Europa-Themen haben bei der Wahl am Sonntag in Deutschland so gut wie keine Rolle gespielt.
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Zwei Drittel der Wähler haben sich bei ihrer Entscheidung von bundespolitischen Erwägungen leiten lassen. Dieses mangelnde Interesse an Europa spiegelt sich auch in der niedrigen Wahlbeteiligung (43,3 Prozent) wider, obwohl man noch weniger befürchtet hatte.
Trotz starker Verluste blieb die Union mit Abstand stärkste Europa-Partei und freut sich sowohl über das gute Abschneiden ihrer europäischen Schwesterparteien als auch über die sich stabilisierende bürgerliche Mehrheit in Deutschland. Mit den Eingangsworten der Europa-Hymne "Freude, schöner Götterfunken" betrat ein strahlender Parteichef Guido Westerwelle das Podium, ausgestattet mit einem zweistelligen Wahlergebnis für seine FDP, dem besten in der Geschichte der EU-Wahlen.
Das historisch schlechteste Resultat strafte die SPD, die bei ihrem 21-Prozent-Allzeittief verharrte. In Großstädten wie München und Berlin wurde sie sogar von den Grünen auf Platz drei verdrängt. Parteichef Franz Müntefering räumte ein, dass seiner Partei keine ausreichende Wählermobilisierung gelungen sei, suchte also die Ursache für das Desaster in der geringen Beteiligung.
Grüne blieben gleich
Die Grünen, die vor allem bei den gleichzeitig stattfindenden Kommunalwahlen in sechs Bundesländern sehr erfolgreich waren, erreichten mit rund 12 Prozent etwa das Ergebnis von 2004. Die Linke blieb mit rund 7 Prozent unter ihren Erwartungen, war aber zum ersten Mal als gesamtdeutsche Partei angetreten und gewann gegenüber dem PDS-Abschneiden gut einen Prozentpunkt hinzu.
Ein gewaltiger Felsbrocken muss CSU-Chef Horst Seehofer vom Herzen gefallen sein, obwohl er gegenüber der letzten Vergleichswahl mit minus 9 Prozent viel Federn hat lassen müssen. Aber seine Partei holte nach der Wahlkatastrophe des Vorjahres in Bayern beinahe wieder die absolute Mehrheit und ließ vor allem die weiter im Sinkflug befindliche SPD mit einem Abstand von 35 Prozent hinter sich.
Mehr Gewicht für CSU
Obgleich nur in Bayern angetreten, sprang die CSU mit gut 7 Prozent locker über die 5-Prozent-Hürde. Dies stärkt auch ihr Gewicht innerhalb der Unionsparteien im Verhältnis zu Angela Merkel.
Die Ergebnisse lassen keine direkten Rückschlüsse auf die Bundestagswahl in 110 Tagen zu, sind aber dennoch ein Stimmungsbarometer. Dabei sind folgende Faktoren von besonderem Gewicht: Die Union allein ist stärker als SPD und Grüne zusammen. Eine Neuauflage von Rot-Grün wie unter Gerhard Schröder ist daher höchst unwahrscheinlich. Ohne Linkspartei wird es nicht gehen. Zwar schließt die FDP eine sogenannte "Ampel" - rot-gelb-grün - nicht kategorisch aus, will aber dezidiert im Herbst eine "bürgerliche Mehrheit" erzielen.
Die Regierungspartner der großen Koalition haben beide am Sonntag verloren, die CDU von hohem, die SPD von niedrigem Niveau. Demgegenüber haben die Oppositionsparteien zugelegt. Die Gewichte haben sich verschoben, doch die Lager sind in etwa gleich geblieben.
analyse@wienerzeitung.at