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"Die gemeinsame Schule wird kommen"

Von Brigitte Pechar

Politik

Bildungsforscherin sieht den Einfluss der AHS-Lehrergewerkschaft schwinden.


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Wien. "Die gemeinsame Schule wird kommen. Sie wird durch die Modellregionen nur eine Zeit lang verzögert", sagt Bildungsforscherin und Ex-AHS-Direktorin Christa Koenne.

Die Bildungsreform der Regierung sieht vor, dass für Gesamtschulen Modellregionen gebildet werden dürfen, diese aber pro Bundesland nicht mehr als 15 Prozent der Schulen beziehungsweise der Schüler umfassen dürfen und bis zum Jahr 2025 evaluiert werden sollen. Koenne versteht diese Verschleppung nicht, da alle Vor- und Nachteile einer gemeinsamen Schule längst bekannt seien. "Die Modelle liegen auf dem Tisch, man muss sie nur umsetzen."

Gegen die Realisierung dieser Modellregionen macht sich AHS-Lehrergewerkschafter Eckehard Quin (FCG) stark. Er ist ein prononcierter Gegner der Gesamtschule und protestiert nun, weil die Lehrer kein Mitspracherecht mehr darüber erhalten, ob ihre Schule in eine Modelregion einbezogen wird oder nicht. Bisher brauchte es die Zustimmung von zwei Drittel der Lehrer und zwei Drittel der Eltern, um eine AHS-Unterstufe in eine Neue Mittelschule umwandeln zu können. Das fällt nun weg.

"Bildungssystem gehört nicht der Lehrergewerkschaft"

"Das Bildungssystem gehört nicht der Lehrergewerkschaft, sondern der nächsten Generation. Aufgabe des Systems ist die Begleitung der Kinder und Jugendlichen", sagt Koenne zum Argument des Mitspracherechts der Lehrer. Aber es melden sich auch andere AHS-Lehrer zu Wort, die ganz und gar nicht Quins Meinung sind. "Die Lehrer müssen nicht mitreden dürfen, wenn es um das Schulsystem geht. In keinem anderen Betrieb gibt es so viel Mitsprache der Mitarbeiter", sagte Christian Schwaiger, AHS-Lehrer für Deutsch und Geschichte in Innsbruck und AHS-Lehrervertreter der ÖLI/UG (Österreichsche LehrerInnen/Unabhängige GewerkschafterInnen) in der AHS-Lehrergewerkschaft.

Die Bundesleitung der AHS-Lehrergewerkschaft zählt 17 Mitglieder mit einem deutlichen Überhang der ÖVP-nahen Lehrer: 13 gehören der FCG (Fraktion Christlicher gewerkschafter) an, zwei der FSG (Fraktion Sozialistischer Gewerkschafter) und zwei der ÖLI/UG. Dieser FCG-Überhang bedeute aber nicht, dass Quin für alle Lehrer sprechen könne. Es habe keinen Beschluss gegeben, dass Quin zu solchen politischen Fragen für die AHS-Lehrergewerkschaft Stellung beziehen könne, sagt Reinhard Sellner, AHS-Lehrer und Vertreter der ÖLI/UG. Sellner ist dezidiert gegen eine Mitsprache der Lehrer und Eltern über die Umwandlung einer AHS-Unterstufe in eine Gesamtschule. "Denn betroffen sind nicht diejenigen, die schon in der Schule sind, sondern jene, die noch nicht in der Schule sind." Es sei Aufgabe der Gewerkschaft, die Arbeitsbedingungen der Kollegen zu verbessern, und nicht den Kollegen Angst vor einer gemeinsamen Schule zu machen.

AHS-Lehrer wollen ihr Privileg behalten

Schwaiger glaubt allerdings, dass es innerhalb der AHS-Lehrer noch keine Mehrheit für eine Gesamtschule gibt. Die ÖLI/UG sei geschlossen dafür. Er verstehe den Widerstand mancher AHS-Lehrer aber, weil sie nichts anderes täten, als ihr Privileg zu verteidigen: "AHS-Lehrer unterrichten selten lernschwache Schüler. Die Mehrheit will dieses Privileg nicht verlieren." Außerdem argumentierten AHS-Lehrer, dass homogene Gruppen leichter zu unterrichten seien. "Aber", so Schwaiger, "homogen sind die Klassen auch an den Gymnasien schon lange nicht mehr."

Koenne versteht, warum sich AHS-Lehrer als "die besseren Lehrer fühlen. Sie sind im Vergleich zu den Pflichtschullehrern an der Universität ausgebildet und beherrschen ihr Fach." Für Pflichtschullehrer sei der didaktische, der pädagogische Ansatz in der Ausbildung wichtiger als das Fach selbst. Aber das ändere sich jetzt. Ab dem kommenden Schuljahr beginnt die gemeinsame Ausbildung der Lehrer, "dann gilt das Argument der gutwilligen AHS-Lehrer, sie hätten es nicht gelernt, lernschwache Schüler auszubilden, nicht mehr".

So argumentiert auch die Vorsitzende der AHS-Lehrer im Bund Sozialdemokratischer Akademiker (BSA) und Vizerektorin der Pädagogischen Hochschule (PH) Wien, Barbara Huemer. "Wir haben dann zwar eine gemeinsame Lehrerausbildung, aber keine gemeinsame Schule. Wir bilden Lehrer für einen Schultyp aus, den es gar nicht gibt."

Daraus werde der AHS-Lehrergewerkschaft ein Problem erwachsen, denn eine gleiche Ausbildung aller Lehrer rechtfertige keine verschiedenen Lehrergewerkschaften - für Pflichtschullehrer und AHS-Lehrer - mehr, sagt Koenne.

Auch Huemer, die vor ihrem Wechsel an die PH AHS-Lehrerin für Deutsch und Geschichte war, ist verärgert darüber, dass das Bild der AHS-Lehrer in der Öffentlichkeit durch Quin und dessen Aussagen geprägt wird. Sie könne keinen Prozentsatz nennen, aber sie sei davon überzeugt, dass sehr viele AHS-Lehrer dafür sind, die gemeinsame Schule flächendeckend einzuführen. Das gehe quer durch alle Fraktionen.

Wenig in die Öffentlichkeit gehen die roten AHS-Lehrervertreter in der Gewerkschaft. Meist würden sie sich bei Debatten zur Gesamtschule der Stimme enthalten, heißt es. Sie seien zwar für eine Gesamtschule - schließlich käpft die SPÖ seit mehr als 40 Jahren dafür -, aber sie argumentieren damit, dass es zu wenig finanzielle Ressourcen dafür gebe.

Sellner von den Unabhängigen Gewerkschaftern jedenfalls hofft, dass in den nun folgenden Verhandlungen des Bildungspakets noch Bewegung in Richtung flächendeckende Gesamtschule kommt.