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Die Globalisierung - eine Episode?

Von Gerald Mader

Politik

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Es war ein Zufall, daß die Eröffnung des Senghofer-Symposiums von Arbeiterkammer und ÖGB in der Burg Schlaining, die Gründung der ATTAK Österreich und der Veranstaltungsreigen im Künstlerhaus in Wien innerhalb einer Woche stattfanden. Dass diese Veranstaltungen stattgefunden haben, ist allerdings ein Hinweis dafür, daß die internationale Bewegung, die sich gegen den herrschenden Zeitgeist richtet, auf Österreich überzuspringen beginnt. Sie richtet sich gegen einen Zeitgeist, der in der Sicherheitspolitik militaristisch, in der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik neoliberal und autoritär ist. Beide Entwicklungen gehen von einer Ideologie der Stärke und der rücksichtslosen Konkurrenz aus und haben einen gemeinsamen Beginn: Die Revolution von 1989 und das Ende des Kalten Krieges. Sie führte zum Zusammenbruch des kommunistischen Systems, zur Auflösung der Sowjetunion und zum Sieg der Demokratie und des Kapitalismus.

Große Erwartungen gingen nicht in Erfüllung

Die großen Erwartungen, die damit verbunden waren, gingen nicht in Erfüllung. Die Friedenseuphorie ist schnell verflogen, selbst die Friedensbewegung spaltete sich, an die Stelle des Kalten Krieges mit seiner Drohung des Dritten Weltkrieges traten die kleinen heißen Kriege. Mit dem Sieg des Kapitalismus ging das goldene Zeitalter des Gemeinsinns zu Ende, der europäische Sozialstaat kommt immer mehr unter Druck und die Kluft zwischen Arm und Reich wird noch größer. Der Wohlfahrtskapitalismus wurde vom Casino- und Turbokapitalismus abgelöst. Die neoliberale Globalisierung wurde zur herrschenden Gesellschaftsideologie.

Expansive Militärpolitik

Im Bereich der Sicherheitspolitik führte dieser Zeitgeist zu einer expansiven Militärpolitik, welche sich vorsorglich Feinde sucht und züchtet, mit welchen der Rüstungswettlauf der USA mit sich selbst legitimiert werden soll. Die alte NATO war eine Verteidigungsarmee, die neue NATO ist eine Interventionsarmee zur Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen.

Die Mehrheit der Bevölkerung ist für ein Europa, das zusammenwächst, aber sie ist gegen ein Europa, das zum Kriegführen zwingt. Denn zum Frieden gibt es keine Alternative, das kann man nicht oft genug wiederholen. Weder am Balkan noch in Palästina.

Im Bereich der Marktwirtschaft sind wir mit einem totalen Markt und Gesellschaftsideologie konfrontiert, die auf die Ökonomisierung aller Lebensbereiche abzielt. Der Neoliberalismus, wie er heute propagiert wird, ist nichts anderes als ein umgekehrter Kommunismus. Der Kommunismus ersetzt den Markt durch Politik, der Neoliberalismus ersetzt die Politik durch den Markt. Beides führt zu einer Totalität, die der europäischen Kultur und einem Menschenbild widerspricht, das anerkennt, daß der Einzelne nur dank der Gemeinschaft und die Gemeinschaft nur dank der Einzelnen besteht.

Zerstörung traditioneller Werte

Der neoliberale Zeitgeist zerstört nicht nur die traditionellen Werte der Sozialdemokratie, sondern auch die der bürgerlichen Gesellschaft. Denn ein entfesselter, irrationaler Markt und eine unkontrollierte Globalisierung schadet den Menschen nicht nur materiell, sondern auch psychisch, charakterlich, da dieses System auf einen extremen Individualismus und einer brutalen und selbstmörderischen Konkurrenz beruht, welche das Negative im Menschen fördert. Solidarität, Gemeinschaft, Familie, langdauernde Arbeitsbeziehungen und die moralischen Grundlagen der Gesellschaft lösen sich auf, die Zunahme autoritärer Maßnahmen ist die notwendige Folge.

Fragwürdiger Blair-Kurs

Trotz dieser Zerstörung bürgerlicher und sozialdemokratischer Werte, die dem Neoliberalismus inhärent ist, bekennen sich die bürgerlichen Parteien stolz zum Neoliberalismus, während viele sozialdemokratischen Parteien unter der Führung von Tony Blair sich geradezu an die Spitze einer fragwürdigen neoliberalen Modernisierung stellen, statt die neue Ungleichheit mit ihrer privilegierten Klasse zu bekämpfen. Tatsächlich sind wir mit einer neuen Ungleichheit konfrontiert, die sich dramatisch und weltweit verstärkt und die dazu führen könnte, daß der ungezähmte Kapitalismus an sich selbst zugrunde geht und so dasselbe Schicksal wie der Kommunismus erleidet.

Welche Konzepte gibt es, welche politischen Strategien und Chancen bestehen, die Vormacht des herrschenden neoliberalen Zeitgeistes zu brechen, diesen zu verändern, zum Besseren zu wenden?

Die Konzepte gibt es, wofür Wissenschaftler mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurden (Tobin tax). Es geht daher darum, diese Konzepte umzusetzen und dazu eine breite Öffentlichkeit zu gewinnen, d.h. die neuen Konzepte zu popularisieren und hierfür ein Bewußtsein zu schaffen.

Kein Naturgesetz

Der totale Markt ist kein Naturgesetz, aber auch seine Überwindung kommt nicht von selbst, sondern bedarf eines nationalen und weltweiten Engagements auf breiter Basis, wenn die neoliberale Hegemonie durch eine neue Kultur der Solidarität ersetzt werden soll.

Was die Sinnhaftigkeit eines solchen Engagements betrifft, sei abschließend Ralf Dahrendorf zitiert, der am Ende seiner jüngsten Analyse im "Merkur" über den Neoliberalismus und seine neue Klasse schreibt: "Der Sieg der globalen Klasse ist keineswegs ausgemacht. Es ist durchaus möglich, daß diese Klasse sich als bloße Episode erweist, eine geistige Seifenblase, die so rasch zerstiebt, wie sie entstanden ist".

Dahrendorf prangert an

Wenn ein so anerkannter Verfechter einer liberalen Ordnung wie Ralf Dahrendorf in so massiver Weise die neue Ungleichheit des Neoliberalismus und seiner privilegierten Klasse anprangert, dann könnten die Bemühungen jener, die für eine kontrollierte Globalisierung und für eine internationale Regelung der Finanzströme, sohin für eine gerechtere Einkommensverteilung und für eine neue Kultur der Solidarität eintreten, vielleicht doch nicht so unzeitgemäß und chancenlos sein, wie sie den heutigen Machteliten der Sicherheits- und Wirtschaftspolitik erscheinen.

Dr. Gerald Mader ist Präsident des ÖSFK.

Das Österreichische Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung (ÖSFK) ist ein privater, gemeinnütziger und parteiunabhängiger Verein zur Förderung von Friedensforschung, Friedenserziehung und Friedenspolitik. Schwerpunkte sind die Friedensuniversität und die Trainingskurse für zivile Konfliktbearbeitung.