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Mord und Totschlag kennzeichnen die Straßen Haitis. Nach der Flucht des ehemaligen Staatschefs Jean-Bertrand Aristide vor einem Jahr hoffte die Bevölkerung auf Frieden und ein geregeltes Leben. Doch die Gewalt ist geblieben.
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Ein weiterer Tag blutiger Ausschreitungen hat gestern drei Menschen in Haiti das Leben gekostet. Die Polizei eröffnete in der Hauptstadt Port-au-Prince das Feuer auf tausende Demonstranten, die im Armenviertel Bel-Air Aristides Rückkehr forderten. Mindestens 28 Menschen wurden bei gewaltsamen Ausschreitungen in den letzten fünf Tagen getötet. Damit steigt die traurige Opferbilanz auf 278 seit September letzten Jahres.
Herrschaft der Warlords
Lokale Kriegsherrn kontrollieren noch immer Teile des Landes mit Hilfe schwer bewaffneter Soldaten. Vor einem Jahr, am 29. Februar 2004, war Aristide geflüchtet. Er war der Rebellion bewaffneter Gruppen, die zu Haitis aufgelöstem Heer gehört hatten, nicht mehr gewachsen. Die Bevölkerung warf dem Staatspräsidenten Inkompetenz, Missachtung der Menschenrechte und Korruption vor. Jetzt treffen die selben Vorwürfe die Interimsregierung unter Premierminister Gerard Latortue.
Immer mehr Menschen, die die Absetzung Aristides gefordert hatten, sind enttäuscht von der Art und Weise, wie die von den USA unterstützte Übergangsregierung ihre Arbeit macht. "Diese Regierung wiederholt nur die Fehler der Vergangenheit. Wir haben nicht gegen das Regime von Aristide gekämpft, um wieder ein solches zu erhalten", ist Gerard Blot erzürnt. Er ist der Anführer einer der dutzenden politischen Parteien, die jetzt die Regierung von Premierminister Gerard Latortue auffordern, abzudanken. Das verlangt auch die beträchtliche Anzahl an Anhängern, die Aristide vor allem in den armen Regionen Haitis noch geblieben sind.
Vom Helden zum Asylanten
Aristide galt als Held der Demokratie in dem Karibikstaat, nachdem er mitgeholfen hatte, die seit 1957 anhaltende Herrschaft der Duvaliers (Papa Doc und Baby Doc) 1986 zu beenden. 1991 wurde der ehemalige katholische Priester zum ersten frei gewählten Präsidenten des ärmsten Landes der westlichen Hemisphäre und im Jahr 2000 wiedergewählt. Vier Jahre später musste Aristide auf Druck der USA und Frankreichs ins Exil gehen, nachdem Straßenbanden und ehemalige Soldaten das Land mit einer Welle der Gewalt überzogen hatten. Hunderte seiner Gefolgsleute wurden damals verhaftet. Teilweise werden sie bis heute ohne Gerichtsverfahren gefangen gehalten. Unter ihnen der frühere Premierminister Yvon Neptune. Um gegen seine missliche Lage zu protestieren, ist der Politiker letzten Sonntag in Hungerstreik getreten. Seit 27. Juni vergangenen Jahres in Haft, wird ihm vorgeworfen, Drahtzieher des Massakers von La Syrie zu sein, bei dem 50 Leute umgekommen sein sollen. Journalisten, die damals anwesend waren, berichteten von 5 Todesopfern, nachdem die Polizei gemeinsam mit Aristide-Anhängern die Stadt von den Rebellen zurückgewonnen hatte. Im Gegensatz zu Neptune sind damalige Rebellenführer unbeschadet davon gekommen. Unter ihnen auch Remissainthe Ravix, der von Latortue gefordert hat, das von Aristide 1995 aufgelöste Heer wieder ins Leben zu rufen. Zwar sind für die Ergreifung von Ravix 30.000 Dollar Belohnung ausgesetzt, doch gibt er sich zu Recht zuversichtlich: "WEr würde es schon wagen, einen Kommandanten zu verhaften?
So ist die Situation nach dem Umbruch in dem Karibikstaat instabil geblieben. Das Land liegt wirtschaftlich darnieder und angesichts der grassierenden Gewalt und Einschüchterungen bleibt die Befürchtung, dass auch die für 13. November angesetzten Wahlen dem Land keine Verbesserung bringen werden.