Der britische Hochschulexperte John Daniel über Eliteuniversitäten, den neuen Trend der Online-Kurse und warum er sich für Studiengebühren ausspricht.
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Alpbach. Am Mittwoch hatte Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner überraschend die Studiengebühren wieder in die politische Diskussion gebracht. Unterstützung bekommt er vom britischen Hochschulexperten John Daniel: Er argumentiert, die Universitäten würden durch die Gebühren weniger elitär.
"Wiener Zeitung": Wie kann es an den Universitäten mehr Diversität bei den Studierenden geben?John Daniel: Studiengebühren sind der einzige Weg zu mehr Diversität an den Hochschulen. Weltweit hat sich gezeigt, dass Menschen aus ärmeren Verhältnissen nicht von der Struktur des kostenlosen Hochschulstudiums profitieren.
Wieso das?
Wahrscheinlich hat es psychologische Gründe. Menschen aus ärmeren Verhältnissen haben ein Misstrauen gegenüber Dingen, die kostenlos sind. Das Geld, das man mit Studiengebühren einnimmt, sollte man in Stipendien investieren. Das ist einfach gesagt, aber die meisten Universitäten scheitern beim ersten Anlauf daran.
Welches Land macht es ganz gut?
Australien hat jetzt seit zehn Jahren Studiengebühren, und schön langsam funktioniert das System dort. Studierende müssen ihre Kredite nur dann zurückzahlen, wenn sie später auch genug verdienen. Großbritannien hat gezeigt, wie es nicht funktioniert: Sie haben den Unis erlaubt, jährlich 9000 Pfund Studiengebühren einzunehmen, in der Annahme, dass nur die großen Eliteunis so viel Geld einnehmen würden - doch alle Universitäten verlangen nun 9000 Pfund.
Aber sind 360 Euro Studiengebühren pro Kopf und Semester nicht zu wenig, um tatsächlich das Budget der Universitäten aufzubessern?
Das würde ich auch nicht Studiengebühren nennen, sondern vielleicht Gebühren, um die Kosten des Anmeldeverfahrens zu decken. In Ländern mit einer immer älter werdenden Bevölkerung kann nicht die Lösung sein, dass der Staat alles bezahlt. Der Unterschied bei Bildung ist folgender: Hochschulbildung ist vor allem persönlicher Nutzen. Basisbildung ist von Nutzen der Gesellschaft - jeder sollte lesen können.
Was sind die größten neuen Trends in der Hochschulbildung?
Online-Unterricht - dieser Bereich wurde vor vier bis fünf Jahren in den USA sehr stark von den Studierenden vorangetrieben, die Universitäten hatten da zuerst gar kein Interesse. Seitdem auch Harvard MOOCs (siehe Wissen) anbietet, werden sie respektiert. Vorher war man der Ansicht, Fernunterricht sei weniger qualitativ. Dabei hat Harvard überhaupt kein Interesse daran, das war doch nur ein Marketing-Gag. Problematisch wird es bei sehr großen Anmeldezahlen - kein Professor kann 150.000 Examen durchsehen - oder bei dem Sicherheitssystem bei Examen. Aber auch bei normalen Tests wird geschummelt.
In zehn Jahren wird man zurückschauen auf MOOCS als einen Trittstein auf dem Weg zum Online-Learning. Dabei wird Online-Learning fast immer nur von Menschen in Anspruch genommen, die bereits einen Hochschulabschluss haben.
Was wäre wichtig, damit höhere Bildung auch jene aus bildungsferneren Schichten erreicht?
In den USA gibt es eine lange Tradition der Community Colleges, die auch der Arbeitslosigkeit von Akademikern entgegenwirken. In Kanada hat sich gezeigt, dass arbeitssuchende Menschen mit einem Masterabschluss in Literatur anschließend einen niedrigeren Abschluss am Community College machten, um beispielsweise Web Designer zu werden. Das würde man nicht glauben!
Was ist derzeit die größte Herausforderung in der Hochschulbildung?
Bis 2050 wird es weltweit eine Million Menschen mehr geben, die an Hochschulen studieren. Dessen werden wir nicht Herr werden, auch wenn wir mehr Universitäten errichten. Für mich ist Online-Unterricht die Lösung - und nicht prestigeträchtige Universitäten wie Oxford. Prestige verändert sich im Laufe der Zeit.
Sind Sie ein Gegner von Eliteunis?
Die Gesellschaft liebt Eliten, und es wird immer Eliten geben. Das Problem an Elitenuniversitäten ist, dass sie Menschen abschrecken und dass wir ein Bild von Universitäten haben, das dem der Elitenuniversitäten entspricht.
Doch es wäre wichtiger, jene Unis im Auge zu haben, die sich darauf konzentrieren, den Menschen das mit auf den Weg zu geben, was sie brauchen, um ein erfülltes Leben zu haben.
Sir John Daniel
hat die Bildungsabteilung der Unesco geleitet und ist britischer und kanadischer Staatsbürger. In allen drei Ländern, in denen er gearbeitet hat, wurden ihm für seine Bildungsarbeit nationale Orden verliehen: In Frankreich und Großbritannien wurde er zum Ritter geschlagen, in Kanada zum Offizier ernannt. Der 72-Jährige ist Autor der Bücher "Mega-Universities and Knowledge Media: Technology Strategies for Higher Education" und "Mega-Schools, Technology and Teachers: Achieving Education for All".
MOOC (Massive Open Online Course) ist eine Form von Onlinekursen mit einer theoretisch unbegrenzten Teilnehmerzahl. MOOCs kombinieren traditionelle Formen der Wissensvermittlung wie Videos, Lesematerial und Problemstellungen mit Foren, in denen Lehrende und Lernende miteinander kommunizieren und Gemeinschaften bilden können. Es wird zwischen xMOOCs und cMOOCs unterschieden: Während Erstere im Wesentlichen auf Video aufgezeichnete Vorlesungen mit einer Prüfung sind, haben cMOOCs eher die Form eines Seminars oder Workshops. Die Teilnehmer entscheiden in diesem Fall selbst, ob und in welcher Weise sie sich einbringen.