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Die Globalisierung der Natur

Von Roland Knauer

Wissen
Ragweed (Beifuß-Ambrosie) löst Allergien aus.
© wikimedia/Kenraiz

Tiere und Pflanzen aus fremden Regionen bringen bisweilen Probleme.


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Berlin. Wenn sich schon im Juli und August die Blätter der Kastanienbäume braun färben und abfallen, gefährdet die Kastanienminiermotte die deutsche "Biergartenkultur". In den 1990er Jahren wurden Larven dieses Schädlings nach Bayern eingeschleppt, inzwischen knabbern sie in weiten Teilen Mitteleuropas an den Kastanienblättern. Auf Dauer könnten die geschwächten Bäume absterben und einst schattige Biergärten in der prallen Sonne liegen. Noch haben freilich fast alle betroffenen Kastanien im Frühjahr wieder ausgeschlagen und so die Biergartensaison zumindest bis zum Hochsommer gesichert.

Vermutlich kommt der Schädling aus Asien, in Europa wurde er zum ersten Mal am Ohrid-See zwischen Albanien und Mazedonien beobachtet. Genau aus dieser Region aber stammt auch die Rosskastanie, natürliche Kastanienwälder gibt es heute noch in Albanien und Bulgarien. Im 16. Jahrhundert holten Brauereien diese Bäume nach Deutschland, um sie über die kühlen Felsenkeller zu pflanzen, in denen das Bier für die warme Jahreszeit gelagert wurde. Die flachen Wurzeln der Kastanie gefährden die Kellerdecke nicht, das dichte Laub schirmt die pralle Sonne ab - und in diesem Schatten lässt sich das Bier auch gut trinken. So schadet also der Eindringling Kastanienminiermotte mit der Rosskastanie einem anderen Eindringling. Beide gehören nicht zur Natur in Mitteleuropa, einer von ihnen ist hierzulande aber hochwillkommen, weil er die Biergartenkultur ermöglicht, der andere dagegen gilt als Schädling und gefährlich.

Es gibt viele solcher Eindringlinge, die bisweilen mit einem Schulterzucken abgetan, bisweilen eifrig bekämpft und bisweilen auch freudig begrüßt werden: Sie kommen mit Holzlieferungen und in Blumentöpfen, verbergen sich in Containern und im Urlaubsgepäck. Ein Heer von Tieren, Pflanzen und Mikroorganismen reist jeden Tag als blinde Passagiere mit Schiffen und Flugzeugen um die Welt. Begonnen hat dieser Trend schon mit Christoph Kolumbus. Als der Entdecker 1492 Richtung Amerika in See stach, legte er den Grundstein für weltweite Handelswege - und für die Globalisierung der Natur. Hatten zuvor nur äußerst mobile Arten wie etwa Zugvögel die Distanzen zwischen den Kontinenten bewältigt, wurden solche Reisen nun auch für viele andere Lebewesen möglich.

Wenn heute immer mehr Schiffe die Ozeane in immer kürzerer Zeit überqueren, verbessern sich die Überlebenschancen der heimlichen Mitreisenden enorm. Immer wieder schaffen es eingeschleppte Lebewesen, in neuen Gebieten Fuß zu fassen. Arten aus wärmeren Regionen profitieren dabei auch vom Klimawandel, der es zum Beispiel Tieren und Pflanzen aus dem Mittelmeer-Raum ermöglicht, auch in Mitteleuropa zurechtzukommen.

Manchmal siedeln Menschen neue Arten auch bewusst an, weil sie neues Jagdwild, dekorative Gartenpflanzen oder effektive Schädlingsbekämpfer suchen. Und immer wieder entkommen auch Heim- oder Zootiere in die Freiheit und vervollständigen dort die Palette der neuen Arten. Viele eingeschleppte Arten machen durchaus Probleme. Weltweit haben sie zum Beispiel die einzigartige Flora und Fauna vieler Inseln massiv in Bedrängnis gebracht. Denn dort sind die Arten auf die anpassungsfähige Konkurrenz aus anderen Erdteilen oft nicht eingerichtet. Und so fressen Ziegen die Galapagos-Inseln kahl, während Katzen, Hermeline und Ratten die flugunfähigen Vögel Neuseelands bedrohen.

In Mitteleuropa ist die Lage zwar nicht so dramatisch, doch die Zahl der tierischen Neubürger wächst auch hierzulande ständig, und manche der neuen Arten richten durchaus wirtschaftliche oder ökologische Schäden an. So verdrängen Ochsenfrösche heimische Amphibien, Bisamratten untergraben teure Dämme und auch die Chinesische Wollhandkrabbe buddelt Gänge in Uferbauten und plündert Fischreusen. Manche Arten können sogar für Menschen zum Problem werden. Die mit Vogelfutter verbreitete Beifuß-Ambrosie aus Nordamerika (Ragweed) verlängert in Mitteleuropa bereits die Pollensaison und damit die Leidenszeit für viele Allergiker.

Altbekannte Invasoren

Manche Eindringlinge werden gar nicht mehr als solche wahrgenommen, weil sie bereits seit Jahrtausenden hier sind, etwa die Hauskatze, die aus dem Nahen Osten stammt. An das kleine Raubtier aber sind viele einheimische Vögel nicht angepasst. Eine Studie in der US-Hauptstadt Washington zeigte im Frühjahr 2011, dass zwei Drittel aller Katzendrosseln die ersten Wochen nach Verlassen des Nestes nicht überleben. Fast 40 Prozent der Todesopfer gingen wohl auf das Konto von Katzen. In Mitteleuropa sieht die Situation nicht viel anders aus, vermutet Ragnar Kinzelbach von der Universität Rostock. Nur fehlen hierzulande genaue Studien zu diesen altbekannten Invasoren.