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Die Gerüchteküche brodelt

Von Michael Schmölzer

Politik

In Athen sind sich Politiker sicher, dass vor allem Deutschland heimlich am Sturz der linken Syriza-Regierung arbeite.


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Athen. Mit turbulenten Szenen ist zu rechnen, sollte das griechische Parlament über einen Deal mit den internationalen Geldgebern abstimmen. Es ist möglich, dass es dabei die linke Syriza-Regierung sprengt, dass es zur Bildung einer neuen Koalition, Neuwahlen und dem Ende der kurzen Ära Alexis Tsipras kommt. Der junge griechische Premier steht innenpolitisch massiv unter Druck - und die Gerüchteküche brodelt. Hochrangige Syriza-Funktionäre bis zum Minister sind der Ansicht, dass ein Sturz der Regierung in Athen das heimliche Ziel der Geldgeber - allen voran Deutschlands - sei. Premier Alexis Tsipras wiederum vermutet, dass der Internationale Währungsfonds möglicherweise "speziellen Interessen in Griechenland" diene und eine Einigung verhindere. Parallel dazu hat Tsipras den konservativen Regierungen in Spanien und Portugal vorgeworfen, gezielt auf ein Scheitern der Verhandlungen hinzuarbeiten.

In der Tat haben Verschwörungstheorien seit Jahren Hochkonjunktur in Griechenland. Es geht darum, den Schuldigen für die Misere, in der das Land steckt, ausfindig zu machen. In griechischen Internetforen etwa kursieren Gerüchte, wonach Griechenland gar keine Schulden habe und alles nur dazu diene, das Volk zu schröpfen.

Schuldenschnitt, ein "Muss"

Tatsache ist, dass die zentrifugalen Kräfte innerhalb der Regierung zunehmen. Syrizas Juniorpartner, die rechtspopulistischen "Unabhängigen Griechen", Anel, wollen einer Erhöhung der reduzierten Mehrwertsteuer auf den Inseln der Ägäis nicht zustimmen. Anel fordert zudem einen Schuldenschnitt für Griechenland - sonst heißt es vielleicht schon am Wochenende "Njet" im Parlament. Ökonomen und Kommentatoren halten einen Schuldenerlass ebenfalls für unumgänglich - die griechische Last wiegt so schwer, dass das Land davon erdrückt wird, argumentieren sie.

Politische Beobachter gehen davon aus, dass Tsipras unbedingt mit einem Schuldenschnitt heimkommen muss, wenn die Sparmaßnahmen den Funken einer Chance haben sollen, von den Mandataren angenommen zu werden. Doch vor allem für Deutschland ist das bis zuletzt nicht in Frage gekommen. Auch der Internationale Währungsfonds IWF ist stur: Keine Stundung, keine Nachlässe, heißt es hier.

Doch ist Tsipras den Griechen im Wort, er hat im Wahlkampf weitere Belastungen ausgeschlossen. 30 Syriza-Abgeordnete vom linken Parteiflügel pochen auf diese Ansage, für sie kommen Steuererhöhungen etwa auf Grundnahrungsmittel nicht in Frage. Hier ist sogar von einem "sozialen Blutbad" und einem "Verbrechen" die Rede. Wenn sie sich gegen die Parteiführung unter Premier Alexis Tsipras wenden, hat der im Parlament keine Mehrheit mehr. Beobachter wollen allerdings nicht ausschließen, dass der charismatische Syriza-Chef auch die Zweifler auf seine Seite bekommt.

Wobei fraglich ist, ob etwa die Steuererhöhung, die Athen verspricht, einer Erholung der griechischen Wirtschaft dienlich ist. Skeptiker unter den Euro-Finanzministern zweifeln, dass es Athen mit den Vorschlägen ernst ist. Sie verlangen einen Plan, wie genau man die angekündigten Schritte umsetzen will. In der Vergangenheit hat die griechische Regierung immer wieder Versprechungen gemacht und dann wieder zurückgezogen.

Die griechischen Kommunisten setzen unterdessen auf Taten statt Worte und gehen auf die Straße. Eine Kundgebung im Zentrum von Athen stand gestern unter dem Motto "Gegen das neue Sparprogramm, das von den Gläubigern diktiert wird". Die Demonstranten skandierten Sprüche gegen die EU und für den Austritt Griechenlands aus der Eurozone.

Nicht wenige Griechen sind nach dem monatelangen diplomatischen Tauziehen ohne Ergebnis frustriert und wollen die Eurozone rasch verlassen. Der 50 Jahre alte Charilaos etwa, der von der Presseagentur dpa befragt wurde. Er ist für ein Ausscheiden, "damit das hier endlich ein Ende hat". "Jetzt steuern wir wieder auf ein Memorandum zu. Damit bin ich nicht zufrieden", sagt er. Die Mehrheit der Griechen will im Euro-Raum bleiben, ergeben Umfragen. Vielen geht das riskante Spiel, das ihr Premier treibt, zu weit - sie wollen einen Kompromiss, auch wenn der wehtut. Andere stärken ihrem Idol den Rücken und fordern das Einlenken der Geldgeber.

Griechenlands Politiker glauben an die Self fulfilling prophecy, gebetsmühlenartig wird versichert, dass eine Einigung in Griffweite sei. Minister Nikos Pappas, ein enger Tsipras-Vertrauter, ist außerdem überzeugt, dass Parlament und Volk eine Einigung mit den Gläubigern mittragen würde. Was Ersteres betrifft, könnte er recht haben: Die Oppositionsparteien "To Potami" und die Pasok-Sozialisten, die bei den letzten Wahlen massiv abgestraft worden waren, wollen für das Paket stimmen - damit hätte Tsipras jene 30 Stimmen zurück, die ihm das Ausscheren des linken Parteiflügels kosten könnte. Beide Parteien böten sich auch als künftige Koalitionspartner für Syriza an. Auch die konservative Nea Dimokratia mit 76 Abgeordneten würde über ihren eigenen Schatten springen und Syriza unterstützen, wenn es um den Verbleib in der Eurozone geht.

Ministersitzung vertagt

Die entscheidenden Verhandlungen zwischen Geldgebern und Athen in Brüssel gestalten sich unterdessen weiter schwierig. Keine Spur von rascher Einigung: Eine Sondersitzung der Finanzminister der Eurozone wurde nach knapp zwei Stunden unterbrochen. Am heutigen Donnerstagnachmittag, vor dem Gipfeltreffen der EU-Staats- und Regierungschefs, wollen die Minister wieder zusammen kommen.

Premier Tsipras war noch vor den Ressortleitern zu Gesprächen mit Vertretern von IWF, EU-Kommission und EZB nach Brüssel gereist. Die Bewertung der drei Institutionen ist für die Beratungen der Finanzminister wesentlich. In der Zwischenzeit gab es Kritik an neuen Vorschlägen der Gläubiger. Diese wollten Pensionisten und Arbeitnehmer weiter belasten, hieß es aus griechischen Regierungskreisen. Athen könne dem nicht zustimmen.

In Brüssel gingen die Verhandlungen zwischen Athen und den internationalen Geldgebern weiter. Eine Sondersitzung der Euro-Finanzminister wurde vertagt. Die Beratungen werden am Donnerstag fortgesetzt – noch vor dem Gipfeltreffen der EU-Staats- und Regierungschefs.