Migranten als Zielgruppe? Interessen innerhalb des ÖGB gehen auseinander.
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Wien. Der Bawag-Skandal, eine schwindende Anzahl an Mitgliedern, weniger Beiträge, weniger Geld. Sicher, die große Krise der Gewerkschaften ist überstanden, der Konsolidierungsprozess hat eingesetzt. Doch der einstige Glanz ist längst verblasst. Da wäre es an der Zeit, auf neue Zielgruppen zu setzen. Eine solche könnte die wachsende Gruppe der Arbeitnehmer mit Migrationshintergrund sein. Doch die Gewerkschaft ziert sich.
Immerhin: Auf fünf der 92 Seiten des Leitantrags für den heute starteten Bundeskongress widmet man sich dem Thema Migration. So wird eine "Humanisierung der österreichischen Asylpolitik" genauso gefordert wie "effektive Maßnahmen und ein entschiedenes Auftreten gegen Rassismus und Diskriminierung in den Betrieben". Weitere gesellschaftspolitische Forderungen sind kostenlose Sprachförderungen, der Ausbau des Integrationsstaatssekretariats, das aktive und passive Wahlrecht "für alle legal in Österreich lebenden Menschen" und die "Erleichterung des Arbeitsmarktzugangs für Asylwerber". Vor allem der letzte Punkt ist spannend, vertreten doch die Gewerkschaften aus ihrer historischen Vertretungsfunktion heraus eine protektionistische Politik. Sprich: Es geht um den Schutz der Kernklientel, der etablierten Arbeiter. Die Vertretung jener Menschen, die etwa ohne Papiere in Österreich arbeiten, widerspricht hingegen den Interessen der etablierten Arbeiter und damit der Gewerkschaften.
Expertin Haidinger:Angst vor "Lohndumpern"
"Die Gewerkschaften sind in einem Dilemma", sagt Bettina Haidinger von der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt (Forba), die ausführlich zum Thema Gewerkschaften und Migranten geforscht hat. Denn einerseits hätten der ÖGB und seine Teilgewerkschaften sehr wohl den Anspruch, alle Arbeitnehmer zu vertreten. Auf der anderen Seite repräsentierten aber jene ohne Papiere gerade die "Lohndumper", die der traditionellen Gewerkschaftsklientel Schaden zufügen. Wenn Asylwerber legal arbeiten dürften, sei dies aber wiederum im Interesse der Gewerkschaften, da dadurch die undokumentierte Arbeit und damit potenzielles Lohndumping hintangehalten werden könnte.
Für problematisch hält Haidinger die Doppelfunktion der Gewerkschaften im Rahmen der Sozialpartnerschaft: Sie sollen die Arbeitnehmer vertreten, sind aber gleichzeitig Mitglied der Regionalbeiräte des Arbeitsmarktservice, die darüber entscheiden, ob Beschäftigungsbewilligungen an Migranten vergeben werden. Dazu passt, dass Menschen, die Probleme mit ihrem Aufenthaltstitel haben, die Gewerkschaft eher nicht positiv sehen, sagt Haidinger unter Verweis auf eine Forba-Studie.
Beim ÖGB heißt es indes, es gebe eine "Reihe von verschiedenen Angeboten für Migranten", zum Beispiel Beratungsangebote in türkischer oder bosnisch-kroatisch-serbischer Sprache. Und: "Mitglied ist Mitglied, da ist es irrelevant, welche Staatsbürgerschaft die Mitglieder haben."
Für Haidinger sind die bisherigen Bemühungen der Gewerkschaften indes nur "Lippenbekenntnisse": Das Beratungsangebot in den Fremdsprachen sei immer noch viel zu wenig ausgebaut, meint sie, auch der interregionale Gewerkschaftsrat zwischen Österreich und Ungarn oder eine Kooperation zur 24-Stunden-Pflege mit der Slowakei sind für sie Initiativen, "die nur vereinzelt herumschwimmen". Lob findet sie demgegenüber für den Oberösterreichischen Gewerkschaftsbund: Dort gibt es mit dem Kompetenzforum Migration ein Gremium für Menschen mit Migrationshintergrund, das auch Sitz und Stimme im ÖGB-Landesvorstand hat.
Stimmrecht der Migranten nur in Oberösterreich
Es ist das einzige Bundesland mit einer solchen Einrichtung. Aus Oberösterreich kommt übrigens auch der gebürtige Türke Mümtaz Karakurt vom Verein migrare, der gemeinsam mit seinem Kollegen Vladimir Polak in einem jahrelangen Rechtsstreit bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ausgefochten hat, dass auch Migranten ohne österreichische Staatsbürgerschaft Betriebsräte werden können.
Das Fazit von Expertin Haidinger: So wichtig auch die gewerkschaftliche Hauptfunktion, das Verhandeln von Kollektivverträgen, sein mag, Ziel des ÖGB muss es sein, auf die Menschen zuzugehen und ein breiteres Spektrum der Erwerbstätigkeitsformen abzudecken. "Dabei geht es nicht nur um Migranten, sondern zum Beispiel auch um die Teilzeitarbeit von Frauen", sagt sie.