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Was SPÖ und ÖVP auch künftig trennen wird: Bericht eines Streitgesprächs.
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Wien. Gut 50 Personen waren gekommen, um am Dienstagabend im Forum Mozartplatz ein Streitgespräch über "Freiheit und Gerechtigkeit im Spannungsfeld von Staat und Markt" zu verfolgen. Ein Allerweltsthema. Mit ein bisschen Fantasie konnte man die Diskussion allerdings auch als Probe für die Zukunftsfähigkeit der ausgelaugten Großparteien lesen, saßen auf der Bühne (moderiert von "Falter"-Chef Armin Thurnher) doch zwei, die sich die programmatische Erneuerung ihrer Partei zum Ziel setzen: Harald Mahrer (Jg. 1973), Unternehmer und Präsident der Julius Raab Stiftung, und Nikolaus Kowall (Jg. 1982), Volkswirtschafter und Sprecher der kritischen SPÖ-Plattform Sektion 8.
Leben wir also tatsächlich auf Kosten unserer Zukunft und Nachkommen, wie Konservative, darunter auch Mahrer, angesichts der Schuldenberge behaupten?
"Nein" so der Sozialdemokrat Kowall, der vom Sozialismus nichts mehr wissen will. Er sieht den Tunnelblick auf die Schulden vorrangig als politische Strategie gewisser, vornehmlich ultra-liberaler Kreise, den Wohlfahrtsstaat zurückzubauen. Nicht der Sozialstaat sei zu teuer, vielmehr sei die Besteuerung falsch organisiert und bevorzuge Finanzkapital auf Kosten von Arbeit und produzierenden Unternehmen.

Bei Wirtschaftsfragen endet der Konsens
Und zwingt uns der nationale Standortwettbewerb nicht in einen Teufelskreislauf, der Löhne und Sozialleistungen unter Druck setzt und Raub an anderen Staaten darstellt, wie Linke, darunter auch Kowall, kritisieren?
"Nein", kontert Mahrer, "Standortwettbewerb ist nicht Raub, sondern Ausdruck wirtschaftlicher Freiheit". Allerdings komme es auf die Rahmenbedingungen an, zumal die EU - konsequent zu Ende gedacht - auf eine Sozialunion hinauslaufe, wo Solidartransfers zwischen reichen und armen Staaten sorgen. Kowall dagegen kann solchen Transfers wenig abgewinnen, weil sie unterschiedliche Wohlstandsniveaus einzementierten. Er setzt auf Produktivitäts- und Lohnzuwächse.
So, oder zumindest so ähnlich, verläuft auch im Regierungsalltag der Graben zwischen SPÖ und ÖVP - zumindest, wenn der Disput öffentlich ausgetragen wird. Dazu passt die wiederholte Versicherung, dass die soziale Marktwirtschaft ohnehin gemeinsamer Konsens ist, modernisieren müsse man diese halt, quasi "soziale Marktwirtschaft 2.0" eben . . . Eine Debatte zwischen einem roten Gewerkschafter und einem schwarzen Wirtschaftskämmerer verläuft in ihren Grundzügen auch nicht viel anders.
Innovativer wird die Debatte, als es um den Reparaturbedarf an der politischen Gegenwart geht.
Stichwort neue technische Möglichkeiten. So haben Internet und Co für Mahrer völlig neue Freiheiten für die Bürger bewirkt, die seitens der Politik jedoch noch nicht entsprechend verarbeitet wurden, etwa in den Bereichen Transparenz und Datenschutz. Wie überhaupt Transparenz im Verhältnis zwischen Politik und Bürgern für die nachkommende Generation längst selbstverständlich ist - zumindest im rhetorischen Forderungskatalog. Auch mit Europa und - dem damit zwangsläufig einhergehenden Abbau staatlicher Souveränität - gehen Mahrer und Kowall viel unbefangener um: pragmatisch, realistisch, ohne Scheuklassen - und keine Spur von Euphorie.
Würde also eine neue große Koalition mit neuen, jüngeren Köpfen besser funktionieren, als dies bisher der Fall ist? Möglich, aber keineswegs sicher. Die Gräben vor allem in wirtschaftspolitischen Grundsatzfragen bestehen fort. Und dass die soziale Marktwirtschaft ein gemeinsames Erbe ist, stimmt zweifellos, neu ist das aber nicht. Allerdings wären die Akteure weitgehend identisch sozialisiert - und auch der persönliche Lifestyle liegt auf einer Wellenlänge. Wovon die Lederjacken und Dreitagesbärte beider Hauptakteure Zeugnis ablegen.