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Die "Gelben Westen"

Von Isolde Charim

Gastkommentare
Isolde Charim ist Philosophin und Publizistin und arbeitet als wissenschaftliche Kuratorin am Kreisky Forum in Wien. Foto: Daniel Novotny

Symptom unserer Zeit.


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Das Auftauchen der "Gelben Westen" war ein ebenso massives wie erstaunliches Phänomen. Eine politische Bewegung, die politisch nicht zuordenbar ist: Klassenrevolte oder Aufstand einer homophoben, rassistischen Masse? Eine heterogene, dezentrale, führerlose Bewegung ohne klare politische Richtung.

Sehr klar aber ist, dass Macron damit seine eigene Botschaft zurückerhielt: eine Masse, die "nicht links, nicht rechts ist". Dort hatte er sich selbst verortet. Laut "Le Monde" stimmen die Forderungen der "Gelben Westen" zu zwei Dritteln mit Melenchons, zur Hälfte mit Le Pens Programm überein.

Zugleich aber war dies eine völlig unerwartete Eruption, eine spontane Explosion politischer Energien. Auch damit erhielt Macron seine eigene Botschaft zurück: Das Ausschalten der intermediären Instanzen - etwa der Gewerkschaften - kehrt als ungehemmte, unkanalisierte Wut zurück. Das ist die Kehrseite seiner Bewegungs-Medaille. Genau darin sind die "Gelben Westen" ein Symptom der Zeit. Dem ging aber eine erstaunliche Veränderung Macrons voran: vom genialen Kommunikationsstrategen im Wahlkampf, der mit seinen Bürgerversammlungen den Einzelnen Gehör verschaffte - hin zu einem Präsidenten der Nicht-Kommunikation und der Arroganz.

Und auch diese Botschaft wurde ihm zurückgespiegelt. Die Nicht-Wahrgenommenen, die Vergessenen drängen sich nun mit ihrer Wut ins Rampenlicht. Eine Wut, die sich an der konkreten Steuer auf Diesel entzündete. Jener Funke, der das gefüllte Wutfass explodieren ließ. Jener Moment, wo die Passivität kippt. Denn der teure Sprit ist Symbol und Realität zugleich für das, was den Leuten damit versperrt wird: die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben - die gerade an der Peripherie an der Mobilität, am Auto hängt. Weshalb die Wut konkret und grundsätzlich zugleich ist.

Und diese hat sich gewaltsam geäußert. Erstaunlich ist, dass diese Gewalt zu keiner Distanzierung geführt hat - weder seitens der friedlichen Demonstranten noch seitens der Gesellschaft. 72 Prozent der Bevölkerung unterstützen die "Gelben Westen". Auch das eine Art von Botschaftsrückkehr. "Jede Regierung erhält die Gewalt, die sie verdient", so der französische Philosoph Frédéric Gros.

Sind die "Gelben Westen" der Mai 68 von heute? Das ist kein Aufstand der Befreiung, sondern der Verzweiflung. Es geht nicht um den Aufbruch in eine neue Gesellschaft. Die Leute aus der - geographischen und metaphorischen - Peripherie treten mit ihren gelben Signalen ins Rampenlicht. Den "Krieg der kulturellen Repräsentation" haben sie damit, so Christophe Guilluy, schon gewonnen. Sie sind sichtbar geworden. Sichtbar wurde dabei aber auch, dass dies eine Desertion aus der Gesellschaft ist - ein Aufkündigen jener, die ihnen kein Gemeinsames mehr bietet.

An den "Gelben Westen" zeigt sich, dass ökonomische und Anerkennungsfragen nicht zu trennen sind. Sie rebellieren ebenso gegen die Benachteiligung wie gegen die fehlende Anerkennung. Und es zeigt sich, dass der Wirtschaftsliberalismus das verhindert, was Gesellschaft sein sollte: die Integration der Vielen. Die "Gelben Westen" sind das durchaus ambivalente Zeichen für die Krise dieses Liberalismus.