Ein Rückblick aus aktuellem Anlass, nachdem die deutsche Regierung mit ihrem Projekt Ausländermaut am EuGH gescheitert ist.
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München hat die Maut quasi in den Genen. Deshalb ist es auch kein Zufall, dass die Rufe nach einer deutschen Autobahnmaut für Ausländer aus der bayerischen Hauptstadt am lautesten tönen - und vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) jetzt einen Dämpfer erhielten.
Diese Stadt verdankt ihre Gründung ganz und gar der Idee, dass zahlen muss, wer vorbei will: Herzog Heinrich der Löwe, einer der erfolgreicheren Welfen, war knapp bei Kasse. Er hatte zwar vom Stauferkaiser Friedrich I. Bayern zugesprochen bekommen, die Mauteinkünfte aus der Salzschifffahrt auf der Isar steckte aber immer noch Otto, der Bischof von Freising, ein. 1151 zerstörten Heinrichs Reiter deswegen die Mautstation des Bischofs. Die Föhringer Burg am Hochufer der Isar, die Mautbrücke und der dazu gehörige Markt wurden angezündet und dem Erdboden gleichgemacht.
Nach diesem "Föhrenburger Schreckenstag" ließ der Bayern-Herzog die Salzstraße verlegen und durch den neuen, eigens dafür gegründeten Ort München führen. Ganz ungeschoren kam aber auch Herzog Heinrich nicht davon. Der Kaiser gab der Beschwerde des Bischofs zumindest teilweise recht: Ein Drittel der Einkünfte des neuen Marktes aus Zoll, Markt und Münze musste Heinrich an Otto abliefern.
EU als Zoll-Aufseher
Heute hat die Europäische Union die Rolle des Aufsehers und Streitschlichters in Zollfragen übernommen. Das Prinzip der Nicht-Diskriminierung anderer EU-Bürger wird durch eine deutsche Pkw-Maut nicht verletzt werden, entschied in der Vorwoche der EuGH im Sinne der Klage Österreichs gegen die deutsche "Ausländermaut". Wenn eine Maut, dann für alle. Der deutsche Plan, Lenkern von in Deutschland zugelassenen Autos die Vignettenkosten über eine billigere Kfz-Steuer zu ersetzen, diskriminiert Autofahrer anderer Länder und behindert den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr, rügten die EuGH-Richter.
Im deutschen Verkehrsministerium wird nun an einem anderen Maut-Modell nach dem Nutzer- und Verursacherprinzip getüftelt. Und mit etwas fiskalischer Kreativität lässt sich gewiss auch für Deutschland eine Lösung finden, um - wie es ein CSU-Politiker ausdrückte, "die Ausländer am Straßenbau zu beteiligen, ohne die eigenen Leute mehr zu belasten".
Flexibilität und Kreativität lautet das Erfolgsmodell für Maut und Zölle seit ihrer flächendeckenden Etablierung im Römischen Reich. Aber schon der antike Grieche konnte nicht einmal umsonst sterben, sondern wurde mit einem unter die Zunge gelegten Obolus für den Fährmann Charon auf die Überfahrt ins Totenreich geschickt.
Auf die Spitze getrieben wird die Idee, alle jene zu schröpfen, die vorbeikommen, beim Spiel Monopoly oder DKT, wie es in einer österreichischen Version heißt. Dabei geht es ausschließlich darum, abzukassieren oder selbst abkassiert zu werden. Das Gefängnisfeld wird da zum willkommenen Asyl, um in diesem Maut-Teufelskreis wenigstens einmal Pause machen zu können. Damit der Mautgedanke aber auch sonst von klein auf gelernt wird, gibt es die ländliche Tradition, dass Kinder nach Hochzeiten die Straße vor der Kirche mit Seilen oder Holzlatten absperren, und das Hochzeitspaar samt Gästen erst nach einer Mautabgabe durchlassen. Gleiches passiert in Bayern und anderswo in Deutschland am Faschingsdienstag. Erst nach dem Entrichten eines "Faschingszolls" machen die Kinder-Zöllner den Weg wieder frei.
