Der Mensch hat Elementarkräfte entfesselt. Im Anthropozän muss er lernen, sie unter Kontrolle zu bekommen.
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Wien/Berlin. Enden die Hoffnungen, die am Beginn des 21. Jahrhunderts standen, wie jene des 20. Jahrhunderts? Zu Beginn des vorigen Säkulums war der Optimismus groß. Wissenschaft und Technik schienen den Sprung in ein neues Zeitalter vorzubereiten, die staatlichen Institutionen strahlten Sicherheit und Zuverlässigkeit aus, der Wohlstand wuchs trotz Massenarmut breiter Kreise zuverlässig und auch die allgegenwärtigen Streitigkeiten zwischen den Völkern, so meinten Optimisten, wären im Zeitalter zunehmenden internationalen Handels nur noch ein Anachronismus. Ein paar Jahre, vielleicht Jahrzehnte, und Friede und Wohlstand für (fast) alle wären möglich. "Das goldene Zeitalter der Sicherheit" nannte der Schriftsteller Stefan Zweig diese Epoche, die von sich glaubte, auf festem Boden gegründet zu sein.
Dann kam der Erste Weltkrieg und nach ihm Inflation und Weltwirtschaftskrise. Die trügerischen Sicherheiten der bürgerlichen Welt zerfielen wie ein Kartenhaus. In Deutschland kamen die Nationalsozialisten an die Macht, der von ihnen ausgelöste Zweite Weltkrieg verheerte nicht nur Europa. Von einem zuverlässigen Kitt der Zivilisation konnte nach den nationalsozialistischen und kommunistischen Massenmorden niemand mehr sprechen, das vordem so fest gegründete Vertrauen des Menschen in seine Mitmenschlichkeit war erschüttert - während sich parallel seine Möglichkeiten ins Uferlose erweiterten: Der Mensch, dem gegen Ende des 19. Jahrhunderts zur Fortbewegung auf dem Land fast ausschließlich die Eisenbahn zur Verfügung stand und sonst nur Pferd, Kutsche und die eigenen Füße, reiste bereits in den Sechziger Jahren bis zum Mond - und konnte sich, seine Erde, erstmals von außen betrachten.
Seine Erde - denn mit den rasanten Erfolgen von Wissenschaft und Technik nahm auch der Respekt des Menschen vor der früher oft schrecklichen und unberechenbaren Natur - und dem hinter ihr stehenden Gott - ab. Heute ist der Mensch das "Leitfossil seiner Epoche", wie sich der Schriftsteller Ernst Jünger in den 1950er Jahren ausdrückte - ein Wesen, das in die Erdgeschichte eingreift, das seine Welt umformt und ihr den Stempel aufdrückt. Die Wissenschaftler der Internationalen Stratographischen Gesellschaft haben dem vor genau einem Jahr Rechnung gestragen und ein neues Zeitalter ausgerufen: das Anthropozän - das Zeitalter des Menschen. Dessen schiere Zahl verändert den Planeten. Sein Plastikmüll zerstört die Meere, seine Eingriffe in die Biosphäre rotten Tierarten aus, seine Autobahnen zersägen die Landschaft, sein Asphalt versiegelt den Boden, sein Beton heizt die Städte auf und verändert das Klima, seine Atombombenabwürfe und Atommüllabfälle hinterlassen kontaminiertes Gelände. Dazu macht die Entwicklung von Robotern, die den Menschen ersetzen und übertreffen könnten, vielen Angst.
Den Negativa stehen freilich auch genug Positiva gegenüber. Der menschliche Erfindergeist bringt auch im 21. Jahrhundert immer wieder Lösungen hervor - auch für selbst geschaffene Probleme. So sind die Wälder im heutigen Österreich nicht, wie man in den 1980er Jahren noch glaubte, gestorben, sondern gedeihen prächtig. Die Wasserqualität der Seen und Flüsse hat sich positiv entwickelt. Die Industrieanlagen bauen Filter ein - auch im ehemals kommunistischen Teil Europas. Auch hofft man, Umweltprobleme mithilfe moderner Technologien in den Griff zu bekommen.
Schwellenländer holen auf
Vom Optimismus der Jahrtausendwende, der durch die guten Wirtschaftsdaten der 1990er Jahre befeuert wurde, ist in den westlichen Industriestaaten dennoch nicht mehr viel zu bemerken. Das liegt nicht nur am allgegenwärtigen islamistischen Terrorismus, an der Wirtschafts- und Finanzkrise seit 2007/08 und am fragilen politischen Weltgefüge. Auch die Erde selbst scheint zunehmend instabil geworden zu sein. Die Vorstellung, dass sich der Mensch parallel zu politisch unsicheren Zeiten wie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wissenschaftlich in ungeahnte Höhen schwingt, löst heute eher Ängste als Hoffnungen aus. Aus Utopien sind Dystopien geworden. Die Endlichkeit des Planeten scheint den titanischen Plänen des Menschen Grenzen zu setzen. "Wir bemerken heute, dass so etwas wie Gesellschaft oder Ökonomie auch fundamental physisch ist", meint der Biologe und Nachhaltigkeitsforscher Fridolin Krausmann. "Unser Grundproblem ist, dass wir riesige Energiemengen nutzen", sagt der Ökologe von der Universität Klagenfurt der "Wiener Zeitung". "Jedes Jahr entnehmen wir ungefähr 80 Milliarden Tonnen an Material aus der Natur. Rund 30 bis 40 Prozent davon verbrauchen die Industrieländer, in denen aber nur etwa 15 Prozent der Weltbevölkerung leben", erklärt Krausmann - und er weist auf Entwicklungen hin, die ebenso erfreulich wie besorgniserregend sind: "Die Schwellenländer kommen jetzt bald auf das Level der traditionellen westlichen Industriestaaten. So hat etwa China seinen Energieverbrauch gewaltig in die Höhe geschraubt. Und China hat bekanntlich eine hohe Bevölkerungszahl. Wenn man sich die Zahlen ansieht, wird man merken: Es ist unmöglich, dass alle auf unserem Level leben." Krausmann plädiert ähnlich wie der Umweltwissenschafter Vaclav Smil dafür, dass die Industriestaaten ihren Energieverbrauch einschränken.
