut und Keimlinge mit den Bakterien behandelt und damit erstaunliche Erfolge erzielt. Auf Mais und Weizen, Kohlrabi, Radieschen und Tomaten siedelten sich die Organismen bereitwillig an und lassen die Pflanzen deutlich besser wachsen. Das getestete Getreide etwa lieferte zwischen zwölf und 20 Prozent mehr Ertrag. Die Forscher haben inzwischen ein Präparat mit den wachstumsfördernden Winzlingen entwickelt, das demnächst auf den Markt kommen und Bauern zu besseren Ernten verhelfen soll.
"Probiotisches" Gemüse
"Für die menschliche Gesundheit sind die so behandelten Pflanzen unbedenklich", sagt Ruppel. Es könnte sogar sein, dass sie gesünder sind als ihre unbehandelten Pendants, Gemüsefans also von den Leistungen mancher Bakterien profitieren. Sobald die kleinen Helfer identifiziert sind, können die Forscher Gemüsesorten empfehlen, die damit besonders reich ausgestattet sind. Möglicherweise lassen sich Pflanzen auch gezielt mit entsprechenden Kulturen anreichern - ähnlich wie bei den sogenannten probiotischen Milchprodukten auf dem Markt.
"Wie die in bestimmten Joghurts enthaltenen Bakterien genau wirken, ist nicht bekannt", räumt Gisela Olias vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung (DIfE) ein. Studien liefern ein unklares Bild, denn in den Lebensmitteln kommen unterschiedliche Bakterienarten zum Einsatz. Einiges spreche jedoch dafür, dass mit den speziellen Milchsäurebakterien angereicherten Joghurts tatsächlich die Verdauung verbessern. Hinweise auf eine positive Wirkung haben die DIfE-Forscher auch in einer Studie mit Frühgeborenen gefunden. Als sie deren Milch damit anreicherten, gediehen diese Babys nachweislich besser und waren weniger anfällig für Darminfektionen als ihre Altersgenossen mit normaler Kost.
Möglicherweise lassen sich eines Tages mit den Gemüsebewohnern unter den Bakterien ähnliche Erfolge erzielen.