So wie Maut, Zehnter oder einfach Weggeld uralte Begriffe für Zölle sind, zählt der Beruf des Zöllners oder Mautners zu den ältesten Berufen - mit keinem guten Ruf. Im Neuen Testament ist Zöllner das Synonym für Sünder schlechthin und Jesu Umgang mit dieser Berufsgruppe ein Skandal.
Ähnlich spektakulär wie die sprichwörtliche Wandlung vom Saulus zum Paulus darf daher das Umsatteln des Matthäus vom Zöllner zum Apostel, und laut kirchlicher Tradition sogar zum Evangelisten, gewertet werden. Eine der kürzesten biblischen Berufungsgeschichten überhaupt beschreibt den Karriereweg vom verhassten Kollaborateur mit den römischen Besatzern zum Jünger des Herrn: Jesus sah Matthäus am Zoll sitzen und sagte: "Folge mir nach! Darauf stand Matthäus auf und folgte ihm."
Ersatz für den Zöllner wird sich schnell gefunden haben, ging mit diesem Beruf doch die Chance einher, einen privaten Aufschlag auf die für die Römer einzutreibenden Tribute und Abgaben zu erwirtschaften. Zudem war es in späteren Jahrhunderten üblich, dass an den Wegstrecken angesiedelte Betriebe, Bäcker, Wirte, Schmiede etc. die Zöllnerei als Nebenjob und Zusatzeinkommen betrieben.
Im Römischen Reich gab es zuerst einmal Zollstationen an den militärisch abgesicherten Außengrenzen. Dort kontrollierten die sogenannten Beneficarier, also verdiente Soldaten im einträglichen Vorruhestand, die Zolleinnehmer, damit diese für alle eingeführten Waren einen Zoll kassierten. Nur Wagen und Gespanne sowie Reisebedarf waren frei.
Quadragesima
Im Binnenland angekommen, war es für das reisende Handelsvolk mit den Abgaben aber noch lange nicht vorbei. Wo die Reisenden nicht ausweichen konnten, wurde abkassiert: Durchfuhrzölle, Passierzölle, Marktzölle waren auf Pässen und Straßenkreuzungen, bei Brücken, in Häfen und Märkten zu entrichten.
Eine andere Möglichkeit des Abkassierens war, Reisende auf der legendären Bernsteinstraße etwa für die Benützung einer Art "römischer Autobahnstation" zur Kasse zu bitten, wie die weiträumige, von Archäologen entdeckte Anlage in Nemescso bei Szombathely in Westungarn bezeugt. 2,5 Prozent oder ein Vierzigstel des Warenwerts, deswegen Quadragesima genannt, spülte es so von den Zollstationen in die Staatskasse.
Und diese Institution blieb erhalten, auch als das Weströmische Reich zerfiel. Schnell fanden sich neue Könige und Landesherren, die das einträgliche Geschäft übernahmen.
Um das System auf eine rechtliche Basis zu stellen, ließ König Chlodwig für sein Fränkisches Reich im Jahr 510 die "Lex Salica" verfassen, eine Rechtssammlung, die als Grundlage für das "Königliche Zollregal" diente. Damit hatte sich der König das Recht gegeben, Zölle einzuheben. Als Gegenleistung für die zu entrichtenden Wegzölle und Mauten bekamen die Reisenden aber auch etwas: zum einen Unterstützung und Geleit auf den unsicheren Straßen; zum anderen wurden Bau und Erhaltung von Straßen und Brücken mit diesen Abgaben finanziert - und sie durften laut Lex Salica auch nur dafür verwendet werden.
"Bezüglich der Zölle beschließen wir, dass die von alters her bestehenden und gerechten Zölle von den Kaufleuten eingehoben werden sollen, sowohl bei der Brücke wie auch bei den Schiffen und Märkten", heißt es in einem Kapitular von Karl dem Großen aus dem Jahr 805. Und so ging es die Jahrhunderte und Jahrtausende bis heute weiter, wurde das Zollrecht weitergegeben, von einem Kaiser zum nächsten, von einem König zum anderen, von denen wieder an die geistlichen und weltlichen Landesfürsten.
