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Die graue Eminenz hinter Pekings Wirtschaftsprogramm

Von WZ-Korrespondent Wu Gang

Politik

Der unscheinbare Liu He ist der wichtigste Architekt der Reformen.


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Peking. Als der damalige Nationale Sicherheitsberater der Vereinigten Staaten Tom Donilton im Mai die chinesische Hauptstadt besuchte, schüttelte er Staatspräsident Xi Jinping lange die Hand - und übersah dabei einen unscheinbaren, hageren Apparatschik, der sich diskret im Hintergrund hielt. Donilton wurde rasch eines Besseren belehrt: "Das ist Liu He", brummte Xi, "und er ist sehr wichtig für mich." Das ist eine angemessene Beschreibung für einen Mann, dem die Aufgabe zukommt, die stockende chinesische Wirtschaft wieder in Fahrt zu bringen und einen ökonomischen Masterplan für die nächsten zehn Jahre zu entwerfen. Liu He ist somit der Architekt der jüngsten wirtschaftlichen Blaupause, die am Wochenende vor etwa 380 Mitgliedern des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei hinter verschlossenen Türen enthüllt werden soll.

Der 62-Jährige selbst spielt seine Rolle zwar herunter: "Direktor Liu He denkt, es gibt einige Missverständnisse über seine Arbeit und Bedeutung. De facto wird die chinesische Wirtschaftspolitik über ein kollektives Entscheidungssystem entwickelt, einzelne Individuen sind dabei unbedeutend", lässt sein Büro auf Anfrage ausrichten.

Orientierung an die USA

Tatsächlich ist es jedoch seine Aufgabe, die Entwicklung und Ausarbeitung der Reformpläne zu beaufsichtigen und dem Ständigen Ausschuss des Politbüros zum Absegnen vorzulegen. Vor einigen Monaten stellte er deshalb sieben Forschungsgruppen zusammen, um Antworten auf Herausforderungen wie Liberalisierung auf den Finanzmärkten, Geldpolitik, Deregulierung, Urbanisierung und Landrechte zu finden. Über Ergebnisse kann vorläufig nur gemutmaßt werden, denn diejenigen, die an den Reformplänen arbeiten, dürfen nicht darüber sprechen.

Die Ziele der obersten Führung sind jedoch bekannt: Die chinesische Wirtschaft soll sich mehr an den USA orientieren, mit einer konsumorientierten Gesellschaft, die ihr Geld für Autos, Kleider und elektronische Gadgets made in China ausgibt - also jene Waren, die momentan noch überwiegend exportiert werden. Außerdem sollen innovative Privatfirmen forciert werden. Das bedeutet eine Abkehr von der bisherigen Politik der billigen Auslandexporte und von riesigen Investments in neue Straßen, Eisenbahnen und ganze Städte. Dem im Weg stehen die Nutznießer des alten Wachstumsmodells, insbesondere die staatseigenen Betriebe und Lokalregierungen, die durch die Reformen ihre Pfründe gefährdet sehen. Doch ohne substanzielle Änderungen wird das chinesische Wirtschaftswachstum bis 2030 auf durchschnittlich vier Prozent pro Jahr fallen, wie der Internationale Währungsfonds errechnet hat.

Der ruhig wirkende Liu He scheint entschlossen zu sein, diesen Kampf aufzunehmen und kann mit der Unterstützung mächtiger Verbündeter rechnen. Über Hausmacht verfügt er durch seine Ernennung zum Direktor der Zentralen Entwicklungsgruppe für Finanzen und Wirtschaft. Dieses Büro berät Präsident Xi und die anderen sechs Mitglieder des Ständigen Ausschusses des Politbüros - und ist somit das wichtigste Entscheidungsgremium des Landes.

Vor allem aber ist Liu He ein Freund von Xi Jinping: Die beiden waren in den 1960er Jahren Schulkameraden an der Pekinger Mittelschule 101 und gelten als enge Vertraute. Auch zum Finanzsektor hat Liu beste Kontakte, vor allem zum Chef der chinesischen Zentralbank Zhou Xiaochuan, mit dem er jahrelang zusammengearbeitet hatte. Gemeinsam haben sie Pläne entworfen, um den sogenannten Schattenbank-Sektor zurückzudrängen und ausländische Investitionen in China zu erleichtern.

Ein kleiner Revoluzzer

Wie weit sich der bekennende Wirtschaftsreformer Liu gegen die Macht der staatseigenen Betriebe durchsetzen kann, werden die Ergebnisse des Plenums der Parteielite, das bis Dienstag tagt, zeigen. Ihm selbst können marktwirtschaftliche Adaptierungen gar nicht weit genug gehen, wie er bereits in einem Rundschreiben 2011 betonte: "China muss das ökonomische Entwicklungsmodell rascher ändern, und die Partei muss dabei eine Regierungsfunktion einnehmen und nicht die eines Revolutionärs." Immerhin, ein kleiner Revoluzzer steckt auch in ihm selbst: Während sich Chinas alternde Elite mindestens einmal pro Monat die Haare schwarz färbt, ließ Liu sein Haupthaar in Würde ergrauen.