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Die Gene und die Liebe

Von Peter Kampits

Wissen
Fehlt mütterliche Zuneigung, kann Depression entstehen.Foto: corbis

Lebensstil der Eltern wirkt sich auf Gesundheit der Kinder aus. | Liebe als stärkster Motivator für das Gehirn. | Im Streit um unsere Determiniertheit durch das genetische Material, das wir von unseren Eltern mitbekommen, hat sich seit einiger Zeit eine neue Disziplin durchzusetzen begonnen: die Epigenetik, die uns klarmacht, dass die Gene nicht alles sind, das unser Leben steuert und ausmacht.


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Nach den Epoche-machenden Entschlüsselungen der DNA war die Biologie vielfach zur Auffassung gelangt, dass der genetische Code unser Schicksal bestimmt. Inzwischen hat sich gezeigt, dass unser Erbgut keineswegs determinierend ist, sondern dass Einflüsse von Umwelt und Lebensstil, aber auch die Verpackungsmuster unserer genetischen Codes uns wieder die Freiheit und damit auch die Verantwortung für unser Leben zurückgeben.

Johannes Huber, Gynäkologe, Hormonforscher und Reproduktionsmediziner, hat mit seinem Buch "Liebe lässt sich vererben - Wie wir durch unseren Lebenswandel die Gene beeinflussen können" die Bedeutung der Epigenetik für unser Leben anhand der komplizierten Vorgänge, die sich in den Erbsubstanzen unserer Körperzellen ereignen, dargestellt. Und er hat den Schluss gezogen, dass es drei große Prägephasen im Leben gibt: die Schwangerschaft, die ersten Jahre nach der Geburt und die Pubertät.

Damit wird eine rein evolutionsbiologische These unserer Anpassungen relativiert. Auch der Dialog zwischen Genom, Epigenom und Umwelt wird auf eine neue Basis gestellt. Huber formuliert dies unmissverständlich: Durch die Epigenetik sei alles komplizierter geworden, aber wir hätten die Gesundheit unserer Kinder selbst in der Hand. Darum können die drei Prägeperioden große Einflüsse auf die Weitergabe des genetischen Materials ausüben.

Somit wächst aber auch unsere Verantwortung, weit über den jeweiligen Lebensstil hinaus. Das Überdenken des biologischen Weltbildes führt für Huber nicht nur zu Mahnungen bezüglich des Lebensstils von werdenden Müttern und Eltern, sondern auch zu Erkenntnissen, die zeigen, dass auch traumatische Erlebnisse unsere Hirnregionen zu verändern vermögen - was wiederum als Erbgut weitergegeben werden kann.

Huber verweist auf die Bedeutung des Bindungshormons Oxytocin, das die Mutter-Kind-Beziehung prägt und auch in der Sexualität eine große Rolle spielt. Er diskutiert die Folgen mütterlicher Zuneigung und aus deren Ermangelung entstehende Depressionen und soziales Fehlverhalten. Durch die Verfahren der künstlichen Befruchtung oder der Leihmutterschaft entstehende Probleme werden ebenso diskutiert wie das epigenetische Erbes des Vaters.

Besonders spannend wird das Buch aber bei Fragen des moralischen Verhaltens: Kann auch moralisches Verhalten epigenetisch weitergegeben werden? Hier bleibt der Autor vorsichtig und belässt es bei einem Hinweis auf die Spiegelneuronen und deren in vielem noch unerforschte Bedeutung für die Herausbildung unseres Verhaltens.

Personalisierte Medizin

Mag sein, dass Hubers These, wonach uns die Epigenetik eine neue Verantwortung für unser Leben gibt, überzogen scheint. Dass aber die Entwicklung in der Gebärmutter für den Embryo vieles in seinem späteren Leben zumindest mitbestimmt, ist unumstritten. Hubers Forderung nach einer personalisierten Medizin, die auf Genom-Analytik basieren kann, ist jedenfalls zu unterstreichen. Nach etlichen Jahren der Infragestellung des freien Willens und der freien Lebensentscheidungen durch Genetik und Hirnforschung, ist sein Aufruf zu beherzigen: Wir haben den freien Willen, unser Schicksal zu gestalten.

Und dass Liebe nicht nur die stärkste und eindrucksvollste Kraft in unserem Leben darstellt, sondern sich auch vererben lässt, ist eine der reizvollsten Behauptungen, die sich über das vielgestaltige Thema Liebe machen lassen. Denn wie Huber den Neurologen Joachim Bauer zitiert: "Liebe ist für unser Gehirn der stärkste Motivator."

Peter Kampits ist Dekan des Instituts für Philosophie der Universität Wien und stellvertretender Vorsitzender der Bioethikkommission zum Bundeskanzleramt.

Sachbuch

Liebe lässt sich vererben: Wie wir durch unseren Lebenswandel die Gene beeinflussen können. Von Johannes Huber.

Verlag Zabert Sandmann

176 Seiten, 15,95 Euro