Die Lage auf der koreanischen Halbinsel ist brandgefährlich. Welche Interessen verfolgen die Player?
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Pjöngjang/Peking/Washington. Am Ende wurde es doch kein Raketentest, sondern die Eröffnung einer neuen Einkaufsmeile an der Ryomyong-Straße in Pjöngjang. Journalisten, die sich zurzeit in Pjöngjang aufhalten, hatten spekuliert, dass man sie zu einer Raketenabschussrampe bringen würde - ihnen war zuvor von offizieller Seite eröffnet worden, dass Mobiltelefone, Feuerzeuge und Laptops im Hotel bleiben müssen. Bei Raketentests in der Vergangenheit lauteten die Instruktionen an die Journalisten ähnlich. Aber an diesem Donnerstag war es falscher Alarm gewesen. Die Fotografen schickten stattdessen Bilder von der Eröffnung der Einkaufsstraße, Kim Jong-un ist auf den Fotos zu sehen, Nordkoreanerinnen in Nationaltracht und bunte Luftballons.
Doch das Bild der friedlichen Idylle trügt: Nordkorea-Beobachter sehen die jüngsten Entwicklungen auf der koreanischen Halbinsel mit großer Sorge. US-Experten vermuten, dass Nordkorea am Testgelände Punggye Ri im Nordosten des Landes einen unterirdischen Atomtest vorbereiten könnte, nachdem es zuvor eine Reihe von Raketentests gegeben hat. Der US-Auslandssender Voice of America hatte bereits am Mittwochabend unter Berufung auf US-Regierungsvertreter berichtete, dass "offenbar" bereits ein atomarer Sprengsatz ins Tunnelsystem des Testgeländes geschoben wurde, der schon Samstagfrüh nordkoreanischer Zeit gezündet werden könnte. Experten des US-Korea-Instituts der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore berichteten, Satellitenbilder des Testgeländes im Nordosten würden "anhaltende und neue Aktivitäten" zeigen. Die Forscher sprechen davon, dass es wie schon im März Anzeichen für Vorbereitungen gebe, das Testgelände sei "gerüstet und bereit". US-Präsident Donald Trump hat den Flugzeugträger "USS Carl Vinson" in die Region um die koreanische Halbinsel entsandt: "Wir schicken eine Armada, sehr schlagkräftig", sagte Trump in einem einigermaßen erratischen Video dem konservativen TV-Sender Fox.
Politische Beobachter haben zuletzt auch einen Zusammenhang zwischen den US-Militärschlägen mit Tomahawk-Marschflugkörpern auf einen syrischen Luftwaffenstützpunkt und US-Warnungen an Nordkorea hergestellt: Die Bombardierung der syrischen Luftwaffenbasis sei zugleich eine Botschaft an Pjöngjang gewesen. Die "Global Times", die von der "Volkszeitung", dem Parteiorgan der chinesischen kommunistischen Partei herausgegeben wird, schrieb zuletzt: "Militäraktionen gegen Nordkorea zu unternehmen, ist sehr viel riskanter als ein Raketenangriff gegen Syrien." Pjöngjang könnte Südkorea im Gegenzug "einen schweren Schlag zu versetzen".
Das wiederum ist die Sorge Südkoreas, das in der direkten Schusslinie eines Gegenschlags durch Nordkorea stehen würde.
Die "Wiener Zeitung" hat in den vergangenen Tagen Gespräche mit diplomatischen Vertretern und Experten aller Parteien der Region über die derzeitige Situation auf der koreanischen Halbinsel geführt. Welche Interessen verfolgen die Regierungen der einzelnen Länder? Welche Lösungsansätze zur Entschärfung der Krise sehen sie?
Die Interessen der Player
Nordkorea befindet sich seit dem Waffenstillstandsabkommen vom 27. Juli 1953 offiziell noch im Kriegszustand mit den USA und ihren Verbündeten. Einen Friedensvertrag gibt es seit dem Ende des Korea-Krieges bis heute nicht. Das vorrangigste Ziel Nordkoreas ist das Überleben des Regimes der Kim-Dynastie, die das Land seit der Machtübernahme durch Kim Il-sung im Jahr 1948 beherrscht.
Nordkorea sieht sich durch regelmäßige Militärmanöver, die die USA gemeinsam mit Südkorea und Japan durchführen, bedroht und betrachtet sein Raketen- und Nuklearwaffenprogramm - das Arsenal soll derzeit zwischen 10-20 Nuklearsprengköpfe umfassen - als wichtiges Element der Abschreckung. Die US-Strategen weisen wiederum darauf hin, dass Nordkorea sein Raketenarsenal stetig weiterentwickelt und mit Hochdruck an der Entwicklung ballistischer Interkontinentalraketen arbeitet. Mit derartigen Waffen könnte Nordkorea das amerikanische Festland erreichen - eine Bedrohung, die Washington keinesfalls akzeptieren würde.