Wie soll das aber gehen - in Zeiten, in denen die USA unter Präsident Donald Trump aus dem Pariser Klimaschutzabkommen ausgestiegen sind? Wird deren Ausstieg nicht einen Dominoeffekt, eine Abwärtsspirale in der Klimapolitik auslösen?
Alle bei Laune halten
"Bis jetzt ist das noch nicht passiert", erklärt Susanne Dröge von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Beispielsweise wolle Russland in der internationalen Arena nicht als der Bösewicht dastehen, der auch noch das Klimaabkommen zu Fall bringt. Und China habe mit seinem Smogproblem, das für die chinesischen Kommunisten auch machtpolitisch relevant ist, selbst ein fundamentales Interesse am Klimaschutz. "Dennoch ist es in der Klimapolitik immer wichtig, alle bei Laune zu halten. Das wird durch den US-Ausstieg schwieriger", sagt die Expertin für Energiepolitik und Globale Fragen der "Wiener Zeitung".
Dass der Klimavertrag nicht gut genug ist, glaubt sie nicht: "Das Paris-Abkommen stellt den Rahmen zur Verfügung, dass alle miteinander reden. Alle müssen an einen Tisch, anders kann man es nicht machen." Um das Klima wirklich zu retten, müsse man freilich den Druck aufrechterhalten - um eine Aufwärtsspirale zu erzeugen. "Entscheidend sind die Anreize für die einzelnen Staaten, in den Klimaschutz zu investieren. Die fragen sich: Was habe ich davon?", analysiert Dröge, die die Klimapolitik auf einem guten Weg sieht - vorausgesetzt, dass der Schwung nicht abreißt.
Selbstbeschränkung
Der Klagenfurter Forscher Krausmann will ebenso wie Dröge "keine Patentlösung" für die Klima- und Weltrettung anbieten. "Man sollte natürlich massiv in grüne Technologien investieren. Man kann sich aber auch fragen, wie definiere ich eigentlich Lebensqualität?", meint der Biologe. Heute werde das gleichgesetzt mit hohem Einkommen, Wohlstand und Wirtschaftswachstum. "Man kann sich aber auch fragen, brauche ich das? Habe ich damit wirklich mehr vom Leben?"
Werden aber Selbstbeschränkung und grüne Technologien reichen? Braucht es nicht auch technische Eingriffe, um die Lage in den Griff zu bekommen? Krausmann ist skeptisch. Mit jedem Eingriff in die Natur würden die Probleme nur noch größer, die Risikospirale immer weiter gedreht. So träten Anhänger des "Geo-Engineering" dafür ein, die Ozeane mit Phosphat zu düngen oder Schwefeldioxid in die Stratosphäre pumpen zu lassen, damit es die Sonneneinstrahlung reflektiert und somit den Klimawandel aufhält. "Ich halte das aber für extrem problematisch", stellt sich Krausmann gegen die "Techno-Optimisten" des Anthropozän, die entschlossen sind, das Szepter in die Hand zu nehmen.
Hier wird deutlich, dass der Mensch im nach ihm benannten Zeitalter in der Lage ist, die ihm gesetzten Grenzen zu überschreiten. Die Debatte ist nicht neu. Sie entzündet sich auch immer wieder am Thema Gentechnik. In den 1990er Jahren gab es große Aufregung um das Klonschaf Dolly, um Michel Houellebecqs Buch "Elementarteilchen", das in einer Gentech-Utopie endet, oder um die Rede "Regeln für den Menschenpark" des Philosophen Peter Sloterdijk. Der Mensch, der sich - zumindest in den westlichen Industriestaaten - seines Schöpfers entledigt hat, agiert selbst so, als wäre er Gott - jedenfalls hätte man das vor nicht allzu langer Zeit noch so genannt. Manche halten die sich daraus ergebende Haltung für einen illusionslosen, nüchternen, realistischen Blick auf die Welt, manche für eine Quelle der Gefahr - und für ein Anzeichen von Selbstüberschätzung. In jedem Fall ist klar, dass sich der Mensch im Anthropozän fortwährend an einer Grenze bewegt, die - angesichts der Fülle an selbst geschaffenen Problemen - zur Überschreitung einlädt.