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Die Zahl der Laute, die der Bedeutung dienen, sagt nichts über Ursprung der Sprachen aus. | Kultureller Kontakt prägt die Sprachen. | Wien. Eine Studie des neuseeländischen Kulturanthropologen Quentin Atkinson ließ vor kurzem aufhorchen: Die modernen Sprachen seien vor mindestens 50.000 Jahren in Afrika entstanden. Das ließe sich daraus ableiten, dass in Zentral- und Südafrika die Anzahl von bedeutungsunterscheidenden Lauten (Phonemen) pro Sprache am höchsten sei - wie auch die genetische Vielfalt.
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Phoneme sind Laute mit bedeutungsunterscheidender Funktion in einer gesprochenen Sprache. Etwa klingen die Buchstaben d und t im Deutschen zwar ähnlich, bedeuten jedoch etwas anderes - wie in "Dank" und "Tank". Das gerollte und das nicht gerollte r sind hingegen zwei unterschiedliche Laute, die im Deutschen keinen Bedeutungsunterschied haben, ebenso wenig wie ob jemand das s lispelt oder nicht.
Zwar klingt Atkinsons Gedanke einer Parallelentwicklung von Sprache und Genen verführerisch: Könnte es heute noch nachweisbar sein, dass unterschiedliche Auswanderergruppen aus Afrika jeweils nur einen Teil des dort verbreiteten Laut-Inventars mitgenommen haben? Lassen sich daher Gene und Phoneme vergleichen? Die Antwort muss "nein" lauten.
Linguisten verweigern detaillierte Spekulationen darüber, wie Idiome vor 50.000 Jahren beschaffen gewesen sein könnten. Mit gutem Grund: Der zeitliche Abstand ist so groß, dass sich Sprachen inzwischen bis zur Unkenntlichkeit verändert haben. Wenn also die Sprachen Afrikas heute besonders viele Phoneme unterscheiden, heißt das nicht zwingend, dass das vor vielen Jahrtausenden auch so war.
Dass bestimmte Laute in verschiedenen Sprachen in einer Region häufiger oder weniger häufig vorkommen als andere, ist eher auf langen kulturellen Kontakt und gegenseitige Beeinflussung zurückzuführen. Dadurch bilden sich gemeinsame Eigenschaften heraus, die auch im Lautsystem zu bemerken sind. Das hat aber nichts mit Besiedlungswellen während der Altsteinzeit zu tun.
Die Studie setzt zudem voraus, dass die Laut-Inventare der ausgewanderten und der in Afrika verbliebenen Gruppen über die Jahrtausende nicht gewachsen sind. Sprachen werden demnach mit der Zeit vereinfacht. Je weiter sie sich von ihrem Ursprung wegentwickeln, desto weniger komplex sind sie in Aussprache und Grammatik. Doch das ist falsch. Denn insgesamt gilt die Grundregel: Wenn sich eine Sprache in einem Punkt vereinfacht, wird sie an einem anderen komplizierter, sonst geht die Verständlichkeit verloren. In jeder menschlichen Sprache sind also zwei widersprüchliche Tendenzen am Werk: Vereinfachung und Verdeutlichung.
Silbenmelodien in China
Ein gutes Beispiel ist das Chinesische. Dessen Silben haben sich im Laufe der Zeit so weit vereinfacht, dass sie immer schwerer zu unterscheiden waren und die Deutlichkeit litt. Als die meisten Endkonsonanten verloren gingen, wurden diese durch Konturtöne ersetzt: kurze Silbenmelodien, mit deren Hilfe sich wieder klarere Unterscheidungen treffen lassen. Allerdings wird die Aussprache dadurch komplizierter. Auch die Zahl der Phoneme kann sprunghaft anwachsen, wenn die Verständlichkeit bedroht ist.
Ist damit also die Theorie vom Ursprung menschlicher Sprache in Afrika widerlegt? Nein. Genauso wenig ist sie aber bewiesen. Den heutigen Phonemreichtum nach Weltregionen zu vergleichen, sagt allerdings nichts über die Wanderbewegungen vor zehntausenden von Jahren aus. Die Entwicklung sprachlicher Parameter lässt sich damit nicht hinreichend beschreiben.
Albert Bock ist Sprachwissenschafter und Keltologe an der Universität Wien.