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Die Geister, die der Fortschritt rief

Von Eva Stanzl

Wissen
Werdendes Leben - durchleuchtet: Der Preis des Wissens ist die Qual der Wahl. Foto: corbis

Die Medizin nötigt Entscheidungen ab, von denen früher kaum jemand geträumt hätte. | Philosoph Kampits: Recht auf Leben ist auch Recht auf gesundes Leben. | Wien. Heftige Emotionen hat jüngst ein Gesetzesentwurf ausgelöst, wonach die Geburt eines Kindes mit Behinderung nicht mehr als "Schaden" angesehen werden soll. Derzeit haftet ein Arzt, wenn er bei Untersuchungen während der Schwangerschaft die Behinderung des Ungeborenen übersieht oder die Eltern nicht ausreichend informiert. Nach dem neuen Vorschlag wären Ärzte nicht haftbar.


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Das ist jedoch nicht die einzige komplexe Problematik in der Medizinethik. Denn die medizinische Grundlagenforschung wirft stets neue Fragen auf. Aus dem Blut einer Schwangeren kann nun das gesamte Genom des Embryos abgelesen werden. Wird das Verfahren jemals massentauglich, würde das die pränatale Diagnose von Erbkrankheiten enorm erleichtert. Eine Blutprobe könnte eine invasive Fruchtwasser-Punktion ersetzen. Was die einen als Fortschritt sehen, löst bei anderen Ängste vor Missbrauch aus. Wie also sollen wir mit den Geistern umgehen, die der Fortschritt rief?

"Wiener Zeitung" : Die Medizin nötigt uns Entscheidungen ab, von denen wir früher wohl nicht einmal geträumt hätten. Kann es einen Schuldigen geben, wenn ein behindertes Kind zur Welt kommt? Peter Kampits: Man darf die Debatte nicht aus der allgemeinen Schadenshaftung herausbrechen. Ärzte können in vielen Bereichen nicht regelgerecht vorgehen, nicht nur bei einer Schwangerschaft. Die Befürchtung hinter dem Entwurf ist aber vielmehr, dass man Untersuchungen am Ungeborenen generell zurückdrängen will. Konservativen Kreisen liegen die Zulassung der künstlichen Befruchtung, der Pränataldiagnostik und letztlich des Schwangerschaftsabbruchs nach wie vor im Magen. In der Debatte sollten sich jedoch vor allem Männer, besonders Kleriker, die von Berufs wegen mit Eros und Befruchtung nichts zu tun haben dürften, zurückhalten.

Eine Ende-30-Jährige ist erstmals schwanger. Im Zuge der Pränataldiagnostik (PND) in der zwölften Woche muss sie erfahren, dass ihr Kind schwer behindert sein wird. Was soll sie tun: die Schwangerschaft abbrechen oder ihr womöglich einziges Kind bekommen?

Ich würde nie in dieser Situation sein wollen. Wäre ich es, dann würde ich ganz allgemein den Respekt vor diesem werdenden Leben als Leitlinie sehen. Und ich würde mich fragen, ob ich es diesem werdenden Leben zumuten kann, später ein schwerstbehindertes Leben zu führen. Vor allem bei Krankheiten, die das Überleben gefährden. Down-Syndrom zähle ich nicht dazu, das ist ein Grenzphänomen. Es ist sicher nicht leicht, ein Kind mit diesem Gendefekt zu haben. Aber niemand hat das Recht zu entscheiden, ob dieses Kind glücklich oder unglücklich sein wird. Ich würde das Ganze zudem situativ und nicht prinzipiell ethisch sehen. Die soziale Situation, das Umfeld, das Lebensalter der Mutter machen einen großen Unterschied.

Die freie Wahl beinhaltet die Befürchtung, dass sie einer Selektion - Abort bei schweren Behinderungen oder Auswahl von Eigenschaften - Tür und Tor öffnet. Was sollen wir dürfen und was nicht?

Ich würde die Grenze bei schweren, das Überleben gefährdenden Behinderungen und schweren genetischen Defekten ziehen.

Die Pränataldiagnostik (PND) erlaubt Abtreibungen nach der 12-Wochen-Frist. Die Präimplantationsdiagnostik (PID), die Gendefekte bei der künstlichen Befruchtung aufspürt, aber ist verboten. Ab wann ist Leben Leben?

Ich halte das Verbot der PID für nicht gut, spreche damit aber nicht im Namen der Bioethik-Kommission. Man sollte sie zulassen, weil sie für die Frau weniger belastend ist. Zudem löst sie die schwierige Frage nach dem moralischen Status des Embryos, da die Diagnose außerhalb des Mutterleibs geschieht. Menschliches Leben beginnt mit der Einnistung des Embryos im Mutterleib. Zudem nisten sich 70 Prozent der befruchteten Eizellen gar nicht erst ein, was die Frau oft nicht merkt. Vom kirchlichen Standpunkt aus, wonach das Leben mit der Empfängnis beginnt, müsste man auch diese Zellen liturgisch betreuen.

