Vielleicht verkörpern Wellen die Urangst des Menschen vor dem Element Wasser. Gesteigert wird diese Furcht durch Geschichten von Monsterwellen, die große Schiffe zu verschlingen imstande sein sollen. Lange hielt man die Berichte über solche Welle für bloße Legenden.
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Im Jänner des Jahres 2000 begann eine der makabersten Seereisen der jüngeren Geschichte. An diesem Tag verließ das Forschungsschiff Discovery den Heimathafen Southampton an der englischen Südküste. Das 90 Meter lange Schiff gehört dem Nationalen Ozeanographischen Zentrum, einem der größten Forschungsinstitute der Welt. Neben Kapitän Keith Avery und seiner Besatzung waren 25 Wissenschafter an Bord, die auf dem Weg nach Island und zurück routinemäßig den aktuellen Zustand des Meeres im Nordwesten von Schottland dokumentieren sollten, Teil der Forschungsarbeit des Institutes, das mehr als 500 Fachkräfte beschäftigt und zur Universität von Southampton gehört.
Seit 1975 studieren britische Forscher systematisch die Gewässer zwischen Schottland und Island, in denen die Ausläufer des warmen Golfstroms besondere Verhältnisse schaffen, eine Art Wetterküche für das nördliche Europa. Deswegen war das Schiff auch mit zahlreichen modernen, besonders genauen Messgeräten ausgerüstet. Deswegen konnten die Forscher auf dieser Fahrt etwas messen, das es eigentlich gar nicht hätte geben dürfen.
Zehn Tage lang verlief die Fahrt normal, dann geriet das Schiff in der Nähe der Felseninsel Rockall in einen schweren Sturm, so ziemlich den schlimmsten, den Kapitän Avery in dreißig Berufsjahren erlebt hatte. Tagelang war die Besetzung damit beschäftigt, das schwere Schiff schräg gegen Wind und Wellen zu halten, tagelang stand der Kapitän mit bloßen Füßen auf der Kommandobrücke, mit aller Kraft ans Steuer geklammert. Da bei den heftigen Bewegungen des Schiffs ein Kühlschrank umgestürzt war, hatte sich eine klebrige Masse von Milch und Fruchtsaft ausgebreitet, die es fast unmöglich machte, sicheren Halt zu finden.
Der Sturm hielt über Tage an und die Mannschaft konnte nicht mehr tun, als zu verhindern, dass sich das Schiff quer zu den Wellen drehte und seitlich einen vernichtenden Schlag abbekäme. Penny Holliday, eine der Forscherinnen an Bord, erzählte, dass sie sich wie in einem Schneesturm gefühlt habe, so dicht habe der weiße Schaum von Wellen gesprüht. In einem der letzten Mails an ihren Freund schrieb sie: "Das ist überhaupt nicht mehr lustig. Das Meer scheint vollkommen außer Rand und Band zu sein." Danach war an Mails nicht mehr zu denken: Möbel, Computer, Forschungsgeräte - alles, was sich losreißen konnte, riss sich los und ging zu Bruch. Es gab zahlreiche Verletzte.
Sieben Tage kämpfte die Discovery mit dem Sturm und es gelang dem Kapitän und seinen Leuten, was manche schon nicht mehr erhofft hatten: Er brachte Schiff und Passgiere heil nach Southampton zurück. Später sollten ihm die Forscher sogar im Rahmen eines wissenschaftlichen Artikels dafür danken, dass sie noch am Leben waren.
Das Wesentliche aber entdeckte Penny Holliday erst bei der Auswertung der Daten, die die intakt geblieben Messgeräte im Inneren des Schiffes aufgezeichnet hatten. Die Apparaturen, über die andere Schiffe nicht verfügen, hatten einzelne Wellen mit einer Höhe von 28 bis 30 Metern registriert, was ungefähr einem Haus mit zehn Stockwerken entspricht. (Die durchschnittliche Wellenhöhe während des Sturms betrug immerhin noch 18,5 Meter.) Bis zu diesem Datum hatte man Berichte von solchen gigantischen Wellen für Übertreibungen gehalten. Keine Wetterprognose, kein Computermodell hatte die Gefahr vorhergesagt. Die Auswertung der Daten durch Penny Holliday, die sie im Jahr 2006 in einem Fachartikel erläuterte, wurde deswegen zur wissenschaftlichen Sensation.
Inzwischen ist eine rege Forschungsarbeit zum Thema Monsterwellen im Gang und Messungen von Satelliten haben bereits mehrfach die Beobachtungen von Penny Holliday bestätigt. Die Europäische Union rief das Projekt MaxWave ins Leben, das helfen sollte, die Sicherheit der Seefahrt zu verbessern.
Doch was für die einen eine fürchterliche Bedrohung darstellt, ist für andere ein besonderer Grund zur Freude. Eine neue Generation von Surfern sah ihren Ehrgeiz darin, möglichst hohe Wellen an der Küste von Hawai zu meistern. Während man lange Zeit, das Surfen auf Wellen von zwölf Metern Höhe für den Gipfel dessen hielt, was ein Mensch schaffen kann, entwickelten einige Wagemutige Ende der 80er Jahren die Idee des Schlepp-Surfens. Bei diesem riskanten Sport beschleunigt ein Jetboot den Surfer so weit, dass er sich auf die gigantischen Wellen des Südmeeres schwingen kann. Wer sich auf einem solchen Monster nicht halten kann, dem ergeht es denkbar schlecht: Zertrümmerte Ellbogen, geplatzte Trommelfelle, perforierte Lungen gehören zu den Verletzungen, die in der Szene bekannt sind, so mancher hat auch mit dem Leben bezahlt. Umso ehrfürchtiger werden Männer wie Laird Hamilton bestaunt, einer der Helden dieser Szene, der mit seinem Ritt über eine 20-Meter-Welle am legendären Sunset-Beach von Hawai berühmt wurde.
Buchtipp: Susan Casey: Monsterwellen. Auf der Suche nach der Urgewalt des Meeres. Aus dem Amerikanischen von Harald Stadler. Droemer Verlag, München 2011. 380 Seiten, Preis: 20,99 Euro.