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Die Getriebenen

Von Ronald Schönhuber

Politik
François Hollande will Kurs halten. Doch das dürfte ihm angesichts des Triumphs der Front National schwerfallen. Der Präsident wird den Rechtspopulisten daher wohl Zugeständnisse machen.
© reu/Fuentes

Das Erstarken der Rechtspopulisten wird das EU-Parlament kaum verändern, auf nationaler Ebene sieht das wohl anders aus.


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Brüssel/Wien. Zumindest bei der Bewertung waren sich alle einig, auch wenn sie so wie der britische Anti-EU-Überflieger Nigel Farage und die französische Sozialistin Segolene Royal einmal auf der Gewinnerseite und einmal auf der Verliererseite standen. Das starke Abschneiden der europakritischen Rechtsparteien in vielen Ländern bei den am Sonntag zu Ende gegangenen EU-Wahlen sei "ein politisches Erdbeben" gewesen, sagten beide Politiker noch am Wahlabend.

Doch dieses Erdbeben wird womöglich weniger das EU-Parlament erschüttern, in dem viele neue Abgeordnete von der französischen Front National oder von Farages Ukip Platz nehmen. Denn auch wenn in der neuen EU-Volksvertretungen mit gut 80 Abgeordneten um 20 Prozent mehr Rechtspopulisten vertreten sein werden als bisher, wird ihr Einfluss auf die Gesetzgebung vergleichsweise gering bleiben. Mit mindestens 520 der 751 Sitze verfügen die proeuropäischen Parteien über eine solide Mehrheit, die es ihnen auch künftig erlaubt, ihre Vorstellungen umzusetzen, ohne allzu sehr auf die Wünsche der Rechtspopulisten Rücksicht nehmen zu müssen.

"Die extremen Rechten werden im Parlament Krawall machen und das Plenum als Bühne nutzen", sagt die Politanalystin Daniela Kietz von der deutschen Stiftung für Wissenschaft und Politik. Ein darüber hinaus gehender Gestaltungsspielraum sei aber kaum vorhanden.

Viel stärker dürften die Ausläufer des politischen Erdbebens hingegen knapp einen Kilometer vom Parlament entfernt zu spüren sein: im Ratsgebäude, der Vertretung der 28 EU-Mitgliedsländer. Denn angesichts des Erstarkens der Rechtspopulisten dürfte es vielen betroffenen Staats- und Regierungschefs künftig wohl deutlich schwerer fallen, Entscheidungen für eine weitere Integration Europas daheim zu rechtfertigen. Wer die für Abschottung und EU-Austritt werbenden Europagegner im Nacken hat, wird bei der Verteidigung der Grundfesten der Union, wie etwa dem freien Personenverkehr, nach dieser Wahl wohl noch deutlich vorsichtiger agieren als ohnehin schon zuvor.

Die Hauptgefahr sei nun, dass die pro-europäischen Parteien "versucht sind, den Europagegnern in vorauseilendem Gehorsam nach dem Mund zu reden", sagt Kietz. Eine Blaupause dafür hat etwa schon Österreich auf nationaler Ebene geliefert. Als die auf einen ausländerfeindlichen Kurs setzende FPÖ unter Jörg Haider in den 1990er Jahren scheinbar unaufhaltsam nach oben strebte, verschärfte die damalige rot-schwarze Regierung ihrerseits das Asylrecht und die Zuzugsbedingungen. Auch in den Niederlanden brachte der Aufstieg des später erschossenen Rechtspopulisten Pim Fortuyn knapp vor der Jahrtausendwende eine ähnliche Entwicklung mit sich.

Weniger statt mehr Europa

Vor allem Frankreich, bisher mit Deutschland politischer und wirtschaftlicher Motor von EU und Eurozone, könnte durch die starken Zuwächse der Rechtspopulisten noch mehr zum Sorgenkind werden. Dort hatten die Sozialisten von Präsident François Hollande mit 13,98 Prozent eine empfindliche Niederlage eingefahren, die Front National von Marine Le Pen konnte mit 24,85 Prozent beinahe doppelt so viele Stimmen auf sich vereinigen. Zwar hat Hollande bereits erklärt, trotz des Triumphs von Le Pen Kurs halten zu wollen, doch der Präsident steht mit dem Rücken zur Wand. Hohe Staatsschulden, schwaches Wirtschaftswachstum und eine Rekord-Arbeitslosigkeit lassen kaum politische Spielräume zu und laut einer aktuellen Umfrage wollen nur noch elf Prozent der Franzosen Hollande bei der nächsten Präsidentschaftswahl im Jahr 2017 als Spitzenkandidaten.

Politologen wie Dominique Moisi vom französischen Forschungsinstitut Ifri halten angesichts dieser Ausgangslage Zugeständnisse an die Front National etwa im Bereich der Einwanderungs- oder Industriepolitik durchaus für möglich. So wird das geflügelte Wort vom "Wirtschaftspatriotismus", der häufig mit protektionistischen Ideen einhergeht, schon länger auch von der französischen Regierung in den Mund genommen.

Dass sie angesichts des Erfolgs der Ukip, die bei der EU-Wahl in Großbritannien mit 27,5 Prozent Platz eins erobern konnte, künftig noch deutlich europakritischer als bisher agieren wollen, haben die Konservativen von Premierminister David Cameron bereits klargemacht. Die Briten seien angesichts der EU zutiefst desillusioniert, sagt der Premier, der schon seit Monaten nicht nur von Farage, sondern auch von seinen eigenen europaskeptischen Abgeordneten vor sich hergetrieben wird. Bereits Anfang Jänner und damit zeitgleich mit der vollständigen Öffnung des Arbeitsmarktes für Bulgaren und Rumänen waren in Großbritannien die Aufenthaltsbedingungen und der Zugang zu Sozialleistungen für Neuzuzügler verschärft worden. Laut dem "Sunday Telegraph" wird nun schon an einer weiteren Verschärfung gearbeitet, durch die arbeitslose EU-Ausländer bereits nach sechs Monaten abgeschoben werden können.

Angesichts des stetigen wachsenden Unmuts in der Partei, der zuletzt in einem Ruf nach einem Wahlpakt mit der Ukip bei der Unterhauswahl 2015 mündete, scheint es nun auch nicht mehr ausgeschlossen, dass das EU-Austritts-Referendum, das Cameron seinen Landsleuten für 2017 versprochen hat, vorgezogen wird. Mit der Volksabstimmung wollte der Premier, der sich für den Verbleib in einer rundum reformierten und weniger integrierten EU ausgesprochen hatte, den schärfsten EU-Gegner den Wind aus den Segeln nehmen. Farages Triumph konnte Cameron damit aber nicht verhindern.