Ist es vertretbar, dass die spätere Pränataldiagnostik Abtreibungen nach der Frist erlaubt?

Ja. Gegner argumentieren oft mit dem Begriff der Würde des werdenden Menschen. Ich würde aus dem Potenzial eines Embryos, ein Mensch zu werden, nicht automatisch bereits menschliche Würde ableiten. Vielmehr sehe ich das werdende Leben als Prozess. Das Ungeborene hat dabei nicht nur das Recht auf Leben, sondern auch das Recht auf ein gesundes Leben. Dass diese Entscheidung nicht beim Embryo liegen kann, liegt auf der Hand.

Selbst wenn der Preis ist, dass er gar nicht zur Welt kommt?

Das würde ich sagen.

Forscher können aus dem Blutstropfen einer Schwangeren das Erbgut des Embryos ablesen. Wird es Gen-Bibliotheken der DNA von Neugeborenen geben?

Die Methode könnte bessere Grundlagen für eine Entscheidung liefern. Aber ich halte das Heraufkommen des gläsernen Menschen von der Geburt an für eine große Gefahr. Je mehr diese Dinge trotz versprochenem Datenschutz an die Öffentlichkeit gelangen, desto mehr ist die Gefahr gegeben, dass man daraus Konsequenzen zieht. Stellen Sie sich vor, Ihr genetisches Profil sagt einem potenziellen Arbeitgeber, dass Sie in 20 Jahren Veitstanz bekommen könnten. Da ist große Vorsicht geboten.

Pharma-Firmen werden wohl solche Gen-Bluttests verkaufen wollen. Ist das der eigentlich fragwürdige Aspekt, dass hier Geld regiert?

Es ist wie ein Zopf aus drei Teilen. Die Forschung kann Menschen Leid ersparen. Die Pharmaindustrie will ihre Produkte an den Mann bringen. Die wissenschaftliche Neugier will das, was rätselhaft erscheint, aufhellen. In dem Prozess verwandelt sich der hart erkämpfte Wert der Freiheit der Forschung immer mehr in eine Gängelung der Wissenschaft durch die Wirtschaft. Denn die Grundlagenforschung kann nur mehr mit unendlich vielen ökonomischen Mitteln getätigt werden.

Ist es vorbei mit der Freiheit der Wissenschaft?

Ich fürchte ja. Die Gängelung unseres gesamten Lebens durch die Ökonomie hat unglaubliche Dimensionen angenommen. Verwertbarkeit wird immer wichtiger. Auch in der Forschung.

Die Zahl der Menschen, die die letzte Zeit ihres Lebens als schwerer Pflegefall verbringen, steigt und kostet. Wie sinnvoll ist Lebenserhaltung um jeden Preis?

Ich befürworte die Patientenverfügung, wonach der Wunsch eines Menschen respektiert werden muss, lebensverlängernde Maßnahmen nicht anzuwenden oder einzustellen. Die Autonomie des Patienten ist ein notwendiger Bestandteil des würdigen Lebens.

Soll aktive Sterbehilfe erlaubt sein? Oder würden Erben dann mehr Druck auf Angehörige machen?

Die Gefahr besteht. Die Gefahr der immer besseren Medizin ist aber, dass Todgeweihte am Leben bleiben und die Nachkommen sich die Hände reiben, weil sie dadurch die Rente kassieren. Als Bioethik-Kommission planen wir Empfehlungen zum Umgang mit dem Ende des Lebens. Dabei wollen wir die Terminologie ändern. Prägend ist in Österreich der Unterschied zwischen "aktiver" und "passiver" Sterbehilfe - beides ist verboten, Letzteres wird toleriert. Eine neue Terminologie soll auf Sterbebegleitung abzielen - das Mindern von Schmerz, Angst oder Atemnot und menschliche Zuwendung. Und dazu gehören Maßnahmen, die den natürliche Prozess des Sterbens verkürzen, aber die Lebensqualität verbessern.

In der Schweiz ist Beihilfe zur Selbsttötung erlaubt. Ärzte stellen auf Wunsch ein todbringendes Mittel auf das Nachtkästchen.. .

Wenn man die Autonomie eines Menschen respektiert, ist bei allen Maßnahmen am Lebensende der Wille des Betroffenen maßgeblich. Ein Sterbetourismus ist jedenfalls unwürdig. Man sollte diesen Punkt entkriminalisieren. Ich halte es mit Bischof Klaus Küng, der sagte: "Der allbarmherzige Gott, der den Menschen die Freiheit und Autonomie für sein Leben gegeben hat, kann sie ihm einfach nicht im letzten Akt des Lebens, beim Sterben, abnehmen."

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