Verschlüsselungen stehen in den Augen. | "Mona Lisa" könnte "Mon Salai" gewesen sein. +++ Die Hände sind die einer kranken Frau. | Wien. Da strömen sie, die Besucher des Pariser Louvre. Alle (nun gut, nicht alle, aber sehr viele) in einer Richtung. Immer den Wegweisern nach. Was interessieren schon die Meisterwerke an den Wänden, wenn man das Meisterwerk aller Meisterwerke sehen will?
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 13 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Endlich: Der Raum in welchem . . . Anstellen in der langen Schlange. Einen Schritt vor den anderen setzen, ganz langsam. Einerseits, um die Annäherung zu genießen, die Vorfreude, die Spannung. Andererseits, weil es im Gedränge nicht schneller geht. Dann fällt der Blick auf ihr Bild. Und sie lächelt.
Die "Mona Lisa" fasziniert und erregt die Gemüter zweifellos seit Jahrhunderten. Es ist das Bild, das jeder kennt, das von allen Bildern am öftesten auf die Frage genannt wird, welches Bild man am liebsten in natura sehen will.
Ja - die "Mona Lisa" in natura sehen, vielleicht auch hoffen, ihr Geheimnis entschlüsseln zu können. Denn das Geheimnis der "Mona Lisa" ist das Geheimnis ihrer Anziehungskraft. Die Spur Ungewissheit, die süße Rätselhaftigkeit, die eine hübsche Frau zu einer schönen macht.
Und von Geheimnissen ist im Fall der "Mona Lisa" viel die Rede. Einen Da-Vinci-Code haben wir schon Dan Brown zu verdanken, der offenbar meinte, dass "da Vinci" der Nachname eines gewissen Leonardo di ser Piero gewesen sei. Was in einer Zeit, in der Familiennamen erst im Kommen sind, nichts anderes bedeutet, als dass Leonardo eben der Sohn eines Herrn Piero sei. "Da Vinci" hingegen bedeutet lediglich, Leonardo stamme aus dem Ort Vinci. Im Grunde müsste Dan Browns Thriller also Leonardo-Code heißen. Und der "Mona-Lisa-Code"?
Verschlüsselungen
Es soll sie tatsächlich geben, die verschlüsselten Mitteilungen im Bild: Historiker haben der Frau tief in die leicht schielenden Augen geblickt und darin winzige Zahlen entdeckt: "LV" etwa im rechten Auge, im linken Auge "CE" oder "B", das ist nicht deutlich zu erkennen, und im Bogen der Brücke im Hintergrund versteckt sich entweder die Zahl 72 oder die Buchstaben-Ziffer-Kombination "L2". Von der Verschlüsselung zur Verschwörung ist nur ein kleiner Schritt, den deren Theoretiker auch im Fall der "Mona Lisa" sicherlich noch machen werden.
Bis sie uns an ihren Erkenntnissen in größerem Umfang teilhaben lassen, sind die Geheimnisse der "Mona Lisa" weniger spektakulär, allerdings auch handfester. Da wäre zum Beispiel die Frage, wer denn die Dargestellte eigentlich sei.
Keiner konkreten Person zuzuordnende Porträts sind in der Renaissance selten. Wer sich malen ließ, wollte schließlich auf dem Bild eindeutig erkennbar sein - auch für die Nachwelt. Wer das Modell für die "Mona Lisa" war, überliefert jedoch einzig und allein der Architekt, Maler und Künstler-Biograf Giorgio Vasari (1511-1574).
Vasari also behauptet, Leonardo habe in den Jahren zwischen 1500 und 1506 die dritte Gemahlin des Florentiner Kaufmanns und Seidenhändlers Francesco di Bartolomeo di Zanobi del Giocondo gemalt, eine Frau namens Lisa, genannt "La Gioconda". "Mona" hingegen ist kein Name, sondern eine Verkürzung von "Madonna", was schlicht "Frau" bedeutet. Leonardo habe übrigens, schreibt Vasari, das Bild nicht fertiggestellt.
