Antibiotikaresistenzen sind das größte Risiko für die Gesundheitsversorgung.
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Wien. Die Bekämpfung von Infektionskrankheiten ist zur globalen Herausforderung geworden. Größter Risikofaktor sind die Antibiotikaresistenzen. Wenn chemische Keulen Bakterien nichts mehr anhaben können, droht der globalen Gesundheit ein Tsunami. Alleine in der EU sterben jährlich 25.000 Menschen an schweren Infektionen mit resistenten Keimen. Für das System bedeutet das Mehrkosten in Höhe von 1,5 Milliarden Euro pro Jahr. Die Wissenschaft befindet sich auf der Suche nach Lösungen. Die Strategien dazu sind mehrgleisig angelegt.
Antibiotika selbst sind Substanzen, die Bakterien abtöten oder sie an ihrer Vermehrung hindern. Allein in Deutschland sind mehr als 80 solche zugelassen. Neue Wirkstoffe wurden in den vergangenen Jahren kaum gefunden beziehungsweise auch kaum gesucht. Denn der Aufwand zur Entwicklung resistenzbrechender Substanzen ist extrem hoch. Auf eine Milliarde Euro belaufen sich die Gesamtkosten der Entwicklungszeit eines solchen Medikaments.
Biologie von Bakterien
Wird ein Wirkstoff ausfindig gemacht, so ist dessen Einsatz allerdings noch lange nicht sicher. Damit eine Substanz überhaupt am Menschen angewendet werden kann, darf ein gewisses Maß an Toxizität nicht überschritten werden. Bei Menschen, die durch eine bestehende Infektion bereits geschwächt sind, ist das kein leichtes Unterfangen.
Dass Resistenzen überhaupt entstehen können, liegt in der Biologie von Bakterien. Einige von ihnen tragen nämlich eine durch Mutation zufällig entstandene Resistenz gegen ein Antibiotikum in sich. Trotz Therapie bleiben daher mutierte Keime im Organismus erhalten. Diese können sich in Folge ungehindert vermehren und ihre Resistenzgene schließlich auch übertragen, erklärten Experten am Mittwochabend im Rahmen eines Journalistenseminars des Pharmaunternehmens Sanofi-aventis GmbH.
Zudem sind manche Keime ziemlich robuste Bewohner. Die Wissenschaft spricht von den sogenannten gramnegativen Bakterien. Während nämlich grampositive Keime nur über eine Zellwand als Schutzwall verfügen, weisen ihre Pendants eine weitere Zellmembran auf. Zu ihnen zählen gerade eine Vielzahl an lebensbedrohlichen, sogenannten Krankenhauskeimen. Zusätzlich zum Schutz durch die doppelte Bewandung können diese gramnegativen Bakterien mittels kleiner Kanäle Antibiotika am Eintritt hindern beziehungsweise diese aus ihrem Inneren heraus schleusen. Durch diesen doppelten Schutz sind sie eher unempfindlich gegen verfügbare Antibiotika.
Vor allem die Anwendung in der Humanmedizin dürfte die Resistenzproblematik verschärft haben. Während in Österreich für die tierische Lebensmittelproduktion bereits ein Rückgang des Antibiotikaeinsatzes belegbar ist - nämlich von 50,9 Tonnen im Jahr 2011 auf 44,1 Tonnen im Jahr 2016 - , ist die Menge des Antibiotikaverbrauchs beim Menschen bislang nicht gesunken. Betrug der Gesamtverbrauch im 2011 rund 67 Tonnen, so waren es 2017 gar 71 Tonnen Wirksubstanz. Davon gelangten 67 Prozent im niedergelassenen Bereich und 33 Prozent im stationären Bereich zur Anwendung, berichtete Franz Allerberger, Leiter der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit.
Anstieg um das Zehnfache
Für die Gesundheitsversorgung spielen Antibiotikaresistenzen eine große Rolle. So wird geschätzt, dass die Zahl der Todesfälle aufgrund unbehandelter bakterieller Infektionen bis zum Jahr 2050 um das Zehnfache ansteigen könnte. Zudem seien viele moderne medizinische Eingriffe, wie Organtransplantationen, die Behandlung Frühgeborener oder Chemotherapien von der Verfügbarkeit effektiver Antibiotika abhängig, betonte Michael Wagner vom Department für Mikrobiologie der Universität Wien.
Die Experten fordern eine bessere Finanzierung der Antibiotikaforschung, eine Verschreibungspflicht, eine Reduktion des Einsatzes in der Tiermast, verstärkte Aufmerksamkeit für Hygienemaßnahmen und einen verantwortungsvollen Umgang mit den Substanzen, um der Lage Herr zu werden. Denn: Einmal entstandene Resistenzen lassen sich nie mehr rückgängig machen.