Die USA haben auf die Eskalation der Krise auf der koreanischen Halbinsel nicht nur mit der Entsendung der Flugzeugträgergruppe "USS Carl Vinson" reagiert, sondern auch mit der Stationierung des Raketenabwehrsystems Thaad in Südkorea. Dieses System soll im Falle eines Angriffs nordkoreanische Raketen abschließen, doch nach Ansicht von Experten soll die Stationierung des US-Raketenabwehrsystems zwei weitere Ziele erfüllen: Die Stationierung des Waffensystems in Südkorea hat auch die chinesischen Militärs aufgescheucht. Sie verweisen darauf, dass das hochentwickelte Radarsystem bis weit in chinesisches Territorium reichen würde. Ein weiteres Motiv der Stationierung der Raketenabwehrbatterien: Peking soll damit vor Augen geführt werden, dass die nordkoreanische Bedrohung de facto eine "Einladung" an das US-Militär, Waffensysteme in diesem strategisch wichtigen Raum zu stationieren, darstellt. Das intendierte Signal der USA an Nordkorea: Die USA können nordkoreanische Raketen abschießen. Und an China gerichtet: Das nordkoreanische Nuklearprogramm führt dazu, dass die USA ihre militärische Präsenz in unmittelbarer Nachbarschaft zu China deutlich erhöhen. US-Präsident Trump hat in dem Fox-Interview erzählt, dass er Chinas Xi Jinping bei den Gesprächen vergangene Woche in Florida gesagt habe, China habe "enorme Macht", weil Nordkoreas Handel über seine Grenze verlaufe. Ein Boykott von nordkoreanischen Kohlelieferungen durch China bezeichnete Trump als "gutes Zeichen".
Beibehaltung des Status quo
Chinas Interesse ist es, den Status quo möglichst aufrechtzuerhalten. Ein bewaffneter Konflikt auf der koreanischen Halbinsel wäre für China eine Katastrophe. Nach Chinas Doktrin vom "friedlichen Aufstieg" ist dieser am besten in einem Umfeld von Frieden und Stabilität möglich. China ist im Dilemma: Einerseits ist man in Peking daran interessiert, dass das Regime in Pjöngjang überlebt - schließlich hat China kein Interesse daran, einen US-Verbündeten als direkten Nachbarn im Osten des Landes zu haben. Ein Zusammenbruch des Regimes hätte somit für Peking negative Folgen. Ein solcher Kollaps des Kim-Regimes würde aber wohl auch zu Flüchtlingsbewegungen führen - eine humanitäre Herausforderung für Peking.
Das derzeitige Säbelrasseln von Nordkorea sorgt dafür, dass die USA und ihre Verbündeten, Japan und Südkorea enger zusammenrücken und ihre gemeinsamen Verteidigungsanstrengungen in der Region erhöhen. China hat immer wieder mögliche Lösungen der Krise präsentiert: Einer der chinesischen Vorschläge ging in die Richtung, dass die USA und ihre Verbündeten die Militärmanöver einstellen und Pjöngjang gleichzeitig die Arbeit am Raketen- und Nuklearprogramm einstellt. Ein weiterer Vorschlag: erweiterte Sicherheitsgarantien für Pjöngjang durch Peking. "Sobald Nordkorea sich an Chinas erklärten Rat hält und Atomaktivitäten aussetzt, wird China aktiv daran arbeiten, die Sicherheit einer atomwaffenfreien nordkoreanischen Nation und der Regierung zu schützten", hieß es in dem bereits zitierten Kommentar der chinesischen Zeitung "Global Times". Die Nervosität Chinas ist spürbar: Erst am Mittwoch hat China Berichte, wonach das Land 150.000 zusätzliche Soldaten an die Grenze zu Nordkorea geschickt hat, zurückgewiesen.
Politiker in Südkorea drängen darauf, bei allen Schritten der USA konsultiert zu werden. Am 9. Mai sind Präsidentschaftswahlen in Südkorea, der in den Umfragen führende linke Kandidat Moon Jae-in will eine aktivere südkoreanische Politik. Er hat angekündigt, nach seiner Wahl direkte Gespräche mit Pjöngjang aufnehmen zu wollen. Das Muskelspiel des nordkoreanischen Machthabers Kim Jong-un könnte aber die Wahlaussichten des Pazifisten Moon Jae-in schmälern.