Mono, der Mistkerl
Da Vasari der Einzige ist, der diese Geschichte erzählt, kann man ihm glauben oder auch nicht. Wobei dieses "oder auch nicht" wesentlich spannender ist und einige Historiker ganz andere Geschichten erzählen ließ. Unter den zahlreichen Kandidatinnen sind bisher die Isabella von Aragon, Herzogin von Mailand, Isabella dEste, Herzogin von Mantua, Caterina Sforza, Gräfin von Forlì (bekannt vor allem für Liebesabenteuer, Intrigen und Mordaufträge); auch Mätressen von Giuliano I. de Medici oder Charles dAmboise wurden als Modell für die Mona Lisa bereits genannt. Sogar Leonardo selbst soll es nach Meinung Einiger gewesen sein - immerhin könnte er sich ja selbst porträtiert haben, vielleicht in einem idealisierten Erscheinungsbild als bartloser junger Mann.
Apropos Mann: Vielleicht war die "Mona Lisa" ja eher ein "Mono Liso". Schließlich war Leonardo aller Wahrscheinlichkeit nach homosexuell. 1476 wurde er beschuldigt, sich an dem 17-jährigen Jacopo Saltarelli vergangen zu haben. 1490 soll sich Leonardo dermaßen für das zehnjährige männliche Nacktmodell Gian Giacomo de Caprotti begeistert haben, dass er den Buben adoptierte. Und da haben wir endlich eine Verschlüsselungsgeschichte, wie sie zu einem allfälligen "Mona-Lisa-Code" passt: Gian-Giacomo soll tüchtig gelogen und gestohlen haben, weshalb Leonardo ihm den Spitznamen "il Salai" verpasste - "Salai" bedeutet "Mistkerl". Auf Französisch würde Leonardo ihn liebkosend "mon Salai" gerufen haben (etwa "mein Spitzbübchen"). Vasari habe die Buchstaben umgestellt und daraus "Mona Lisa" gemacht, um auf Gian Giacomo hinzuweisen.
Die Theorie hat indessen einen Schönheitsfehler: Vasari kannte Leonardo nicht. Selbst wenn mit "Mona Lisa" eigentlich "mon Salai" gemeint ist - es wäre nur eine Meinung Vasaris. Und weshalb der Italiener Leonardo sich mit seinem italienischen Lover auf Französisch unterhalten haben soll, ist auch nicht ganz klar. Immerhin: Die Mon-Salai-Theorie war dem sonst so verschwiegenen Louvre sogar ein Dementi wert.
Ein anderes Geheimnis, das nichts mit Verschlüsselungen zu tun hat, ist das Lächeln der "Mona Lisa": Was so bezaubernd wirkt, könnte medizinische Ursachen haben. La Gioconda lächelt nämlich nur mit einer Mundhälfte. Das könnte auf eine spezielle Form der Gesichtslähmung, genauer: auf eine sogenannte Bell-Parese hindeuten. Der amerikanische Zahnarzt Joseph Borkowski hat noch eine andere Erklärung: Dieses Lächeln sei, meint er, charakteristisch für Personen, denen die Schneidezähne fehlen.
Zahnlos und krank
Der belgische Mediziner Jan Dequeker, dessen Spezialität es ist, auf Bildern Hinweise auf Krankheiten zu entdecken, hat noch etwas anderes herausgefunden: Er entdeckte in einem Auge der Gioconda einen gelben Fleck. Außerdem fiel ihm die Schwellung der rechten Hand auf. Dequeker schloss daraus, dass, wer immer auf dem Bild dargestellt sei, an Hyperlipidämie gelitten habe, einer ererbten oder durch Fehl ernährung erworbenen erhöhten Konzentration des Cholesterins, der Triglyceride sowie der Lipoproteine, was einerseits ein Risikofaktor für eine Herzerkrankung ist, andererseits aber auch ein Symptom etwa von Diabetes oder einer Erkrankung der Leber sein kann. Allerdings malte Leonardo so manche Hand ziemlich fleischig - kann ja sein, dass der Blick des Malers vor allem auf die Fehlernährten fiel.
Da strömen sie also, die Besucher des Louvre, hin zu einer Frau, die herzkrank, halbseitig gelähmt, ohne Schneidezähne und vielleicht ein Mann ist. Eine zweifellos schöne Frau, das scheint nach dieser Beschreibung geradezu zwingend. Denn die Verwandlung in La Gioconda hat ein Leonardo vorgenommen - mit Farbe auf Pappelholz.