)
Großbritannien: Kameras zunehmend für fragwürdige Zwecke eingesetzt. | Polizei gibt geringe Wirksamkeit zu. | London. Manchester macht den Anfang: Ab sofort können sich die Einwohner der mittelenglischen Industriestadt um eine biometrische Identitätskarte bemühen. Damit bricht das Vereinigte Königreich mit einer Tradition. Personalausweise gibt es - anders als in Kontinentaleuropa - bisher nicht. Entsprechend groß ist die Opposition. Konservative und Liberale fordern, das 5,5-Millionen-Euro-Projekt zu stoppen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 15 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Auf dem Weg zum Überwachungsstaat ist Großbritannien seinen Nachbarländern in anderen Bereichen hingegen weit voraus. Selbst der Londoner Bürgermeister Boris Johnson fühlt sich beobachtet. Wenn er morgens joggen geht, werde er von "schätzungsweise 33 Kameras auf einer relativ kurzen Strecke" gefilmt, sagt der 44-jährige Konservative. "Wir leben in der am meisten überwachten Gesellschaft der Welt." Allein in London gibt es mittlerweile mehr als eine halbe Million Überwachungskameras - Mini-Anlagen von kleinen Geschäftsbesitzern nicht mitgezählt. Nicht weniger als 40.000 Kameras überwachen die öffentlichen Zonen in 500 britischen Städten. Zum Vergleich: Im 20 Millionen mehr Einwohner zählenden Deutschland gibt es weniger als hundert Kameras in 15 Städten. Auch die britische DNA-Datenbank ist die größte der Welt. Sie enthält die Gen-Informationen von mehr als sieben Prozent der Bevölkerung. Die USA speichern gerade mal 0,5 Prozent. Dabei hat die britische Polizei das Recht, Daten und Fingerabdrücke von Verdächtigen für unbegrenzte Zeit aufzubewahren - egal, ob es zu einer Anklage kommt oder nicht.
Hundebesitzer im Visier
Schon in den 80er Jahren wurden Kameras eingesetzt, um etwa Fußball-Hooligans dingfest zu machen. Auch bei der Aufklärung von Kindesentführungen spielte die Videoüberwachung eine entscheidende Rolle. Allen voran im Fall des zweijährigen James Bulger, der 1993 in einem Einkaufszentrum entführt und schließlich ermordet wurde. Als Terroristen im Juli 2005 den verheerenden Bombenanschlag auf die Londoner U-Bahn verübten, wurden die Täter ebenfalls gefilmt. Damals waren sich viele Briten einig: Kameras müssen bleiben, um die Sicherheit zu gewährleisten.
Inzwischen werden Kameras allerdings immer häufiger für fadenscheinige Zwecke verwendet. So will die Regierung auch Pubs, Restaurants und Alkohol verkaufende Geschäfte beobachten lassen. Die Besitzer wären verpflichtet, Filmmaterial bis zu 60 Tage zu speichern und auf Anfrage an die Polizei weiterzuleiten. Kommunen nutzen die Kameras bereits, um Hundebesitzer aufzuspüren, die den Kot ihrer Tiere nicht wegputzen. "Die Menschen werden mittlerweile überall wie Verdächtige behandelt", sagt Phil Booth von der Bewegung "Nein zur Identifikationskarte".
In den vergangenen Jahren hat die Regierung massiv in die Kameraüberwachung investiert. Dabei musste die Polizei 2008 zugeben, dass nur rund drei Prozent der Straßenkriminalität mithilfe der als "Closed Circuit Television" bezeichneten Anlagen aufgeklärt wurde. Allein die Verwaltung der Datenbanken wird die Briten laut der Bürgerrechtsgruppe "Convention of Modern Liberty" aber 36 Milliarden Euro in den nächsten zehn Jahren kosten. Kein Wunder, dass die Einführung der teuren Identifikationskarte immer weniger Anhänger findet. Auch peinliche Patzer seitens der Behörden wecken nicht gerade Vertrauen: Vor zwei Jahren ging eine CD mit persönlichen Daten von siebeneinhalb Millionen Familien, die Kindergeld beziehen, in der Post verloren.
Alles und jedes darf aber auch in Großbritannien nicht fotografiert oder gefilmt werden - zumindest nicht vom Bürger. So ist es etwa seit kurzem verboten, Polizisten zu fotografieren - sofern das einer terroristischen Aktion dienen könnte. Selbst Touristen sind schon gezwungen worden, Bilder von ihrer Kamera zu löschen, weil ein "Bobby" darauf zu sehen war.