Am 21. Juni 1728 eröffnete Kaiser Karl VI. "seine" Straße über den Semmering. Die neue Verkehrsverbindung war zwar steil und ohne kräftigen Vorspann nicht zu bewältigen, dennoch gab es nunmehr von Wien aus einen passablen Weg in den Süden und eine sichere Direktverbindung zu den Adriahäfen Venedig, Triest und Fiume. Und damit sich der Straßenbau durch die "pure Wildnis" auch für den Kaiser rechnete, wurde die Trasse zu einer "privilegierten" Straße erklärt - das bedeutete Benützungspflicht. Damit war es verboten, sie als Reisender oder Kaufmann auf irgendwelchen Schleichpfaden zu umgehen und damit der kaiserlichen Schatulle die Straßenmaut vorzuenthalten.
Auch die ältesten bekannten Einnahmequellen der Stadt Wien waren Mauten unterschiedlicher Art: Bereits König Rudolf IV. bestätigte im Stadtrecht von 1278 die in die Babenbergerzeit zurückreichenden Rechte an der Burgmaut, die bei Einfuhren zu entrichten war und bei den Stadttoren eingehoben wurde. Für Ausfuhren war die Haupt-, Pfund- oder Wagenmaut zu berappen. Pflastermaut wurde auf den Marktplätzen eingehoben, und ohne Wassermaut beim Roten Turm oder Brückenmaut am Tabor gab es kein Aus- oder Beladen der Donauschiffe.
Goldgrube
Wenn der Kaiser großzügig war und sein Mautrecht verschenkte, hatten die Beschenkten ausgesorgt. So wie das Nonnenkloster Niedernburg im bayerischen Passau, dem Heinrich II. im Jahr 1010 ein Waldgebiet in der Größe der Insel Mallorca und den Wegzoll dazu schenkte. Eine Goldgrube war damit aufgetan, denn auf diesen Wegen, passend "Goldener Steig" benannt, transportierte man Salz nach Böhmen und Getreide in den Alpenraum.
Dass man gut tausend Jahre später in Deutschland wieder auf die Idee kam, eine Goldgrube zu öffnen und eine Pkw-Maut samt kreativer Umfahrung derselben für die eigenen Autofahrer einzuführen, braucht niemanden zu verwundern.
Der Europäische Einigungsprozess samt gemeinsamem Binnenmarkt und den vier Säulen (freier Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr) hat zwar mit den Grenzbalken innerhalb Schengen-Europas die Grenzzölle in der EU obsolet gemacht. Was Straßenmauten betrifft, ist Europa aber ein Fleckerlteppich geblieben - zumindest für den Pkw-Verkehr. Noch. Geht es nach der Mehrheit im Europaparlament, kommt nach der Eurovignetten-Richtlinie für schwere Nutzfahrzeuge auch eine kilometerabhängige EU-Maut für Pkws.
Bis es allerdings so weit ist, darf sich noch jedes Mitgliedsland in der Flexibilität und Kreativität seiner Mautmodelle üben. Das "Pickerlland Österreich" ("Süddeutsche Zeitung") wird dabei erfahrungsgemäß wohl nicht zu den Klassenletzten gehören. Gilt hierzulande doch schon immer der Titel jenes Bildes des Münchner Malers Carl Spitzweg, das zeigt, wie Zöllner eine Kutsche und deren Insassen an einer Gebirgsmaut filzen: "Nur Gedanken sind zollfrei". - Aber selbst dies nur mit der berühmten Einschränkung, die Karl Kraus dazu einst formuliert hat: "Gedanken sind zollfrei, aber man hat doch Scherereien."
Wolfgang Machreich, 1999–2010 Außenpolitik-Redakteur der Wochenzeitung "Die Furche", danach Pressesprecher im Europaparlament für Vizepräsidentin Ulrike Lunacek; derzeit freier Autor und Journalist.